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REZENSION/491: Jonathan Torgovnik - Kinder des Krieges (Ruanda-Genozid) (SB)


Jonathan Torgovnik


Kinder des Krieges

Ruanda und die unbekannten Folgen des Völkermords



Selten hat der Rezensent ein Buch in den Händen gehalten, das bei ihm so zwiespältige Empfindungen ausgelöst hat wie Jonathan Torgovniks "Kinder des Krieges". Das Anliegen des Autors, die unbekannten Folgen des Völkermords 1994 in Ruanda in Wort und Bild festzuhalten, indem er sich Frauen zuwendet, die ihre aus Vergewaltigungen entstandenen Kinder zur Welt gebracht und nun mit den geliebten/ungeliebten menschlichen Geschöpfen zu leben gelernt haben, erweist sich als eine empathische Leistung, auch scheinbare Nebenschauplätze dieser menschlichen Tragödie ins Auge zu fassen. Andererseits wird der Leser nicht nur wegen der teils schonungslos offenen Schilderungen männlicher Grausamkeiten unangenehm berührt, sondern auch weil der Vorgang des Fotografierens an sich stets mit einem Übergriff auf das abzulichtende Subjekt verbunden ist. Hier stellen sich Menschen, die das größte Ausmaß an Fremdbestimmtheit erlebt haben, dem Wunsch des Fotografen nach einem - im Sinne seines Anliegens - "gelungenen" Bild zur Verfügung.

In einer Filmsequenz auf der dem Buch beigefügten DVD ist zu erkennen, wie Torgovnik vor einer ärmlichen Hütte in Ruanda seine Hightech-Kamera aufgebaut hat und nun eine Mutter mit ihrem Kind fotografiert. Die Befremdlichkeit dieser Szene springt den Betrachter förmlich ins Gesicht: Hier eine Frau, die furchtbare Qualen überstehen mußte, die von ihrer Dorfgemeinschaft womöglich geschnitten wird, da sie ein Kind der Hutu-Milizen zur Welt gebracht hat, die vermutlich HIV-positiv ist und ständig in existentieller Unsicherheit lebt. Dort der weiße, wohlgenährte Mann, der aus einer reichen Gesellschaft stammt, in die er auch wieder zurückkehren wird, nachdem er in Afrika seinen Job erledigt hat. In einer Penthousewohnung in New York, London oder Berlin macht es sich dann gut, wenn der Bildband eines anerkannten Fotografen, der unter anderem für Newsweek, The Sunday Times Magazine, GEO, Stern, Smithsonian und Paris Match gearbeitet hat, auf dem makellos glänzenden Glastisch ausliegt und für eintreffende Gäste symbolisiert, daß der Wohnungseigentümer ein nachdenklicher Mensch sein will, der nicht völlig abgehoben vom Leid in der Welt ist ...

Handelt es sich demnach um bloße Armuts- und Elendsablichterei, wie sie bekanntlich in Torgovniks Zunft auf eine gewisse Tradition zurückblicken kann? Nun, ganz so einfach läßt sich der Bildband nicht einordnen. Etwas an den Problemen der ruandischen Frauen und ihrer Kinder hat den Fotografen so sehr berührt, daß er gemeinsam mit der Filmemacherin Jules Shell mehr für sie tun wollte, "als lediglich ihre Geschichte zu dokumentieren", wie er in dem Vorwort schreibt. Die beiden haben die gemeinnützige Stiftung Foundation Rwanda gegründet, die den Kindern hilft, weiterführende Schulen zu besuchen, und den Müttern Zugang zu psychologischen und medizinischen Diensten bietet. Zudem will Torgovnik die Aufmerksamkeit auf die Probleme der vaterlosen Familien lenken und entspricht damit offensichtlich einem Anliegen der interviewten Frauen, die sich zu den traumatischen Ereignissen ihrer Vergangenheit geäußert haben. Manche von ihnen zum ersten Mal. In Ruanda selbst, so lesen wir, unterliegt das Thema einem Tabu.

Wenn es Torgovnik mit der Stiftung gelingt, einigen Kindern und Müttern zu helfen, so daß sie wenigstens einen leichten Zugewinn an Lebensqualität erhalten - im Januar 2009 bekamen die ersten 150 Kinder Unterstützung in Form von Schulgebühren, Schuluniformen, Schuhen, Schreibwerkzeug und Fahrgeld für den Besuch der Secondary School -, rechtfertigt das die Verbreitung des Bildbands allemal. Das gilt selbst dann, hätte sich die Motivation des Fotografen darauf beschränkt, lediglich mit dem von seinen Berufskollegen bislang unbeachtet gebliebenen Schicksal der vergewaltigten Frauen und ihrer Kinder eine wahre Goldader an authentischem Leid ausbeuten zu wollen.

Torgovnik inszeniert seine Bilder, alles ist gestellt, nichts dem Zufall überlassen. Keine Fingerhaltung, keine Neigung des Kopfes und auch nicht der irgendwo in der Ferne endende Blick zeigen Menschen, wie sie sich natürlicherseits in ihrer Umgebung verhalten würden. Torgovnik macht die Vergewaltigungsopfer zu Darstellern ihres eigenen Leids, wobei er als Arrangeur geschundener Menschen fungiert. Dabei ähneln sich die Ergebnisse frappant. Alle Gesichter weisen den gleichen traurigen Ausdruck auf. Das stößt zurück - ein Künstler wird sicherlich sagen, daß genau das mit den Bildern beabsichtigt wurde. Der Rezensent muß sich allerdings fragen lassen, auf welche andere Weise, die nicht ebenso distanziert wäre, über diese "unbekannten Folgen des Völkermords" in Ruanda 1994 berichtet werden könnte? Oder sollte man grundsätzlich den Mantel des Schweigens darüber breiten? Gewiß nicht.

Der Völkermord von Ruanda birgt zwar viele weitere Aspekte, als daß er ausreichend damit beschrieben wäre zu sagen, daß böse Hutu über unbescholtene Tutsi hergefallen sind - erstens wurde seit Beginn der 1990er Jahr ein versteckter Kampf zwischen Frankreich und den USA um Einfluß in Ruanda und anderen Staaten im Gebiet der großen Seen Afrikas ausgetragen, zweitens begingen auch die Tutsi-Soldaten der Ruandischen Patriotischen Front (RPF), die nach heutiger Lesart das Land von den Völkermördern "befreit" haben, Massaker an der Zivilbevölkerung -, aber wer wollte den Frauen und Kindern in diesem Buch von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten und ihnen von weiteren Aspekten des Völkermords erzählen? Die Frauen wurden aufs schwerste von Hutu mißhandelt, weil sie als Tutsi oder Tutsi-Freunde identifiziert wurden. Noch heute tragen einige von ihnen als sichtbares Zeichen der teils unzähligen Vergewaltigungen tiefe Narben. Das vorliegende Buch, in all seiner Widersprüchlichkeit ob der ästhetischen Darstellung des Leids, erzeugt zumindest die Ahnung von unsichtbaren, nicht minder tiefen inneren Narben, die niemand zu Gesicht bekommt.

12. August 2009


Jonathan Torgovnik
Kinder des Krieges
Ruanda und die unbekannten Folgen des Völkermords
Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff
Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2009
Buch & DVD, 145 Seiten, 22,00 Euro