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REZENSION/421: Maria Mies - Krieg ohne Grenzen (SB)


Maria Mies


Krieg ohne Grenzen

Die neue Kolonisierung der Welt



Offensichtlich vollkommen überrumpelt hat die Bevölkerung auf die Völkerrechtsverletzungen und Repressionen der US-Regierung und ihrer Verbündeten nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 reagiert. Eine gesellschaftlich relevante Gegenbewegung ist weit und breit nicht in Sicht. Von der Opposition im US-Kongreß unbehindert legt die Bush-Administration ein hunderte Milliarden Dollar schweres Militärbudget auf, und die Europäische Union hat im Reformvertrag die permanente militärische Weiterentwicklung zur Pflicht aller Mitglieder erkoren. Sicherheitspolitiker wie der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble schwadronieren straflos darüber, daß unter Folter zustandegekommene Informationen genutzt werden sollten, und verlangen, daß diejenigen, die sagen, Guantánamo sei nicht die richtige Lösung, bereit sein müßten, darüber nachzudenken, was denn die bessere Lösung sei.

11. September 2001-Analysten sprachen in Verkennung der Kontinuität der Herrschaft von einer historischen Zäsur oder auch dem eigentlichen Beginn des neuen Jahrtausends - als wenn es ein Jahrzehnt zuvor keine gezielte Zerschlagung der Bundesrepublik Jugoslawien gegeben hätte; als wäre 1999 die jugoslawische Hauptstadt Belgrad nicht von NATO-Kampfflugzeugen, inklusive deutschen Tornados, bombardiert worden; als wären im Jahr davor keine US-amerikanischen Cruise Missiles in die hochmoderne sudanesische Medikamentenfabrik El-Schifa eingeschlagen; als hätten die USA nicht zeitgleich mit dieser Attacke Raketen auf Afghanistan abgefeuert.

Richtig ist allerdings, daß die sogenannten 9/11-Anschläge die Maßnahmen der USA und Westeuropas zur Durchsetzung ihres globalhegemonialen Projekts beschleunigt haben. Um so dringlicher hätte es eines Gegenentwurfs bedurft, bei dem nicht eine aggressive Weltordnung durch eine andere ersetzt wird.

Es besteht kein Zweifel daran, daß mit der Diffamierung der Muslime und dem Kampf gegen muslimische Staaten noch nicht das Ende der Auseinandersetzung in dem von US-Militärs propagierten "langen Krieg" erreicht ist. Analysen aus dem gesamten Parteienspektrum und seitens der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppierungen über die veränderte weltpolitische Lage folgten der Ausrufung des Globalen Kriegs gegen Terrorismus (GWOT) auf dem Fuße. "Neue Kriege" machten Autorinnen und Autoren aus. Unter ihnen die Soziologieprofessorin Maria Mies von der Universität Köln. In "Krieg ohne Grenzen - Die neue Kolonisierung der Welt" will sie vor allem auf den Zusammenhang zwischen Krieg nach außen und nach innen aufmerksam machen. Sie geht dabei auf den besonderen Einfluß der Konzerne ein, die ihrer Einschätzung nach sowohl vom Neuaufbau nach der kriegerischen Zerstörung als auch vom Aufbrechen neuer Absatzmärkte zu profitieren versuchen, wobei Wirtschaft und Politik Hand in Hand arbeiten. Nach den 9/11-Anschlägen wurden in den USA ein neues Heimatschutzministerium gegründet, das Patriot Act verabschiedet und völkerrechtswidrige Angriffskriege gegen Afghanistan und Irak vom Zaun gebrochen.

Zahlreiche Staaten entsandten ihre Soldaten in das keineswegs eroberte, aber nachhaltig zerschlagene Land an Euphrat und Tigris, und das NATO-Mitglied Deutschland, das sich auf "keine Abenteuer" einlassen wollte, hat die Krieger aus Amerika bei ihren Feldzügen tatkräftig unterstützt. Zudem wurden und werden auch hierzulande neue Anti-Terror- beziehungsweise Sicherheitsgesetze verabschiedet. Sie bilden einen Stützpfeiler der Neuen Kriege.

Angesichts der gar nicht zu überschätzenden Tragweite des Mehrfrontenkriegs des Westens gegen die staatliche Souveränität ebenso wie gegen die individuelle Freiheit ist es zu begrüßen, daß sich Maria Mies nicht auf Detailfragen beschränken, sondern das gesamte kriegerische System auf die Hörner nehmen will:

"In der Debatte um die Neuen Kriege wird oft der eine gegen den anderen Gesichtspunkt ausgespielt: das Öl gegen das geostrategische Ziel einer neuen US-Hegemonie, eines neuen US-Imperialismus, eines Empires. In einem kapitalistischen Weltsystem, wo die ökonomische Macht nicht ohne die militärische Macht auskommt, ist dies ein müßiger Streit. Wir haben es sowohl wirtschaftlich als auch militärisch mit dem einen Kriegssystem zu tun. Und dies war von Anfang an auf Weltherrschaft aus.

Unter Kriegssystem verstehe ich ein System, das nicht nur in Kriegszeiten als System funktioniert, sondern dessen Logik auch in sogenannten Friedenszeiten die Wirtschaft, die Wissenschaft und praktisch den Alltag bestimmt."
(S. 11/12)

Nicht weniger als dieses Kriegssystem in seinen heutigen Ausprägungen zu beschreiben und das Interesse seiner Nutznießer zu benennen ist die Autorin in ihrem 2003 herausgegebenen und seit 2005 in einer zweiten, unveränderten Auflage vorliegenden Buch angetreten. Im ersten von drei übergreifenden Teilen beschreibt sie zunächst "das globale Freihandelssystem als globales Kriegssystem" und kommt darin zu dem Schluß, daß sich Strukturanpassungsmaßnahmen und andere Eingriffe in die nationale Souveränität der Länder des Südens durch IWF, Weltbank und Welthandelsorganisation nicht minder verheerend auf die Volkswirtschaften ausgewirkt haben, als wenn diese von Kriegen überzogen worden wären.

Die Unternehmen des Nordens profitieren laut Mies von der Öffnung der Märkte der sogenannten Entwicklungsländer, gleichermaßen wie sich die Rüstungsindustrie von den mit militärischen Mitteln geführten Kriegen Vorteile erwirtschaftet. Auch die Regierungen sind an dem globalen Kriegssystem beteiligt. Sie verhalten sich opportunistisch und handeln unilateral, wenn es um den Schutz ihrer eigenen Wirtschaft geht, aber multilateral, wenn sie schwächere Staaten an die Kandare nehmen wollen.

In Kapitel 3 dieses ersten Teils vertritt Claudia von Werlhof, mit der die Autorin bereits zu früherer Gelegenheit unter anderem über das Multilaterale Investitionsschutzabkommen (MAI) zusammengearbeitet hat, in dem einzigen nicht von Mies geschriebenen Beitrag die These, daß Krieg nicht etwa nur Fortsetzung der Politik, sondern auch der Wirtschaft mit anderen Mitteln ist. Als Beispiel nennt von Werlhof das GATS, das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen. Damit ist ein Unterabkommen der Welthandelsorganisation (WTO) gemeint, das darauf abzielt, Dienstleistungen, eine der letzten Bastionen, die noch nicht von den Verfechtern der Liberalisierung geschliffen wurde, zu privatisieren und zu kommerzialisieren. Die Autorin bezeichnet die Intention des GATS als "Kolonialpolitik zum Zwecke fortgesetzter ursprünglicher Akkumulation und Enteignung: der Aneignung von Volksvermögen und Naturressourcen seitens der Konzerne in aller Welt". Diese Wirtschaftspolitik sei "gewalttätig und unmittelbar verknüpft mit dem anderen Gesicht der Globalisierung, nämlich dem Krieg". (S. 44)

Damit stellt von Werlhof die Behauptung der Neoliberalen und anderer, die "freie" Marktwirtschaft predigender Ökonomen wieder vom Kopf auf die Füße: Wirtschaftswachstum erzeugt nicht mehr Wohlstand für alle, sondern verstärkt mehrheitlich den Mangel. Mögen sich die Mittel von Krieg und Wirtschaft auch unterscheiden, ihre jeweilige Ergebnislage ist die gleiche: Menschen sterben - ob sie von GATS oder von Granaten getroffen werden, spielt am Ende keine Rolle.

Nach einem einleitenden Kapitel zum ideologischen Krieg, der in den Köpfen beginnt, schreitet Maria Mies in Teil II, "Entwicklung des globalen Kriegssystems", in jeweils eigenen Kapiteln die Stationen Jugoslawien-, Afghanistan- und Irakkrieg ab und konstatiert schließlich:

"Wenn wir nach den längerfristigen ökonomischen und geostrategischen Interessen der USA hinter der Erklärung eines 'langandauernden Krieges' gegen den Terrorismus fragen, dann kommen wir nicht umhin, an eine Re-Kolonisierung der Welt zu denken. Dieser neue Kolonialismus kann mit Kriegen gegen den Terrorismus anfangen, wie dem Krieg gegen Afghanistan. Es geht aber um die gesamte Golfregion, Irak, Iran und wer weiß, eventuell auch um Pakistan, Indien, Indonesien, Syrien und Nordafrika."
(S. 104)

Hier greift Mies weit, aber nicht so weit wie an anderer Stelle ihres Buchs. In dem Wort "Geostrategie" ist das Ziel eigentlich bereits enthalten: Es geht um eine Strategie zur Beherrschung der gesamten Erde. Wer wollte bezweifeln, daß die neunziger Jahre davon geprägt waren, die atomar bewaffnete und daher auch für den Westen gefährliche Sowjetunion zu zerschlagen und zu entmachten? Kampflos sind NATO-Truppen bis in die ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts vorgerückt. Und mit der Aufnahme der drei baltischen Republiken ist die Europäische Union bis auf rund 650 Kilometer an Moskau herangerückt. Man sollte sich nicht vertun, nur weil bei der Einhegungsstrategie des Westens gegenwärtig marginale Ziele in Angriff genommen werden: Rußland befindet sich nach wie vor im Visier der US-Strategen und ihres Juniorpartners EU.

Die aktuelle Hetzkampagne des Westens gegen China, dem alle erdenklichen Vorwürfe (Umweltverschmutzung, Verletzung der Menschenrechte, Hochrüstung, räuberische Finanzpolitik) gemacht werden, zeigt unverkennbar, daß auch Rußland nicht das Ende der Fahnenstange ist, mit der die USA und EU ihren Herrschaftsanspruch rund um die Welt tragen.

Im dritten Oberkapitel analysiert Mies die Krisenhaftigkeit des Wirtschaftssystems und benennt die mörderischen Folgen des Bestrebens seiner Profiteure, ihre privilegierte Position dauerhaft zu sichern. "Krieg ohne Grenzen" hat Mies den abschließenden Teil ihres Buchs überschrieben. Darin spannt sie einen Bogen von der NATO-Doktrin, in der die Sicherung der lebenswichtigen Rohstoffversorgung der westlichen Welt "der zentrale Begriff zur Bestimmung neuer Kriegsziele und Kriegsgründe" (S. 117) sei, über zyklisch auftretende Konjunkturkrisen des Systems (S. 126), der Vernichtung der Subsistenz (S. 157) bis hin zum "sozialen Krieg" (S. 194). Abschließend hält Mies ein Plädoyer für die Antiglobalisierungs- und Friedensbewegung (S. 210), wobei sie in einem Atemzug Lob und Tadel verteilt. Der "Zusammenschluss von AktivistInnen, die gegen die neoliberale Globalisierung kämpfen, mit den FriedensaktivistInnen" ist auf jeden Fall "ein Schritt in die richtige Richtung" (S. 215), doch müßten die gemeinsamen Analysen "deutlicher als bisher die Dimension des ökonomischen Krieges, der internen und äußeren Kolonisierung und des imperialen Kapitalismus mit bedenken". Denn:

"Es reicht nicht mehr, nur diesen oder jenen Krieg stoppen zu wollen. Das gesamte integrierte ökonomisch-militärische Kriegssystem muß beendet werden.

Dies ist ein uraltes System, das tief in die Geschichte der patriarchalen, westlichen Zivilisation zurückreicht und viele Dimensionen hat. Der Krieg zwischen den Geschlechtern gehört ebenso dazu wie der Krieg gegen die Natur, das westliche Fortschrittsparadigma und die Kolonisierung fremder Völker ebenso wie die ökonomischen Interessen hinter diesen Kriegen."
(S. 215)

Die Autorin glaubt allerdings, daß die De-Legitimierung der Regierungen weiter voranschreitet und eine wachsende Zahl von Menschen die Globalisierung ablehnt, und wünscht, "dass mehr und mehr Menschen, die den Frieden wollen, diese Zusammenhänge verstehen und bereits jetzt anfangen, eine 'andere Welt', eine andere Wirtschaft, eine andere Politik, eine andere Demokratie und eine andere Wissenschaft mitten in der 'alten Welt' aufzubauen" (S. 217/218). Erfolg werde es nicht durch einen gewaltsamen revolutionären Umsturz geben, sondern nur bei einer direkten, praktischen und ideologischen Partizipation aller Menschen, ist Mies überzeugt.

Die globalgesellschaftliche Entwicklung der letzten fünf Jahre nach dem ersten Erscheinen von "Krieg ohne Grenzen" beweist, daß ihre Analyse eines umfassenden Kriegssystems zutrifft, möglicherweise sogar in einem Ausmaß, wie es die Autorin nicht erwartet hat. Denn ihre Hoffnung, daß in den USA John Kerry und nicht Bush das Ruder in die Hand nimmt, wurde enttäuscht. Und die von Mies favorisierte Antiglobalisierungsbewegung steht zwar durchaus auf breiten Füßen, doch kommt sie an den Stellen nicht vom Fleck, an denen sie reformistisch bleibt und an jene gesellschaftlichen Kräfte appelliert, die den Nutznieß aus der vorherrschenden Raubordnung ziehen.

Maria Mies und alle, die eine andere Welt anstreben, laufen Gefahr zu übersehen, daß ihre Utopie ausgerechnet jene Voraussetzungen in die angestrebte andere Welt transportiert, die dem umfassenden Kriegssystem, von dem in diesem Buch die Rede ist, zugrundeliegen. Wenn die Autorin "einen neuen Realismus und einen neuen Blick auf die Wirklichkeit" verlangt und als wichtige Einsicht festhält: "Der Mensch - auch die kleinen Jungen - werden nicht als Krieger geboren. Sie werden dazu gemacht" (S. 15), dann stellt sie zwar zurecht fest, daß der Krieger ein gesellschaftliches Produkt ist und daß die Herrschenden ein starkes Interesse an der Verbreitung dieses Menschenbilds haben, aber damit berührt sie noch nicht die Frage, was eigentlich einen Beherrschten zu dem macht, was er ist.

Bei einer gegen das globale Kriegssystem gerichteten Positionierung wird leicht vergessen, daß es keine Herrschaft ohne Beherrschte gibt, daß also Beherrschbarkeit die Voraussetzung für Herrschaft ist. Eine andere Welt würde somit ihrem Anspruch nicht gerecht, wenn ihre Anhänger nicht einen unversöhnlichen Umgang auch mit den eigenen Anteilen an Herrschaft, nämlich der eigenen Beherrschbarkeit, pflegten. Ansonsten wäre die Qualifizierung von Herrschaft die unausweichliche Konsequenz. Der Werdegang einer Reihe von weiblichen und männlichen Mitgliedern der früheren Umwelt- und Friedensbewegung über die Gründung der Partei der Grünen bis in hohe Regierungsämter hinein ist das augenfälligste Beispiel für diese Entwicklung.

Zwar ist Mies zuzustimmen, wenn sie schreibt, daß auch die kleinen Jungen nicht als Krieger geboren werden, aber der Mensch, egal welchen Geschlechts, kommt mit einem Mund, Verdauungstrakt und mit Händen zur Welt. Er entwickelt Zähne, die beißen, und Finger, die klammern. Auch in der heutigen komplexen Gesellschaft bildet die Sicherung der eigenen Existenz die wesentliche Triebfeder des menschlichen Handelns. Da es keine andere Art im Tierreich gibt, die ihr Überleben dermaßen vernichtend zulasten der eigenen Artgenossen zu sichern versucht wie der Mensch, besteht die Gefahr, daß sich die angestrebte andere Welt, solange diese Voraussetzungen ignoriert werden, als weiterer zivilisationsgeschichtlicher Irrtum erweist, der das von Mies beschriebene globale Kriegssystem lediglich auf die nächst höhere Ebene transformiert.

14. Januar 2008


Maria Mies
Krieg ohne Grenzen. Die neue Kolonisierung der Welt
Neue Kleine Bibliothek Bd. 94
Mit einem Beitrag von Claudia Werlhof
PapyRossa Verlag, 2., unveränderte Auflage, Köln 2005
ISBN 978-3-89438-286-4
14,80 Euro, 227 Seiten