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REZENSION/392: Fred Pearce - Wenn die Flüsse versiegen (SB)


Fred Pearce


Wenn die Flüsse versiegen



Ausreichend Wasser ist nach Atemluft und noch vor Nahrung die zweitwichtigste Lebensvoraussetzung. Ohne eine regelmäßige Zufuhr von Wasser würde ein Mensch nach ungefähr einer Woche sterben. Die Erde ist zwar zu rund zwei Drittel von Wasser bedeckt, aber 97,4 Prozent davon sind Meerwasser, ungenießbar und könnten nur mit erheblichem energetischen Aufwand für die Gewinnung von Trinkwasser umgewandelt werden. Wasser ist knapp. Mehr als eine Milliarde Menschen verfügt über keinen ausreichenden Zugang zu Trinkwasser, Tendenz steigend. An der enormen Bedeutung dieses Themas kann somit kein Zweifel bestehen.

"Wenn die Flüsse versiegen" lautet der Titel des jüngsten Buchs des britischen Wissenschaftsjournalisten Fred Pearce. Auf insgesamt 400 Seiten schildert er, wie einstmals mächtige Ströme zu Rinnsalen verkommen sind, wie Seen austrocknen und Grundwasserspiegel absinken. Jahrelang hat der Autor verschiedene Länder bereist und Bauern wie Politiker, Bürgermeister wie Umweltaktivisten, Dorfbewohner wie Ingenieure nach ihren Erfahrungen rund um die Wasserversorgung befragt. Dadurch konnte sich Pearce einen intensiven persönlichen Eindruck von der Problematik verschaffen, den er seiner Leserschaft überzeugend zu vermitteln versteht. Die Mischung aus Gesprächen, Anekdoten und Zahlenangaben, der häufige Rückbezug zur geschichtlichen Entwicklung der Wasserversorgung einer Region sowie die kritische Betrachtung wasserbautechnischen Gigantismus verhelfen zu einem gelungenen populärwissenschaftlichen Einstieg in die Thematik.

Seine Forschungen haben Pearce an den Aralsee und nach China geführt, er hat mit Israelis und Palästinensern gesprochen, ist nach Zentralasien gereist und hat sich eine indische Erfolgsgeschichte im Umgang mit dem knappen Gut zeigen lassen. Nicht der Bau von großen Stauseen und Kanälen zählt zu Pearces bevorzugter Lösung für die Wasserwirtschaft, sondern das Auffangen und Sammeln von Regenwasser, um es entweder mittels manchmal nur kleiner mechanischer Sperren den Nutzpflanzen gezielt zukommen zu lassen oder um es in Zisternen und anderen unterirdischen Reservoirs für Zeiten des Mangels aufzubewahren. Ein besonderes Lob hält der Autor für das wenig bekannte Kanate-System der alten Perser bereit. Im heutigen Iran sind noch etliche dieser horizontal in den Berg getriebenen Stollen, die dem Verlauf unterirdischer Wasseradern folgen, in Benutzung und verhelfen der Bevölkerung in Dürreperioden zum kühlenden Naß.

Wie hochaktuell das Thema Wasser ist, belegen jüngere Meldungen über Wassermangel in Nordchina, einen Waldbrand in den Sümpfen des US-Bundesstaats Florida oder die mehrjährige Dürre in Australien - erst wenige Monate ist es her, da hatte der australische Premierminister die Bevölkerung aufgefordert, um Regen zu beten.

Da das Buch eine Fülle von Beispielen nicht nur zum Wassermangel, sondern auch zum manchmal gefährlichen Überfluß enthält, sollte man es dem Autor nachsehen, daß er ausgerechnet dem Amazonas keine tiefergehende Beachtung geschenkt hat. Der mächtigste Strom der Erde hatte in den letzten beiden Sommern so wenig Wasser geführt, daß die brasilianische Regierung Dutzende Notbrunnen für entlegene Dörfer bohren mußte. Ausgerechnet im tiefsten Regenwald! Das Ufer des Amazonas hatte sich teils mehrere Kilometer von seinem ursprünglichen Verlauf zurückgezogen und einen von tiefen Rissen durchzogenen, knochentrockenen Grund freigegeben, über den Staubstürme hinwegfegten.

Anscheinend hatte sich Pearce beim Verfassen dieses Buchs nicht vorgenommen, ein möglichst vollständiges Archiv über den Zustand aller größeren Flüsse der Erde zu liefern. Sein Anliegen dürfte vielmehr darin gegründet sein, daß er nach vielen Jahren, in denen er sich mit dem Thema Wasser befaßt hat, zu der Überzeugung gelangt ist, daß seine Kenntnisse und Erfahrungen ausreichen, daraus ein lesenswertes Buch zu fertigen. Er hat sich nicht geirrt.

So erfahren die Leserinnen und Leser von der Wandlung eines gewissen Daniel Beard vom Saulus zum Paulus der Staudammgegner. Einst hatte dieser in der US-Regierung das für den Staudammbau zuständige Bureau of Reclamation geleitet - nach seinem Ausscheiden stellte er sich in Südjapan an die Spitze eines Protestzugs der Bevölkerung gegen auch nur ein einziges weiteres dieser ungeliebten Großprojekte.

Staudämme beziehungsweise -seen sind aus vielerlei Gründen prekär: Sie neigen zur Verschlammung, und in ihnen sammeln sich Umweltschadstoffe an. Sie erfordern häufig Umsiedlungen, fördern die Verbreitung durch Mücken übertragener Krankheiten und zerschneiden Fischwanderwege. Mit Staudämmen kann den Anwohnern am Unterlauf das Wasser vorenthalten werden, oder aber die Bauwerke erzeugen im Falle starken Wasserandrangs Überschwemmungen, wenn die Verantwortlichen die Schleusen öffnen, um den Druck abzubauen. Darüber hinaus können Staudämme Erdbeben auslösen, wie in letzter Zeit die umstrittene und von Korruption begleitete Konstruktion des spanischen Staudamms Itoiz beweist.

Neben Zustandsberichten zu einer Auswahl an Flüssen, Seen und Aquiferen erörtert Pearce auch Themen wie Versalzung als Folge der intensiven Bewässerungswirtschaft, Versuche der Wassergewinnung aus der Luft, die verheerende Arsenverseuchung der von Hilfsorganisationen angelegten Brunnen in Bangladesh oder auch den Klimawandel. In einem Punkt irrt Pearce allerdings, wenn er behauptet, daß Wasser nicht verlorenginge:

"Die gute Nachricht ist, dass wir das Wasser nicht vernichten. Wir mögen es vergiften, Felder damit bewässern oder es die Toilette hinunterspülen. Wir können es sogar verdunsten lassen, indem wir es in großen Stauseen der Sonne aussetzen. Doch irgendwo, irgendwann kehrt es, sauber und frisch, in den Regenwolken über Indien, Afrika oder den Kalksteinbergen Englands zu uns zurück."
(S. 379)

Bei der Beurteilung der globalen Wasserlage ist nicht die theoretische, sondern die tatsächlich verfügbare Wassermenge relevant. Und da geht eben doch einiges verloren, wenn Trinkwasser ins Meer fließt oder giftige Abwässer in Flüsse und Seen geleitet werden. Ähnlich wie der von der Physik postulierte Energieerhaltungssatz abstrakt ist und es leicht einzusehen sein sollte, daß es der Menschheit wenig nutzte, wenn die Sonne verlöschte, aber ihre Energie erhalten bliebe, so geht die Aussage, daß Wasser im Prinzip nicht verloren gehen kann, weit an der existentiellen Not vieler von Wassermangel betroffenen Menschen vorbei. Mit dieser Idealisierung entwertet Pearce seine in vielen Jahren gewonnenen Erkenntnisse zur schwindenden Verfügbarkeit von Wasser.

Im übrigen ist der Planet Erde kein isoliertes System. Es entfleucht eine nur vage abschätzbare Menge an den Wasserbestandteilen Sauerstoff und Wasserstoff ins All, während es umgekehrt zum Eintrag von Wasser durch Meteoriten kommt. Über die Ursache des Verlusts der - nach heutigem Forschungsstand - einstmals weitreichenden Ozeane auf dem Planeten Mars grübeln Wissenschaftler unter anderem auch deshalb, weil sie wissen wollen, ob der Erde eine ähnliche Entwicklung bevorsteht.

Der globale Trend zur Privatisierung der Trinkwasserversorgung war für Pearce kein Thema. Er hat sich der Frage der Wasserverfügbarkeit nicht von politischer, sondern von naturwissenschaftlicher Seite her genähert. Dabei ließ es sich selbstverständlich gar nicht vollständig umgehen, daß politische Fragen berührt werden. So wird der Nahostkonflikt nicht unbedeutend von dem Problem genährt, wer über das Wasser der Golan-Höhen, des Jordan und der Aquifere im Westjordanland verfügt. Auch zwischen den US-Bundesstaaten am Ober- und Unterlauf des Colorado gibt es scharfe Interessengegensätze hinsichtlich der Nutzung des in den letzten Jahren versiegenden Flußwassers; Mexiko und die USA sind auf die Bereitschaft des jeweils anderen angewiesen, dem Grenzfluß Rio Grande ausreichend Wasser zu lassen, damit für den Nachbarn noch etwas übrig bleibt. Die Türkei wiederum sitzt am langen Hebel und kann mit Hilfe des Südostanatolischen Staudammprojekts dem Irak das Wasser abgraben.

In seinem zehnten und letzten Kapitel macht Pearce unter der Überschrift "Wasserethik" darauf aufmerksam, daß Wassermangel zugleich Nahrungsmangel bedeutet. Nach Einschätzung von Wirtschaftsexperten würde die Nahrungsmittelproduktion bis zum Jahre 2025 aufgrund von Wassermangel um 350 Millionen Tonnen pro Jahr zurückgehen (S. 377), schrieb Pearce. Das ist mehr als die gegenwärtige Getreideernte der Vereinigten Staaten von Amerika, dem weltweit größten Getreideproduzenten.

Nahrungsmangel, Anstieg des Meeresspiegels, Untergang niedrig gelegener Küstengebiete einschließlich von Metropolen wie New York - die Bedeutung der globalen Wasserregulierung wird in den nächsten Jahren noch zunehmen. Pearce hat in seinem Buch viele Fragen angesprochen, eine Reihe von Regionen vertiefend behandelt und, ohne sich apokalyptischer Prophetie hinzugeben, doch unmißverständlich deutlich gemacht, wie problematisch die Gewährleistung einer angemessenen Versorgung mit Wasser bereits heute für viele Menschen ist und in Zukunft erst recht sein wird.

21. Juni 2007


Fred Pearce
Wenn die Flüsse versiegen
Verlag Antje Kunstmann
München 2007
ISBN 978-3-88897-471-7
400 Seiten
24,90 Euro