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REZENSION/476: Marie-Monique Robin - Mit Gift und Genen (Monsanto) (SB)


Marie-Monique Robin


Mit Gift und Genen

Wie der Biotech-Konzern Monsanto unsere Welt verändert



Seit Beginn der Industriealisierung, aber verstärkt in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat in der Agroindustrie ein weltweiter Konzentrationsprozeß stattgefunden. Begünstigt durch die Türöffner Deregulierung und Liberalisierung und verschleiert durch den Mythos des freien Marktes, auf dem jeder angeblich die gleichen Chancen zur Profitmaximierung hat, wurden die kleinen von den großen und diese von den noch größeren Unternehmen geschluckt. Der Konzentrationsprozeß brachte global agierende Konzerne mit vielen tausend Angestellten und einem Jahresumsatz von mehreren Milliarden Euro hervor. So bildeten sich krebsartig wuchernde Ungetüme heraus, denen nur schwer Zügel anzulegen sind und die mit ihrer Expansion Einfluß auf gesellschaftliche Bereiche gewinnen, der eigentlich keiner auf Bereicherung abzielenden Interessensgruppe zugestanden werden sollte.

In der Branche der global agierenden, sich strategisch positionierenden Konzerne nimmt der in St. Louis, Kansas, ansässige Chemieriese Monsanto eine herausragende Stellung ein. Der Quasi-Monopolist auf dem Gebiet der sogenannten Grünen Gentechnik - rund 90 Prozent der weltweit gepflanzten gentechnisch veränderten Saaten gehen auf sein Konto - hat den uralten, seit dem menschheitsgeschichtlichen Beginn der Landwirtschaft praktizierten Umgang der Bauern mit Saatgut, nämlich stets einen kleinen Teil der Ernte für die nächste Saison aufzubewahren, für seine Produkte abgeschafft. Wer von Monsanto Saatgut erwirbt, muß einen Knebelvertrag unterzeichnen, der ihn vertraglich verpflichtet, jedes Jahr neue Lizenzgebühren an das Unternehmen zu entrichten.

Um besser beurteilen zu können, auf welch fadenscheiniger wissenschaftlicher Grundlage Monsanto sein Weltreich errichtet hat, ist es unerläßlich, die molekularbiologischen Verfahrensweisen, die sich das Unternehmen zunutze macht, zu kennen. Die Behauptung, ein Saatgut sei gentechnisch verändert, hat in erster Linie die Funktion, daß es als Erfindung anerkannt wird und somit dem Patentschutz unterworfen werden kann. Bei einer genaueren Untersuchung, was denn das originär Genetische an den eingesetzten Techniken sein soll, stößt man auf das Schrotschußverfahren, bei dem artfremdes, etwa tierisches Zellmaterial an Goldpartikel geheftet und auf das zu verändernde Saatgut abgefeuert wird. Es kann keine Rede davon sein, daß Zellbestandteile (Gene) wie in einem Baukasten in ihrer spezifischen Funktion erkannt, ausgetauscht, stillgelegt oder ergänzt werden können. Ob die befrachteten Goldpartikel der Saat anhaften, wo dies geschieht, ob sie beim Wachstum der Pflanze integriert werden, welche Eigenschaft die Veränderung auslöst und ob diese an die nächste Generation weitergegeben wird, all diese Fragen sind zunächst offen. Erst bestimmte Erfahrungswerte erlauben eine gezieltere Selektion. Nichts anderes machen konventionelle Züchter auch. Dennoch, so primitiv das Schrotschußverfahren auch erscheint, gelingt es mit ihm doch, selbst animalisches Zellmaterial in die Saat einzubringen.

Die Autorin Marie-Monique Robin geht in ihrem Buch "Mit Gift und Genen" zwar nicht auf die wissenschaftlichen Voraussetzungen der Gentechnologie ein - zu diesem wenig beleuchteten Thema sei "Das Buch des Lebens. Wer schrieb den genetischen Code?" von Lily E. Kay (München, 2001) wärmsten empfohlen -, doch was sie an Beispielen über die Machenschaften Monsantos zusammengetragen hat, kann einem schier den Atem verschlagen.

Als konzeptioneller Glücksgriff erweist sich Robins Beschreibung der Anfänge des Unternehmens, das zunächst mit dem hochgiftigen PCB und später mit dem berühmt-berüchtigen Entlaubungsmittel Agent Orange, von dem die USA während des Vietnamkriegs rund 44 Millionen Liter über das asiatische Land versprüht haben und das noch heute zu schweren Krankheiten der Einwohner und gehäuften Mißbildungen bei Neugeborenen führt, für Negativschlagzeilen gesorgt hat. In den achtziger Jahren kam das bovine Wachstumshormon rBGH hinzu. Es fördert nicht nur die Milchleistung der Kühe, sondern dummerweise bei den Konsumenten der Milch auch Krankheiten wie Brustkrebs. Für Europa besitzt rBGH keine Zulassung.

Die französische Journalistin beschreibt detailreich, wie der Konzern in all diesen Fällen strafrechtliche Konsequenzen seiner sinistren Machenschaften, die Krankheit und Tod gebracht haben, entweder ganz und gar vermeiden oder aber mit relativ geringen Strafen abwettern konnte. Der historische Rückgriff auf die Geschichte des Konzerns ist wichtig, denn PCBs, Agent Orange und rBGH sind keine Themen mehr, die gewöhnlicherweise heute noch mit dem umstrittenen Unternehmen verbunden werden. Inzwischen steht der Name des Chemieriesen, dessen Einstieg in die Agroindustrie den fortgesetzten Vertrieb des Entlaubungsmittels Agent Orange nach dem Ende des Vietnamkriegs in Form der chemischen Substanz Glyphosat, dem Hauptbestandteil des Pestizids Roundup, gesichert werden konnte, für den Versuch, rücksichtslos gentechnisch verändertes Saatgut auf dem gesamten Globus zu verbreiten und entsprechend hohe Lizenzeinnahmen zu erwirtschaften.

Robins langer Anlauf, nach den verschiedenen Stationen der Unternehmensgeschichte schließlich auf das eigentliche Thema der Grünen Gentechnik zu sprechen zu kommen, erweist sich als kluger Schachzug. Denn die Methode offenbart die Skrupellosigkeit, mit der das Unternehmen von jeher wissenschaftliche Studien manipuliert oder unterdrückt, unliebsame Forscher zum Schweigen gebracht, die Öffentlichkeit hintergangen und nicht zuletzt Landwirte um ihre Existenz gebracht hat.

Entgegen der Behauptung Monsantos und der Befürworter der Grünen Gentechnik unterscheidet sich die gentechnisch veränderte Saat von ihren Inhaltsstoffen und ihrem strukturellen Aufbau her sehr wohl von konventionellen Züchtungen. Das hatte der am schottischen Rowett Research Institute arbeitende Biochemiker Arpad Pusztai in Tierversuchen herausgefunden. 1998 berichtete er davon, daß Ratten, die gentechnisch veränderte Kartoffeln zum Fressen bekamen, im Unterschied zu mit herkömmlichen Kartoffeln gefütterten Ratten ein schwächeres Immunsystem sowie organische Verkümmerungen aufwiesen.

Nachdem Pusztai, der ursprünglich gemeinsam mit seinen Kollegen voller Optimismus angetreten war, die Vorzüge der Gentechnik zu beweisen, im Fernsehen vor dem Verzehr gentechnisch veränderter Produkte gewarnt hatte, wurde er zunächst von seinem Vorgesetzten am Institut für das ausgezeichnete Interview gelobt, aber tags darauf fristlos gefeuert! Er durfte nicht einmal mehr an seinen Schreibtisch, um seine Forschungsergebnisse abzuholen. Was war geschehen? Es heißt, US-Präsident Bill Clinton hätte den britischen Premierminister Tony Blair angerufen, und dieser habe das Rowett-Institut unter Druck gesetzt, Pusztai zu entlassen. Beinahe wäre es Monsanto und seinen Lobbyisten gelungen, den Forscher nicht nur kaltzustellen, sondern auch kaltzumachen, denn der Forscher erlitt aufgrund der Aufregung um diese skandalösen Vorgänge und der seiner Entlassung folgenden massiven Versuche der Rufschädigung einen Herzinfarkt, den er überlebte.

In "Von Gift und Genen" werden zahlreiche ähnlich gelagerte Fälle von wissenschaftlicher Zensur beschrieben, wobei Robin besonderen Wert darauf legt, die Kumpanei zwischen staatlichen Einrichtungen wie der FDA (Food and Drug Administration) der USA und Monsanto herauszustellen. Zwischen den US-Behörden und dem Unternehmen findet ein regelmäßiger personeller Austausch statt, als wenn zwischen ihnen eine Drehtür angebracht wäre. Manch einer wechselt gleich mehrfach hin und her. Michael Taylor, eine der berüchtigsten Figuren, die Robin aufs Korn genommen hat, erlebt derzeit in der Obama-Administration ein Comeback. Taylor ist als Leiter der neuen US-amerikanischen Food Safety Administration (FSA), der Lebensmittelsicherheitsbehörde, im Gespräch. Da wird der Bock zum Gärtner gemacht, und das hat, wie in dem vorliegenden Buch überzeugend herausgearbeitet wird, System. Taylor wäre dann neben Landwirtschaftsminister Tom Vilsack ein zweiter einflußreicher Verfechter der Grünen Gentechnik in der Regierung Barack Obamas.

Hätte Robin die Recherchen für ihr Buch nicht schon im vergangenen Jahr abgeschlossen, hätte sie mit Sicherheit auch über einen Gesetzentwurf mit der Bezeichnung Farm Bill HR 875, dem Food Safety Modernization Act, geschrieben. Die Vorlage sieht unter anderem die Gründung der FSA vor und wird zur Zeit im US-Senat debattiert. Das Gesetz trägt die unverkennbare Handschrift Monsantos. Das verwundert nicht weiter, wurde HR 875 doch von der Abgeordneten Rosa DeLauro eingebracht. Ihr Mann, welch Zufall, arbeitet bei dem Konzern. Der Gesetzentwurf wird in den USA bereits als "Tod des organischen Anbaus" bezeichnet, weil mit ihm landwirtschaftliche Kleinproduzenten Auflagen unterworfen werden sollen, die diese nicht erfüllen können. Die kommenden Opfer der neuen Regulierung werden Monsanto und anderen Großunternehmen wie reife Früchte in den Schoß fallen.

Zu den großen Stärken des vorliegenden Buchs gehört Robins Methode, sich nicht mit Sekundärquellen zufrieden zu geben, sondern in die USA, nach Kanada, Indien oder auch Südamerika zu reisen, um mit Bauern, Saatguthändlern, Wissenschaftlern und Politikern zu sprechen. Wie in dem gleichnamigen, sehenswerten Film "Von Gift und Genen" kommt die Autorin bei den Interviews ziemlich schnell auf den Punkt und erläutert anschließend der Leserschaft, was die jeweiligen Aussagen der Befragten bedeuten und wie sie einzuordnen sind. Der Aufwand, den die Autorin bei ihren vierjährigen Recherchen betrieben hat, schlägt sich ohne jeden Zweifel positiv nieder. Bedauerlich nur, daß das faktenreiche Buch über kein Stichwortverzeichnis verfügt, ansonsten hätte es auch als Nachschlagewerk empfohlen werden können.

Man darf von ihm jedoch keine gesellschafts- oder gar systemkritische Einordnung erwarten. Robin hat ungeheuer fleißig gesammelt und ihre Ergebnisse plausibel und auf anschauliche Weise präsentiert. Aber sie analysiert nicht. Sie verliert kein Wort über das kapitalistische System und die von ihm bereitgestellten Produktionsbedingungen, die ein Abschöpfen des Mehrwerts aus fremdbestimmter Arbeit erst ermöglichen.

Kein Konzern könnte derart an Einfluß auf die Nahrungsmittelproduktion gewinnen wie Monsanto, wenn die Regierungen ihm nicht den Weg bereiteten. Politik und Wirtschaft greifen Hand in Hand, gemeinsam profitieren sie von einer Verwertungsordnung, in der die chemische Kontamination von Flüssen, Pflanzen, Tieren und somit auch Menschen bestenfalls als Kollateralschaden angesehen, allzu häufig jedoch geleugnet wird. Wer wie Robin die politischen Rahmenbedingungen weitgehend ignoriert, in denen ein Konzern seine Expansion vorantreiben kann, bleibt oberflächlich, anekdotisch und damit in sicherer Deckung vor dem scharfen Wind, der jedem augenblicklich entgegenweht, der sich dem Vergleich in gute und schlechte Unternehmen mit Nachdruck verweigert und das System an sich in Frage stellt. Das nicht aus den Augen verlierend kann "Von Gift und Genen" jedem ans Herz gelegt werden, der sich für ein so hochbrisantes Thema wie die Nahrungsversorgung der Menschheit interessiert.

15. April 2009


Marie-Monique Robin
Von Gift und Genen
Wie der Biotech-Konzern Monsanto unsere Welt verändert
Aus dem Französischen von Dagmar Mallett
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009
463 Seiten
ISBN 978-3-421-04392-4