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REZENSION/465: Andrea Mayr - Literaturgeschichte der Aran-Inseln (SB)


Andrea Mayr


The Aran Islands in Anglo-Irish and Irish Literature

A Literary History and Selected Studies



In der Keltischen Renaissance Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts sowie im Gründungsmythos des ab 1922 unabhängigen Staats Irland kommt keinem Ort ein höherer Stellenwert zu als den Aran-Inseln. Auf diesen drei kleinen, dünnbesiedelten und baumlosen Felsen an der Zufahrt zur Bucht von Galway, umgeben vom rauschenden Atlantik, hat Wiliam Butler Yeats die Inspiration für seine Vision einer Keltischen Götterdämmerung bekommen, Lady Gregory die gälischen Volksgeschichten gesammelt, die sie nach der Übersetzung ins Englische und in andere Weltsprachen berühmt machten, und John Millington Synge den Stoff gefunden, den er unter anderem für das Drama "The Playboy of the Western World" verarbeitete. 1904 gründeten diese drei als Nationalbühne eines erst im Gedanken existierenden, befreiten Irlands das berühmte Abbey Theatre in Dublin.

1916 führten zwei weitere leidenschaftliche Aran-Pilger, die Lehrer- und Schrifstellerkollegen Pádraig Pearse und Tomás MacDonagh, jenen Osteraufstand an, der sechs Jahre später mit dem Abzug der britischen Streitkräfte aus 26 von 32 Grafschaften Irlands ein wichtiges Etappenziel erreichen sollte. Der erste Rebell, der nach der Besetzung des an der O'Connell Street im Herzen Dublins liegenden General Post Office und der feierlichen Ausrufung der Irischen Republik im Kugelhagel fiel, war ein Abbey-Schauspieler namens Seán Connolly. Nach der blutigen Niederschlagung des Aufstands und der standesrechtlichen Erschießung der 13 wichtigsten Anführer durch das britische Militär sollte sich Yeats im Gedicht "Easter, 1916" unter Verweis auf sein 1902 uraufgeführtes Theaterstück Cathleen ní Houlihan über die unterdrückte und von ihren Kindern in Stich gelassene Mutter Irland die Frage stellen: "Did that play of mine send out / Certain men the British shot?"

Die Aran-Inseln waren in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und auch danach für Irlands Intellektuelle von großer Bedeutung, weil sich wegen ihrer Abgeschiedenheit dort die gälische Sprache, die nach der großen Hungersnot infolge der Kartoffelplage Mitte des 19. Jahrhunderts unter der Bevölkerung auch der westlichen, weniger vom britischen Einfluß tangierten Hälfte der Grünen Insel fast ausgestorben war, erhalten hatte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand sich auf der kleinsten der drei Inseln, Inis Meáin, praktisch die letzte Gemeinde Irlands, deren Mitglieder ausschließlich Gälisch sprachen. Dieser Umstand zusammen mit der urtümlichen Lebensweise der Bauern- und Fischerfamilien und der malerischen Umgebung - hohe Klippen, rauhe, steinige Landschaft, prähistorische Ringbauten - inspirierte mehrere Generationen, sich für die Wiederbelebung der gälischen Sprache als wichtigster Teil der kulturellen Erneuerung Irlands einzusetzen.

In ihrem Buch "The Aran Islands in Anglo-Irish and Irish Literature - A Literary History and Selected Studies" hat es sich Andrea Mayr zur Aufgabe gemacht, "die spezifischen Paradigmen und Funktionen der literarischen Darstellungen" der Aran-Inseln zu untersuchen und die Texte um sie "innerhalb des allgemeinen Kontextes der irischen Geschichtsschreibung und der irischen kulturellen Diskurse" zu verorten. [1] Dies ist ihr im höchsten Maße gelungen. Zu loben sind nicht nur die fundierten Kenntnisse der 1978 im österreichischen Feldkirch geborenen Autorin von der sehr umfangreichen Materie, sondern auch ihre Beherrschung der englischen Sprache (selbst wenn der vorliegende Text aufgrund der Einbettung in postkoloniale und strukturalistische Theorie gelegentlich etwas begriffslastig daherkommt).

Nach einem umfassenden Überblick über die Geschichte der Aran-Inseln und ihre literarische und kulturelle Bedeutung für Irland bis zum heutigen Tag nimmt Mayr ausgewählte Werke von fünf Schrifstellern unter die Lupe, um die fortlaufende, jahrzehntelange Interaktion zwischen Mythos und Wirklichkeit um das atlantische Shangri La zu beleuchten: Emily Lawless' Roman "Grania, The Story of an Island" von 1892, Synges Reisebericht "The Aran Islands" von 1907, James Joyce' Kurzgeschichte "The Dead", die 1914 als Teil der Sammlung "Dubliners" erschienen ist, Liam O'Flahertys Roman "Thy Neighbour's Wife" von 1923 sowie die Gedichte Máirtín ó Direáins, der von 1910 bis 1988 lebte. Lawless und Synge, weil Angehörige des in Irland bis zur Unabhängigkeit herrschenden, vor Jahrhunderten aus England gekommenen, protestantischen Landadels, gelten als Vertreter der "anglo-irischen" Literatur, während Joyce, O'Flaherty und ó Direáin, weil aus der alteingesessenen, dem katholischen Glauben treu verbunden gebliebenen Urbevölkerung stammend, zu den rein "irischen" Schriftstellern gezählt werden.

In Lawless' "Grania", der Geschichte einer um ihre Eigenständigkeit in einer zutiefst patriarchalischen Gesellschaft kämpfenden Frau, stellt Mayr zahlreiche Elemente fest, die das klassische Bild der Aran-Inseln als letztes Refugium einer mit der Natur verbundenen, unbeherrschbaren irischen Seele ausmachen. In Synges "The Aran Islands" trifft sie bei allen darin enthaltenen wissenschaftlichen Details auf eine Idealisierung ärmlicher Verhältnisse, die auf Außenstehende romantisch gewirkt hat, jedoch der Lebenslage der Betroffenen nicht unbedingt gerecht wurde (nicht umsonst wanderten bis vor kurzem viele Kinder der Aran-Inseln mit Erreichen der Volljährigkeit in die USA aus). Überzeugend zeigt Mayr in ihrer Auslegung der Bedeutung des gälischen Erbes der Aran-Inseln in Joyce' "The Dead" - 1987 von dem Hollywood-Regisseur John Huston, den eigenen Tod vor Augen, meisterhaft verfilmt -, wie sehr die unangenehme Frage des kulturellen Verlusts den bedeutendsten Romancier Irlands umgetrieben hat.

O'Flaherty und ó Direáin stammten selbst von Inis Mór, der größten der Aran-Inseln. Für beide war Gälisch die Muttersprache. In ihren Schriften trugen sie, wie Mayr zeigt, dazu bei, ein realistischeres Bild des Insellebens zu zeichnen, wiewohl sie beide bis zu ihrem Lebensende noch für eine Verwirklichung der Ziele des Osteraufstands - nämlich eine freie und sozial gerechte irische Republik, in der die gälische Sprache mindestens so häufig gesprochen wird wie die englische - eintraten und die unübersehbaren Mängel des neuen, vom reaktionären Einfluß der katholischen Kirche dominierten Staates beklagten. Als bekennender Kommunist war O'Flaherty, dessen auf Gälisch verfaßte Kurzgeschichtensammlung "Dúil" nach Meinung vieler Kenner in Sachen Beobachtungsgabe und Ausdruckskraft nur von Joyce' "Dubliners" übertroffen wird, der Feindschaft der katholischen Geistlichkeit Irlands besonders ausgesetzt.

Zum Schluß einige kritische Anmerkungen. Auf den Seiten 51, 53 und 54 gibt es eine Reihe krasser Falschdatierungen, die vor dem Gang zum Drucker hätten behoben werden müssen. Wenn Mayr im Zusammenhang mit dem kulturellen Diskurs Robert Flahertys Film "Man of Aran" von 1934 ein ganzes Unterkapitel einräumt, bleibt es unerklärlich, warum Graham Linehans Fernsehkomödie "Father Ted", die auf einem aran-ähnlichen "Craggy Island" spielt und die in den neunziger Jahren in Irland und Großbritannien enorm erfolgreich gewesen ist, keinerlei Erwähnung findet. Mayrs Einschätzung der Aran-Trilogie des derzeit hochgehandelten Dramatikers Martin McDonagh als "challenging", das heißt "anspruchsvoll", und des Geschmacks seines Publikums als "sophisticated", also "kultiviert", muß man nicht unbedingt teilen. Manche Leute finden Gewaltexzesse à la Quentin Tarantino, ob auf der Bühne oder Leinwand, langweilig und halten sie für einen Ausdruck intellektueller Faulheit.

17. Dezember 2008

Fußnote:

1. Für alle Übersetzungen aus dem englischen Originaltext ins Deutsche ist die Schattenblick-Redaktion verantwortlich.


Andrea Mayr
The Aran Islands in Anglo-Irish and Irish Literature
A Literary History and Selected Studies
Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main, 2008
334 Seiten
ISBN: 978-3-631-56599-5