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REZENSION/535: Thorsten G. Schneiders (Hrsg.): Islamfeindlichkeit (SB)


Thorsten G. Schneiders (Hrsg.)


Islamfeindlichkeit

Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen



Kein Tag vergeht, an dem der Islam nicht als Spektakel oder Streitfall in deutschen Medien thematisiert wird. So plakativ die gesellschaftliche Auseinandersetzung unter dem Namen dieser monotheistischen Weltreligion inszeniert wird, so vielgestaltig sind die ihr zugrundeliegenden Dispositive sozialer, politischer und religiöser Art. Gerade der besonders ins Auge springende und als Anlaß bürgerlicher Proteste genannte Faktor der Glaubenspraxis erweist sich bei genauerer Betrachtung als der für die Feindseligkeiten antimuslimischer Art irrelevanteste Teil. Diese mögen sich an religiösen Symbolen ritueller oder habitueller Art entzünden, doch liegen ihnen in erster Linie soziale Konflikte zugrunde. Gestritten wird um den jeweiligen Anspruch auf Teilhaberschaft am gesellschaftlichen Gemeinwesen zwischen Großgruppen, denen der einzelne anhand kultureller, ethnischer, nationaler und geschlechtlicher Signaturen zugeordnet wird.

Diese Vergemeinschaftung autonomer Subjekte produziert identitäre Kategorien, anhand derer der jeweils andere in seiner systemisch vorgesehenen Eigenschaft als Konkurrent um knappe Ressourcen dingfest gemacht wird. So aufgeklärt und humanistisch sich die deutsche Gesellschaft und die europäische Kultur geben mögen, so sehr bedingen die regulativen Erfordernisse eines administrativ hochorganisierten, technokratischer Handlungslogik unterworfenen Gemeinwesens die Entstehung pauschalisierender Zuweisungen. Im politisch zweckdienlichen Trieb zur Verallgemeinerung tritt der andere nicht als Mensch in Erscheinung, der den gleichen Problemen humaner Existenz wie sein Gegenüber ausgesetzt ist, sondern als Mitglied eines Kollektivs fremder und potentiell feindlicher Art.

Wo Konflikte zwischen kleinen Organisationseinheiten sozialer, regionaler oder berufsständischer Art als so selbstverständliche wie beherrschbare Begleiterscheinungen gesellschaftlichen Lebens betrachtet werden, bergen Konfrontationen zwischen Großgruppen ethnischer, nationaler, religiöser und ideologischer Zugehörigkeit die Gefahr, sich in physischer Gewalt zu entladen oder gar zu systematischen Vernichtungsaktionen zu entufern. Die schon vor dem 11. September 2001 festzustellende und seit Ausrufung des Globalen Krieges gegen den Terrorismus eskalierte Islamfeindlichkeit ist denn auch eine für das friedliche Miteinander nicht zu unterschätzende Bedrohung. Die Stereotypie der virulenten Feindbilder belegt, daß der von Samuel Huntington nicht nur prognostizierte, sondern mitinitiierte Clash of Civilizations zu einem zentralen Paradigma der globalen Verteilungskämpfe geworden ist. Der sozialen Genese dieser Auseinandersetzung und ihrer zweckrationalen Instrumentalisierung durch hegemoniale Interessen gemäß hat dieser Verlauf längst einen Prozeßcharakter angenommen, der ihn weitgehend immun macht gegen am Symptom ansetzende Interventionen. Um so dringender ist es, die kulturalistische Überformung sozialer Widersprüche zurückzunehmen und sich auf die Grundfragen humanistischer und demokratischer Gesellschaftsgestaltung zu besinnen.

Einen Beitrag dazu leistet der Sammelband "Islamfeindlichkeit", in dem 29 Autorinnen und Autoren unter der Herausgeberschaft des Sozialpädagogen, Islam- und Politikwissenschaftlers Thorsten G. Schneiders verschiedene Zugänge zu diesem Unterfangen eröffnen, selbst wenn sie die Analyse des Problems in dieser Form nicht teilen sollten. Gemeinsam ist allen der akademische Hintergrund, dennoch reicht die Bandbreite der Arbeit am Text vom trockenen sozialwissenschaftlichen Sprachduktus bis zur feuilletonistischen Eleganz kritischer Einlassungen. Mit den vier Abteilungen "Ausgangspunkte islamfeindlichen Denkens in Deutschland", "Zur aktuellen Lage der Islamfeindlichkeit", "Institutionalisierte und instrumentalisierte Islamfeindlichkeit" und "Personelle Islamfeindlichkeit" werden Schwerpunkte gesetzt, die im durchgängigen Bemühen um Reduzierung verallgemeinernder Vorurteile auf den faktischen Kern ihrer Genese ein verbindendes Element finden. Dies schlägt sich bereits in der Einleitung nieder, in der der Herausgeber feststellt:

"Das Buch trägt dazu bei, die Debatte von dem Ballast zu befreien, der den Blick auf jene Aspekte des Islam und des Denkens mancher seiner Anhänger verstellt, die angesichts der Herausforderungen der Moderne tatsächlich einer Weiterentwicklung bedürfen. Das Buch hilft also, die unberechtigte von der berechtigten Kritik zu trennen, es liefert Anregungen für eine Versachlichung der öffentlichen Diskussionen und stellt ein Plädoyer für den Einzug der Vernunft in die Auseinandersetzungen um die Religion des Islam in Deutschland dar."
(S. 14)

Des in der Einleitung angekündigten zweiten Sammelbands unter dem Titel "Islamverherrlichung - Wenn Kritik zum Tabu wird" bedürfte es jedenfalls nicht, um das vorliegende Buch vor dem Vorwurf der Unausgewogenheit in Schutz zu nehmen. Alle Autorinnen und Autoren lassen erkennen, daß sie dem Islam nicht in der Distanzlosigkeit der Gefolgschaft verbunden sind, sondern sich ihrem Sujet unter Inanspruchnahme wissenschaftlicher Objektivität oder im staatsbürgerlichen Interesse an der Aufhebung konfliktträchtiger Entwicklungen nähern. Als ernüchterndes Antidot zur emotional überbordenden Debatte eignet sich das Buch allemal, wird den erregten Mutmaßungen doch die rationale Aufklärung über den Islam in der Bundesrepublik im allgemeinen und der besonders stark vertretenen Gruppe türkischer Muslime im besonderen entgegengehalten.

Während das inhaltliche Schwergewicht des Bandes auf der aktuellen gesellschaftlichen Wahrnehmung des Islam und der Lebenswirklichkeit der Muslime in Deutschland liegt, finden sich auch einige Exkurse in die Historie dieses Spannungsverhältnisses. Dem religionswissenschaftlich interessierten Leser gewinnt Thomas Naumann mit der Erklärung, daß " die mittelalterliche Christenheit den Islam theologisch nicht als Heidentum, sondern als eine christliche Irrlehre, als eine Häresie, begreift" (S. 26), einen interessanten Aspekt der Genese europäischer Islamfeindlichkeit ab. Sein Längsschnitt in die verschiedenen Epochen dieses Konflikts läßt erkennen, wie tief die Quellen sind, aus denen das antiislamische Ressentiment auch in seiner sich modern gebenden Gestalt schöpft. Neumann erinnert daran, daß der Standardvorwurf, die islamische Kultur kranke an vormoderner Rückständigkeit, in den früheren Jahrhunderten christlich-islamischer Koexistenz auf gegenteilige Weise hätte erhoben werden können. Indem er die spätere Unterlegenheit des islamischen Orient in den Kontext der technologischen und politischen Machtentfaltung Europas stellt, wird zudem deutlich, daß die zivilisatorische Suprematie, die in der antiislamischen Ideologie fortlebt, gerade am Mangel derjenigen Werte krankt, mit der ihre Vormachtansprüche legitimiert werden.

Der bislang kaum verwendete Begriff der "Islamfeindlichkeit" für die Einstellungen, die diese Religion monokausal zum Grund diverser Übel erklären, erscheint im übrigen gut gewählt. Der Terminus "Islamophobie" wird dem Problem nur bedingt gerecht, weil er es auf eine psychopathologische Dimension verkürzt, die das objektive politische Interesse am Schüren rassistischer Vorurteile zu gering schätzt. Der vor allem in den Mainstreammedien auf die bekannten Exponenten einer erniedrigenden Stigmatisierung von Muslimen angewendete Begriff der "Islamkritik" krankt daran, daß er den notorischen Affront polemischer Verunglimpfung auf- respektive den antagonistisch zu herrschenden Verhältnissen stehenden Begriff der Kritik abwertet. Der an die Verwandtschaft zu antisemitischen Dispositionen erinnernde Begriff des "Antiislamismus" wiederum kann als nur den politischen Islam meinende Kategorie mißverstanden werden, wiewohl er sich am besten in den antirassistischen Diskurs einfügte.

Der Beitrag Claudio Langes über "Antiislamische Propaganda in den Kirchen als frühes Fundament der Islamfeindlichkeit" besticht mit der profunden Kenntnis der figurativen Elemente sakraler Bauwerke des "islamisch-christlichen" Zeitalters, als das der Autor die Epoche des Mittelalters bezeichnet wissen will, und deren Interpretation als Ausdruck nicht etwa teuflischer oder dämonischer Versuchungen, sondern des Islam als äußerem Feind des Christentums. So ausgefallen Langes Deutungen christlicher Skulpturen erscheinen, so plausibel sind die Argumente, mit denen er sie belegt.

Die medienwissenschaftliche Analyse der "gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen des Islambilds deutscher Medien", die Kai Hafez beisteuert, verzichtet nicht darauf, den Nachweis einer antiislamischen Tendenz in den Medien in den Kontext der materiellen Erwerbsbedingungen journalistischer Existenzsicherung zu stellen. Viel zu selten wird angesichts einer nicht nur tendenziösen, sondern bisweilen von aggressiver Demagogie gezeichneten Berichterstattung über das Thema Islam an die strukturellen Voraussetzungen der Medienarbeit erinnert, die auf den zentralen Feldern des gesellschaftlichen Konflikts die Hegemonie herrschender Interessen sicherstellen.

Werner Ruf leistet die notwendige Darstellung der geostragischen Nutzeffekte antiislamischer Feindbildproduktion und stellt die Verbindung zwischen Fremdenhaß und neoliberaler Austeritätspolitik her. Auch Jochen Hippler trägt mit seiner Kritik am "internationalen Dialog zwischen westlich und muslimisch geprägten Gesellschaften" dazu bei, daß der Blick auf den Zusammenhang zwischen imperialistischer Kriegführung und ihrer kulturalistischen Legitimation nicht zu kurz kommt. Zwar ist der Fokus des Buches auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik gerichtet, doch für das Verständnis der Motive, die Muslime wie ihre sogenannten Kritiker bewegen, ist das Wissen um die Auswirkungen des Hegemonialstrebens der EU und USA im Nahen und Mittleren Osten von nicht unerheblicher Bedeutung. Die der Exekutive neue Handlungsmöglicheiten eröffnende Aufhebung der Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit ist Regierungsdoktrin, auch deshalb erfordert das Verständnis gesellschaftlicher Konflikte, an denen Gruppen mit Migrationshintergrund beteiligt sind, den Blick über den nationalen Horizont hinaus.

Ausgesprochen gründlich wird die Bruchlinie, die die deutsche Gesellschaft längs des Verhältnisses zwischen muslimischer Minderheit und nichtmuslimischer Mehrheit durchzieht, in diversen Beiträgen untersucht. Die Analyse der deutschen Einwanderungs- und Integrationspolitik (Dieter Oberndörfer) und die Untersuchung der verfassungsrechtlichen Bedingungen der Religionsausübung (Stefan Muckel) umreißen den gesetzlichen Rahmen der Konfliktkonstellationen, die mit den Ergebnissen empirischer Untersuchungen über das Verhältnis antiislamischer Vorurteile und muslimischer Lebensrealität (Jürgen Leibold, Mario Peucker, Heiner Bielefeldt) der irreführenden Mutmaßungen entledigt werden, die sie verschärfen. Exkurse über das Verhältnis zwischen jüdischen und türkischen Bundesbürgern und seine Bedeutung für die Schaffung von Akzeptanz bei der Mehrheitsbevölkerung der sogenannten Herkunftsdeutschen (Y. Michael Bodemann und Gökce Yurdakul), über den Umgang der Unionsparteien (Mohammed Shakush) und der Amtskirchen (Wolf-Dieter Just, Jobst Paul) mit dem Islam, über das tatsächliche Ausmaß an Frauen türkischer Herkunft, etwa in Form der berüchtigten Zwangsehen, begangener Gewalt (Monika Schröttle) oder orthodoxer Forderungen an das schulische Lernen der Kinder muslimischer Eltern (Yasemin Karakasoglu) ermöglichen einen offenen Blick auf gesellschaftliche Realitäten, wo er ansonsten durch Gerüchte und Behauptungen verstellt ist. Die Ausführungen Jobst Pauls zur Regensburger Rede des Papstes Benedikt XVI. beeindrucken darüberhinaus mit der Aufdeckung der ideen- und geistesgeschichtlichen Hintergründe dieses in seiner Intention wie Wirkung unterbewerteten Affronts.

Weitere Beiträge sind der Darstellung und Analyse gezielt verletzender Ausfälle antiislamischer Art gewidmet. Der Karikaturenstreit, in dem eine Verabsolutierung des Anspruchs auf Pressefreiheit geltend gemacht wurde, die von ihren Urhebern an anderer, ihnen mißliebiger Stelle keineswegs hochgehalten wird, wird von Siegfried Jäger einer Diskursanalyse unterzogen, Markus Gerhold und Sabine Schiffer lassen mit ihrer Untersuchung antiislamischer Propaganda im Internet den Begriff des Haßpredigers auf seine Urheber zurückfallen, und Franc Wagner widmet sich der sprachanalytischen Aufdeckung diskriminierender Medienpraktiken.

Abschließend unterziehen Thorsten Gerald Schneiders, Birgit Rommelspacher, Martin Riexinger und Micha Brumlik in jeweils eigenen Beiträgen die Wortmeldungen führender Vertreter antiislamischer Positionen wie Henryk M. Broder, Necla Kelek, Seyran Ates, Hans-Peter Raddatz und Ralph Giordano einer ausführlichen Kritik. Allein die umfassende Darstellung der dabei verwendeten Argumentationsstrategien durch den Herausgeber versieht den mit der Materie unvertrauten Leser mit einem ganzen Arsenal von Möglichkeiten, den mit gezielter Kurzschlüssigkeit, systematischer Verdächtigung und vordergründigen Vergleichen operierenden Islamfeinden entgegenzutreten. Auch Birgit Rommelspacher versteht es etwa am Beispiel des Vorwurfs der Bildung von Parallelgesellschaften, die Irrationalität des bloßen Ressentiments in den Werken als "Islamkritikerinnen" hofierter Autorinnen offenzulegen.

Mit der Breite der Themenstellungen und der Fülle des Materials bietet der Sammelband "Islamfeindlichkeit" einen Fundus an antirassistischer Aufklärung, aus dem soziale Bewegungen und öffentliche Bildungsinstitutionen mit vollen Händen schöpfen können. Daran anschließende Analysen zum Verhältnis von kapitalistischer Vergesellschaftung, neokonservativer Ideologie und sozialrassistischen Dispositionen wären wünschenswert, um den kritischen Geist in den Sozialwissenschaften zu stärken und der Vereinnahmung von Forschung und Lehre durch herrschaftliche Interessen entgegenzutreten.

12. August 2010


Thorsten G. Schneiders (Hrsg.)
Islamfeindlichkeit
Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2009
485 Seiten, 39,90 EUR
ISBN 978-3-531-16257-7