Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/388: Peter Bürger - Bildermaschine für den Krieg (SB)


Peter Bürger


Bildermaschine für den Krieg

Das Kino und die Militarisierung der Weltgesellschaft



Nichts belegt besser die von Peter Bürger in seinem neuen Buch "Bildermaschine für den Krieg" vertretene These hinsichtlich der gefährlich unterschätzten Rolle des Kinos bei der "Militarisierung der Weltgesellschaft" als die Formulierung, die US-Vizepräsident Dick Cheney fünf Tage nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon in Arlington bei einem Interview des Fernsehsenders NBC gebraucht hat, als er davon sprach, um den Kampf gegen den "internationalen Terrorismus" zu gewinnen, würden sich Geheimdienste und Militär Amerikas auf die "dunkle Seite" begeben müssen. Mit diesem jedem Kinobesucher vertrauten Verweis auf ein wichtiges Erzählelement der enorm erfolgreichen "Krieg der Sterne"-Filmserie von George Lucas lieferte der frühere Verteidigungsminister von George Bush sen. das primitive, aber offenbar enorm einleuchtende Argument, das einem nicht geringen Teil der US-Bevölkerung bis heute die Einsicht in die vermeintliche Notwendigkeit von Folter, Mißachtung der Genfer Konventionen, Lauschangriff ohne richterliche Genehmigung, Inhaftierung ohne Anklageerhebung, Einrichtung von geheimen Gefängnissen u. v. m. vermittelt.

Derselbe Cheney war es einige Wochen später, der zusammen mit seinem Mentor und engen Freund Donald Rumsfeld, damals noch Pentagon-Chef, in Washington demonstrativ die Premiere der Jerry-Bruckheimer-Produktion "Black Hawk Down" über eine mißglückte Operation der US-Spezialstreitkräfte 1993 in der somalischen Hauptstadt Mogadischu besuchte. Dieses höchst rassistische Machwerk vom Regisseur Ridley Scott, das bei den Dreharbeiten umfangreiche Hilfen vom US-Verteidigungsministerium erhalten hatte, war die passende cineastische Begleitung zum Auftakt des Kreuzzuges Washingtons gegen die "islamistische Gefahr".

Wie es der Zufall so wollte, war nur wenige Wochen vor den 9/11-Anschlägen ein anderer massenmobilisierender, vom Pentagon subventionierter Bruckheimer-Blockbuster in den Kinos angelaufen, nämlich das enorm aufwendig produzierte Geschichtsepos "Pearl Harbor" über den angeblich "überraschenden" Luftangriff der Japaner am 7. Dezember 1941 auf den gleichnamigen US-Marinestützpunkt auf Hawaii. Bereits im Jahr 2000 hatten sich dieselben US-Neokonservativen, die ein Jahr später unter George Bush jun. die wichtigsten Kabinettsposten erhalten sollten, im Rahmen des Berichtes "Rebuilding America's Defenses" des Project for the New American Century (PNAC) darüber beklagt, daß die von ihnen gewünschte, unilaterale Außen- und Sicherheitspolitik der USA der amerikanischen Bevölkerung ohne ein "katalysierendes Ereignis" vom Schlage eines "zweiten Pearl Harbor" nicht zu vermitteln sein würde. Kein Wunder also, daß am Abend des 11. September 2001 Präsident Bush in sein Tagebuch geschrieben hat, Amerika habe an diesem Tag ein erneutes Pearl Harbor erlitten.

In "Bildermaschine für den Krieg" setzt sich Peter Bürger mit zahlreichen Kinoerzeugnissen, die in den letzten rund sechs Jahren nicht nur den "globalen Antiterrorkrieg" der USA reflektiert, sondern auch fördernd auf die zunehmende Militarisierung der Bundesrepublik Deutschland eingewirkt haben, äußerst kritisch auseinander. Völlig zurecht greift er die über die Medien verbreitete, dem "Krieg zuarbeitende Massenkultur" an und erinnert daran, daß die gewaltverherrlichenden Filme dem Geist der UN-Charta hinsichtlich des Ziels des friedlichen Zusammenlebens der Völker widersprechen und eigentlich als Kriegshetze und -propaganda entweder gekennzeichnet oder verboten werden müßten. Er konstatiert die schleichende Normalisierung des Kriegsfalls und sieht darin bereits die Aufgabe bisheriger bürgerlich-liberaler Werte zugunsten eines "Kontrollstaates" à la Otto Schily und Wolfgang Schäuble.

Den schleichenden Normalisierungsprozeß illustriert Bürger mit viel Witz und Ironie unter anderem am Beispiel der letztjährigen, höchst heuchlerischen Aufregung in Deutschland um den türkischen Kassenschlager "Kurtlar Vadisi Irak" (Tal der Wölfe), in dem Billy Zane als christlich-fundamentalistischer CIA-Mann den Bösewicht gab. Unter Verweis darauf, daß sämtliche im Film dargestellten Greueltaten auf "reale Vorbilder" aus dem laufenden Irakkrieg zurückgehen, schreibt Bürger:

Weil hier - anders als im Hollywood-Produkt - ausnahmsweise einmal "die USA" als Täter und deren Waffenträger als Objekt von Vergeltung vorgeführt werden, handelt es sich in diesem Fall nach Ansicht von Kulturbeobachtern, die sonst großzügiger sind, um verwerfliche Propaganda. ... Schließlich darf man nicht übersehen, dass die in KURTLAR VADISI IRAK nachgeahmte Geschmacksrichtung und die Strategie, politische Paradigmen im Kino vorzubereiten, von der US-Filmindustrie vorgegeben worden sind.
(S. 121)

Bürger, dessen 2005 erschienenes Buch "Kino der Angst - Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood" im letzten Jahr mit dem Bertha-von-Suttner-Preis in der Kategorie "Film und Medien" ausgezeichnet wurde und der selbst ausgebildeter Theologe ist, macht sich ernsthafte Gedanke über die in den allermeisten westlichen Action- und Kriegsfilmen transportierte Fremdenfeindlichkeit, die in Zeiten des "Kampfes gegen den Terror" in Europa und Nordamerika vor allem gegenüber Menschen aus dem islamischen Kulturraum Wurzeln geschlagen hat.

Zur Veranschaulichung dieses Phänomens hebt Bürger einen perfiden Handlungstrang in dem 2005 erschienenen Film "Fightplan" hervor, in dem Jodie Foster eine junge Witwe und Mutter spielt, deren Kind während eines Transatlantikfluges verschwindet, und die durch die Suche danach einen Komplott aufdeckt. Sympathie- und Oscar-Preisträgerin Foster verdächtigt in der Rolle der Kyle Pratt zunächst vor allen anderen Fluggästen eine Gruppe arabischer Männer, hinter der Entführung ihrer Tochter zu stecken beziehungsweise einen Anschlag zu planen. Als sich herausstellt, daß es Mitglieder des Flugpersonals sind, die Anschlag und Versicherungsbetrug in einem geplant und die Tochter entführt hatten - natürlich kann die Katastrophe abgewendet werden -, gibt es eine Begegnung, bei der sich Foster/Pratt bei den Arabern ob der unberechtigten Bezichtigung eigentlich hätte entschuldigen müssen. Die Versöhnungsgeste wird jedoch verweigert. Statt dessen entschuldigt sich der Chefpilot, gespielt von Sean Bean, gegenüber der Mutter, sie für eine hysterische Paranoikerin gehalten zu haben. Die simple Botschaft lautet: Für Araber gibt es die Unschuldsvermutung nicht; sie hätten sich mit dem gegen sie gehegten Generalverdacht in den westlichen Industriestaaten abzufinden.

Insgesamt werden im vorliegenden, sehr unterhaltsamen Sachbuch rund 260 Filme und TV-Serien der letzten Jahre behandelt. Zu den Kinoproduktionen, mit denen sich der Autor besonders befaßt, gehören "Tal der Wölfe" aus der Türkei, "Black Hawk Down", "Jarhead", "Sahara", "Stealth", "Syriana" aus den USA und "Les Chevaliers du Ciel" (Sky Fighters) aus Frankreich. Bürger gelingt es, dank seines geschärften cineastischen Blicks und seiner recht detaillierten Kenntnisse von den laufenden Debatten in der Innen- und Außenpolitik sowie vom internationalen Geschehen - Stichworte "Kampf der Kulturen", Gefangenenlager Guantánamo Bay, atomare Erstschlagsplanung der USA mit der Bezeichnung CONPLAN 8022 oder die von Rumsfeld forcierte Transformation der US-Streitkräfte zu einer High-Tech-Eingreiftruppe des amerikanischen Großkapitals -, dem Leser zu verdeutlichen, in welch ungeheurem Ausmaß die Filmemacher auf die Erfordernisse ihrer Freunde in der Politik, beim Militär und in der Rüstungsindustrie eingehen und diese propagandistisch zu begleiten wissen.

Zur persönlichen Aufklärung rät Bürger jedem Filminteressierten, sich die Angaben beim Nachspann über die von der jeweiligen Produktionsfirma in Anspruch genommenen Hilfeleistungen des Militärs nicht entgehen zu lassen. Tatsächlich wären einige der hier behandelten Kriegs- und Actionfilme - beste Beispiele sind "Pearl Harbor" und "Sky Fighters" - ohne die Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Verteidigungsministerium, das sich dadurch natürlich Einfluß auf das Drehbuch sicherte, gar nicht erst gedreht worden. Von Kiefer Sutherland (Jack Bauer) und den reaktionären Produzenten der erfolgreichen Folter-Serie "24" ist bekannt, daß sie im Gegenzug für die Unterstützung des Pentagons Rekrutierungsfilme für das US-Militär drehen.

Doch inzwischen macht die Bundesrepublik dem NATO-Partner USA beachtliche Konkurrenz im Bereich der Kriegspropaganda, wie Bürger in dem Unterkapitel "Das neue deutsche Selbstbewußtsein, Nationalinteressen und die Bundeswehr auf RTL" feststellt. Unter Verweis unter anderem auf Sönke Wortmanns vielgelobte Dokumentation "Deutschland - Ein Sommermärchen" über die letztjährige Fußballweltmeisterschaft, das ZDF-Fernsehdrama "Dresden" und die Serien "Die Rettungsflieger" von RTL und "Jets - Leben am Limit" von Pro 7 schreibt Bürger:

Der Medienkampagne "Du bist Deutschland" folgte die Massenproduktion deutscher Nationalflaggen und anderer nationaler Devotionalien im Jahre 2006, wie es sie nach 1945 so bislang nicht gegeben hatte. Der ganze gut vorbereite Komplex ist geeignet, mehr Akzeptanz für einen Patriotismus mit Sinn für die Nationalinteressen zu wecken.

(...)

Zu den Nationalinteressen, die leitend sein sollen für ein neues militärisches Handeln, zählen Rohstoffzufuhr, Sicherung der Energieversorgung, Schutz eines ungehinderten "freien Handels" bzw. "Warenaustauschs", Zugang zu Märkten und die Abwehr unerwünschter Eindringlinge aus armen Ländern.

(...)

In den Vereinigten Staaten hörte der US-Beauftragte der Bundesregierung, Karsten Voigt, folgende, vom Spiegel am 20.11.2006 als Titel verwendete Begehrlichkeit: "Die Deutschen müssen das Töten lernen."
(S. 85f.)

Die erste Vorstufe dieses Lernens findet beim Konsum von Kriegs- und Actionfilmen sowie diverser Killerspiele für den heimischen PC, die nicht umsonst vom modernen Militär sowohl zu Rekrutierungs- als auch Ausbildungszwecken eingesetzt werden, statt. Doch nicht nur das. Häufig sind es dieselben Unternehmen, welche die Software für die PC-Ballerspiele liefern und die an der Entwicklung der neusten US-Waffensysteme arbeiten. Inzwischen kann ein CIA-Mitarbeiter von einer Konsole im Hauptquartier des Auslandsgeheimdienstes in Langley aus praktisch genauso einfach auf der anderen Seite der Erde eine Hellfire-Rakete auf einen mutmaßlichen Al-Kaida-"Terroristen" abfeuern, wie ein Jugendlicher zu Hause beim PC-Spiel Doom ein außerirdisches Ungeheuer umnietet. Tatsächlich scheint die Menschheit jener düsteren Zukunft einer völlig außer Kontrolle geratenen Kriegsmaschinerie entgegenzurasen, wie sie James Cameron in den "Terminator"-Filmen mit Arnold Schwarzenegger entworfen hat. Vor diesem Szenario ist Peter Bürgers "Bildermaschine für den Krieg" eine dringende Warnung, die nicht ernst genug genommen werden kann.

5. Juni 2007


Peter Bürger
Bildermaschine für den Krieg
Das Kino und die Militarisierung der Weltgesellschaft
Heise Zeitschriften Verlag, Hannover, 2007
216 Seiten
ISBN: 978-3-936931-45-7