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REZENSION/482: Thomas Darnstädt - Der globale Polizeistaat (SB)


Thomas Darnstädt


Der globale Polizeistaat

Terrorangst, Sicherheitswahn und das Ende unserer Freiheiten



"Was also machen wir, um den Frieden zu retten vor dem Terrorismus - und vor denen, die alle Grenzen niederreißen, um Krieg gegen den Terrorismus führen zu können?" (S. 324) Der unentschiedene Charakter dieser von dem Juristen und Journalisten Thomas Darnstädt im vorliegenden Buch aufgeworfenen Frage faßt die zentrale Unterlassung seiner Analyse und vermeintlichen Kritik anschaulich zusammen. "Der Terrorismus" bleibt als zentrales Axiom aller Legitimationskonstrukte, derer sich die Urheber des erweiterten Sicherheitsbegriffs bedienen, unhinterfragt. Indem diese Letztbegründung der Entuferungen exekutiver Gewaltanwendung in der angemaßten Gültigkeit eines vermeintlichen Sachzwangs akzeptiert wird, enthebt sich der Autor von vornherein der Möglichkeit, wirksame Kritik an der herrschenden Sicherheitspolitik zu üben.

Darnstädt erinnert nicht an die historisch verbürgten Belege für die Inszenierung und Durchführung terroristischer Anschläge durch in staatlichem Auftrag operierende Geheimdienste und Organisationen, er hält es nicht für erforderlich, auf die virulenten Widersprüche zu verweisen, durch die die offiziellen Untersuchungsergebnisse zu den Anschlägen des 11. September 2001 in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert werden. Der Autor wirft nicht die Frage auf, wie es um die Verwendbarkeit eines Terrorismusbegriffs bestellt ist, der auf irreguläre Kämpfer beschränkt wird, während in staatlichem Auftrag durchgeführte Mordanschläge von eindeutig politischer Absicht als Polizeiaktionen gutgeheißen werden. Er moniert nicht, daß Anschläge auf Leib und Leben von Ausländern, Obdachlosen und Behinderten in der Bundesrepublik nicht als terroristische Akte geführt werden, obwohl ihre rechtsradikalen Urheber damit eindeutige politische Signale setzen.

Indem der Autor der Unterstellung einer neuen Art politisch motivierter Gewalttätigkeit stattgibt, indem er einer von Geheimdienstlern und Innenministern behaupteten Bedrohung, die den Rahmen konventioneller krimineller Handlungen überschreiten soll, Gültigkeit verschafft, begibt er sich auf ein schwankendes, zwischen Sicherheitstechnokratie und Bürgerrechtsschutz ausgespanntes Seil, um sich ins Netz eines Kompromisses zu retten, mit dem er den Verteidigern demokratischer Rechte und Freiheiten einen Bärendienst erweist.

Erschwert wird die Lektüre des Textes durch eine inkonsistente Mischung aus Reportageelementen, deren Erkenntnisgewinn zu gering ist, als daß ihre auflockernde Wirkung gerne in Anspruch genommen würde, aus fachlich anspruchsvollen Exkursen, die die Expertise des ausgebildeten Juristen demonstrieren, aus im Alltagsjargon daherkommenden Karikaturen der Widersprüche in Zeiten der Terrorangst und persönlichen Anmerkungen, die sich nie zur Streitbarkeit einer unzweifelhaften Position verdichten, sondern stets hinter dem Schutzwall der Relativierung verborgen bleiben. Darnstädt fällt die Unentschlossenheit seines gegen die Auswüchse sicherheitsstaatlicher Gewalt erhobenen Einspruchs allemal auf die Füße, so daß diese niemals in Richtung produktiver Kritik losmarschieren, sondern im Vor und Zurück des vorsichtig abwägenden Für und Wider verbleiben. So sehr der Autor als um seine Rechte und Freiheiten besorgter Bürger auftreten mag, so sehr er Interessantes zum Thema zu berichten weiß, die notorische Ambivalenz seiner Argumentation verhindert jede glaubwürdige Parteinahme zugunsten der demokratischen Rechte von staatlicher Repression betroffener Menschen.

Seine Ausführungen zu den Entwicklungen des "globalen Polizeistaats" seit dem 11. September 2001 beschränken sich nicht auf exekutive Maßnahmen und legislative Entwicklungen, sondern widmen sich umfassend abgehandelten juristischen und rechtsphilosophischen Fragestellungen, in deren Mittelpunkt Zuständigkeit und Abgrenzung staatlicher Eingriffsbefugnisse stehen. Dabei geht Darnstädt ausführlich auf die Vordenker des "Feindstrafrechts" ein und läßt die Debatten um die Anwendung der Folter im Ausnahmefall, um Administrativhaft und das Luftsicherheitsgesetz Revue passieren. Die unaufhaltsam erscheinende Anwendung hocheffizienter, das Leben des einzelnen Bürgers bis auf seine DNA-Struktur durchleuchtender Überwachungs- und Ermittlungsmethoden wird von Darnstädt mit gebotener Deutlichkeit als Einbruch in aus gutem Grund rechtlich geschützte Bereiche zurückgewiesen, wiewohl die Behauptung, "nicht die Maßnahmen der Terrorfahndung" seien "das Problem, sondern ihre gesetzlichen Voraussetzungen" (S. 137), eine gewisse Blauäugigkeit gegenüber den konkreten Auswirkungen antiterroristischer Verfolgung nicht verhehlen kann.

Darnstädt ist zu sehr Rechtstheoretiker, als daß er sich die Empathie jener Aktivisten zu eigen machte, die in Solidarität mit den Gefangenen des Terrorkriegs für dessen vollständige Einstellung streiten. Der elaborierten Erörterung polizei- und strafrechtlicher Fragen des Umgangs mit sogenannten Terrorverdächtigen entspricht die große Distanz, die der Autor zu den politischen und gesellschaftlichen Bedingungen des Terrorkriegs und der auf ihn bezogenen Vorverlagerung exekutiver Eingriffe in den Bereich bislang durch die Unschuldsvermutung geschützter bürgerlicher Freiheit hält. So wird die Aufhebung der Unterscheidung zwischen Rechtsbrechern als Ziel polizeilicher und Kombattanten als Objekt militärischer Maßnahmen im Rahmen des Ausnahmezustands unter Verweis auf den NS-Staatsrechtler Carl Schmitt, zu dessen zahlreichen Anhängern sich Darnstädt nicht zählt, zwar kritisch referiert. Die lakonische Behauptung, Schmitts berühmtes Diktum "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", sei "bei Licht betrachtet, Unsinn" (S. 32), wird jedoch dessen Bedeutsamkeit für die Durchsetzung exekutiver Gewalt nicht gerecht.

Bezeichnenderweise schafft Darnstädt mit seiner Theorie eines "Stückchens Niemandsland zwischen innerer Rechtsordnung und Kriegsrecht", in dem Osama bin Laden sein Unwesen treibe und in dem er den "Rückzugsraum des transnationalen Terrorismus" (S. 326) ansiedelt, das positive Äquivalent zu jener Zone der Anomie, die der italienische Rechtsphilosoph Giorgio Agamben als Einfallstor für das Ermächtigungsstreben diktatorischer Kräfte analysiert hat. Während Agamben die Auffassung Schmitts, daß die Funktionsweise der Rechtsordnung letztlich auf dem Ausnahmezustand beruht, um die Rechtsnorm auch unter außergesetzlichen Umständen anwendbar zu machen, so daß sich souveräne Macht gerade durch die daran bewiesene Entscheidungsgewalt artikuliert, in einem Raum der Unbestimmtheit weder außerhalb noch innerhalb der Rechtsordnung verortet, in dem sich staatliche Willkür hemmungslos Bahn brechen kann, geht Darnstädt, indem er die bedingte Aufhebung rechtlicher Grundsätze zum Zwecke der Terrorismusbekämpfung gutheißt, vom Ausnahmezustand als immanentem Bestandteil des Rechts aus.

Sein Problem mit Schmitts Souveränitätsbegriff besteht darin, daß er im Unterschied zu den offenen Verfechtern dezisionistischer Willkür den schönen Schein einer rechtsstaatlich legitimierten Einschränkung demokratischer Grundrechte aufrechterhalten will, so daß er den Anhängern des berüchtigten Staatsrechtlers im Endeffekt näher steht, als er sich eingestehen mag. Darin unterscheidet sich Darnstädt nicht von Politikern, die nach Maßgabe der "wehrhaften Demokratie" exekutive Sondervollmachten erwirtschaften, mit Hilfe derer sich oppositionelle Bewegungen kriminalisieren lassen. Das hat unter anderem zur Folge, daß exekutive Übergriffe legalisierende Konstrukte wie das des "Gefährders" nicht eindeutig genug als Bruch grundrechtlicher Garantien zurückgewiesen werden.

Darnstädts Versuch, eine vermittelnde Position zwischen staatlicher Ermächtigung und dem Schutz der Bürgerrechte einzunehmen, basiert auf der grundlegenden Affirmation der angeblichen Notwendigkeit, den Staat gegenüber Terroristen zu stärken. Sein Verständnis für die Ratio eines Sicherheitsbegriffs, bei dem nicht mehr zwischen innerer und äußerer Sicherheit unterschieden wird, bleibt bei allen Sympathien für liberale Verfassungs- und Völkerrechtler ein Fallstrick, der ihn zumindest zur Anerkennung des angeblich objektiven - für die vermeintliche Rechtsförmigkeit des Ausnahmezustands zentralen - Handlungsnotstands, mit dem Terrorismus eine besondere, sich rechtsstaatlichen Kategorien und Instrumenten entziehende Gefahr bekämpfen zu müssen, veranlaßt. Das mindert die Wirksamkeit seiner Kritik an innovativen Weiterungen sicherheitsstaatlicher Aufrüstung wie der Novellierung des BKA-Gesetzes, der Ausweitung des von ihm nicht eigens als Ausforschungs- und Gesinnungsstrafrecht verworfenen Paragraphen 129 a auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, der Terrorliste der EU und weiterer Formen der exekutiven Vorverurteilung erheblich.

Dementsprechend ist der Blick auf die globale Dimension des Terrorkriegs bei allen erhellenden Informationen im Detail von Unterstellungen über die Existenz einer so realen wie unsichtbaren Bedrohung verhangen. Eine profunde Kritik an der systematischen Demontage des Völkerrechts nach dem Jugoslawienkrieg und an der als Terrorismusbekämpfung ausgewiesenen Kriegführung der NATO in Afghanistan oder Israels in Gaza ist da nicht mehr möglich. Darnstädt nimmt die von den Initiatoren des Terrorkriegs vorangetriebene Doktrin einer angeblich neuen Formen der Kriegführung nicht mehr gerecht werdenden Unterscheidung in verbrecherische oder kriegerische Akte zwar nicht für bare Münze, verzichtet aber darauf, die damit beanspruchte Zuständigkeit des Militärs für Angelegenheiten der inneren Sicherheit anhand des interessenbedingten Charakters imperialistischer Übergriffe auf andere Länder wie der Etablierung militärischer Formen der Aufstandsbekämpfung zur Niederschlagung sozialer Kämpfe im eigenen Land in Frage zu stellen.

Die durchgängige Abwesenheit einer gesellschaftliche Analyse der Bedingungen staatlicher Ermächtigung mündet in die vom Autoren vorgeschlagene Konzeption eines "Antigewaltrechts, das die ganze Erde als Regelungsbereich einer inneren Weltsicherheit ansieht (...). Auch ein solches Recht müsste wohl über Instrumente verfügen, die wir aus dem Kriegsrecht kennen - die vorbeugende Inhaftierung von Gewalttätern etwa, unter Umständen sogar über ein Tötungsrecht, das über die Fälle reiner Nothilfe hinausgeht" (S. 326). Darnstädt redet einer Moderation des Terrorkriegs das Wort, die angeblich "viele neue Wunderwaffen der Terrorismusabwehr überflüssig" und die "Notwendigkeit, im Nebel vager Verdächtigungen zu operieren, (...) weniger drängend" (S. 326) machte.

Hier erweist sich der Versuch der Abwägung zwischen den Forderungen des Sicherheitsstaats und der Wahrung grundrechtlicher Schutzgarantien vollends als Rutsche in die Eskalationslogik einer Exekutive, der die vermeintlichen Sachzwänge, mit denen sie sich legitimiert, schon deshalb nicht ausgehen, weil sie sie zu einem Gutteil selbst durch soziale Repression und imperialistische Kriegführung in die Welt setzt. Darnstädts Behauptung, "auch die schärfsten Instrumente einer Ordnungsmacht sind rechtsstaatlich zu beherrschen, wenn ihre Anwendung vor Ort an manifeste Umstände der besorgniserregenden Art geknüpft ist" (S. 326), erfordert eine Ausweitung polizeilicher Zuständigkeiten auf militärische Kompetenzen und eine Einschränkung staatlicher Souveränität in den Zielgebieten der Terrorismusbekämpfung, die ein Weltgewaltmonopol voraussetzt, das nur zu Lasten der Rechte und Interessen im globalen Gewaltverhältnis unterlegener Bevölkerungen und Staaten gehen kann.

Seine Formel, es handle sich dabei um "Aktionen des Rechts, nicht des Krieges" (S. 327), kommt dem Etikettenschwindel eines neuen Kriegsrechts gleich, das die Vormachtstellung der ökonomisch und militärischen stärksten Staaten zementierte. Seine Behauptung, nur eine "überstaatliche Macht kann in den verwickelten Verhältnissen schwacher, halb starker und gefährlich starker Staaten, in den umstrittenen Niemandsländern der Völkerfamilie regelnd eingreifen, ohne in den Ruch zu kommen, einen Krieg zu führen oder auch nur Politik zu machen" (S. 328), zeugt von der Berufs- und Betriebsblindheit eines Journalisten, der nicht bereit dazu ist, auf bequeme Urteile etwa über den "Serben-Diktator Slobodan Milosevic" und die damit einhergehende Würdigung des vermeintlichen Fortschritts der Einrichtung von "Völkerrechtstribunalen" zu verzichten. Allein die Tatsache, daß die NATO einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien geführt hat, ohne daß sich das schon von seiner völkerrechtlichen Konstitution her fragwürdige Internationale Straftribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) für diesen Rechtsbruch zuständig fühlte, läßt Darnstädts Bezichtigung, Milosevic habe sich Grausamkeiten schuldig gemacht, "die ohne weiteres als Terrorismus zu bezeichnen sind" (S. 21), und seine apodiktische Behauptung, die Kosovo-Albaner hätten einen "zweifellos auf die Verwirklichung von Menschenrechten und Freiheit gerichteten Kampf um die Sezession von Serbien" (S. 107) geführt, als opportunistische Rechtfertigung der von ihm antizipierten Weltgerechtigkeit erkennen.

Der Titel "Der globale Polizeistaat" erweist sich wider Erwarten am Ende der Lektüre als Plädoyer für eben diesen. Wenn Darnstädt die Einrichtung einer supranationalen Instanz der Terrorismusbekämpfung im Entwurf des ehemaligen US-Heimatschutzministers Michael Chertoff, in dem unter dem Titel "The Responsibility to Contain" die "definitive Ausrottung des Terrorismus" (S. 333) betrieben wird, verankert, dann braucht man über die Interessen, die das von Chertoff konzipierte "internationale Rechtsregime" regieren, nicht zu spekulieren. Wer wäre wohl in der Lage, "verantwortungslose oder hilflose Staaten" (S. 333) mit ökonomischen Sanktionen oder militärischen Interventionen zu Leibe zu rücken? Darnstädts Behauptung, dabei werde im Unterschied zu vom UN-Sicherheitsrat oder der NATO beschlossenen Maßnahmen dem internationalen Recht und nicht "der Ranküne der Atommächte oder ehrgeiziger Militärs" (S. 333) zur Geltung verholfen, kann schon durch die in führenden Kreisen der USA und EU vorgedachte Möglichkeit, innerhalb der Vereinten Nationen den hegemonialen Block einer "Liga der Demokratien" zu bilden, als fernab jeder realistischen Einschätzung der Dominanz maßgeblicher administrativer und ökonomischer Kräfte in der "Weltgemeinschaft" (S. 333) verworfen werden.

Eine "Responsibility to Contain" beträfe im Sinne der großen Mehrheit der Menschen die Eindämmung des Griffs führender Funktionseliten nach einer Zentralisierung globaler Verfügungsgewalt, mit Hilfe derer sich der Widerstand gegen antidemokratische Gesellschaftsmodelle, gegen kapitalistische Ausbeutung und imperialistische Kriege unumkehrbar unterdrücken ließe. Die Frage der Macht allein auf der Grundlage rechtstheoretischer und ordnungspolitischer Erwägungen zu stellen, während das Problem kapitalistischer Vergesellschaftung mit keinem Wort erwähnt wird, kann nur zu Lösungen führen, mit denen dem Ermächtigungsstreben der Gewinner im globalen Verteilungskampf innovative Möglichkeiten seiner Verwirklichung geboten werden. Darnstädts Plädoyer für "Frieden durch Recht" (S. 325) läßt sich über den gesellschaftlichen Charakter der von ihm gemeinten Friedensordnung aus gutem Grund nicht aus. Diese Frage nicht nur zu überspringen, sondern die bestehende Verwertungsordnung anhand der Bestätigung ihrer angeblichen Bedrohung durch den Terrorismus zu verabsolutieren, weist den ausufernden Sicherheitsstaat nicht in seine Schranken, sondern produziert neue Legitimität für seine qualifizierte Institutionalisierung.

19. Mai 2009


Thomas Darnstädt
Der globale Polizeistaat
Terrorangst, Sicherheitswahn und das Ende unserer Freiheiten
Ein SPIEGEL-Buch
Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2009
352 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-421-04403-7