Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → SACHBUCH


REZENSION/653: Hans Joachim Schellnhuber - Selbstverbrennung (Klimawandel) (SB)


Hans Joachim Schellnhuber


Selbstverbrennung: Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff



Die meisten Menschen, die sich selbst verbrennen, wollen damit ein Zeichen setzen. Sie wollen auf einen aus ihrer Sicht gravierenden Mißstand und ihre eigene Verzweiflung, kein anderes Mittel als das des finalen Schritts der Selbsttötung zu kennen, aufmerksam machen. Daran knüpft der Physiker Hans Joachim Schellnhuber mit dem Buchtitel "Selbstverbrennung" an. Er setzt auf die Wirkung dieses Begriffs, ohne die damit beschriebene Tat selber zu vollziehen, um seine Mitmenschen wachzurütteln und ihnen vor Augen zu führen, daß eigentlich sie es sind, die sich zur Zeit selbst verbrennen.

Indem die Menschen seit Beginn der Industrialisierung vor rund 200 Jahren in verstärktem Umfang fossile Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) verbrennen, dabei die Erdatmosphäre als ungeregeltes Endlager für klimawirksame Abgase wie Kohlenstoffdioxid (CO2) benutzen und zugleich, beispielsweise durch die Abholzung tropischer Regenwälder oder die Trockenlegung von Mooren, die natürliche Aufnahmekapazität für CO2 verringern, haben sie sich auf einen Weg der langsamen, aber sicheren Selbstverbrennung begeben. Die Erde heizt sich auf. Es können gänzlich neue Klimazonen entstehen, in denen niemand mehr leben kann.


Auf dem Podium mit Mikrofon sitzend - Foto: © 2014 by Schattenblick

Prof. Hans Joachim Schellnhuber auf der "Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions" am 18. August 2014 in Berlin
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schellnhuber erzählt die Geschichte, wie alles anfing mit jener "Selbstverbrennung" oder, um einen gebräuchlicheren Begriff zu wählen, mit dem anthropogenen (menschengemachten) Klimawandel, und es ist zugleich die Geschichte des beruflichen Werdegangs des Autors in einer Zeit internationaler Bemühungen, dieser fatalen Entwicklung entgegenzutreten ... oder sie zu verharmlosen, nicht zuletzt weil die unternehmerische und staatliche Verfügungsgewalt über die strategischen Rohstoffe, die fossilen Energieträger, äußerst profitabel ist. Schellnhuber ordnet dies dem Kapitel 24 "Diktatur des Jetzt" (S. 613) zu. (Hinweis: Alle Seitenangaben beziehen sich auf das E-Book.)

Als Gründungsdirektor des PIK (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung) und Mitglied des WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) - beides seit 1992 - berät Schellnhuber die Bundesregierung seit nunmehr fast einem Vierteljahrhundert in Fragen der Klimapolitik. Ein wichtiger biographischer Eckpunkt war dabei sicherlich die erste Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties, COP) zur Klimarahmenkonvention, die sogenannte COP 1, die 1995 in Berlin stattfand.

Damals hat Gastgeber Deutschland unter Kanzler Helmut Kohl und mit einer Umweltministerin namens Angela Merkel Geschichte geschrieben - zumindest auf dem Gebiet der Klimapolitik. Denn erstmals hatte sich ein Industriestaat zu einer starken Reduktion seiner Treibhausgasemissionen verpflichtet (wozu sicherlich nicht unwesentlich die weitgehende Elimination der ostdeutschen Industrie beigetragen hat), und es war eigenem Bekunden nach der Autor selbst, der mit der sogenannten 2-Grad-Umgrenzung bzw. 2-Grad-Leitplanke einen griffigen, das heißt für Politik und Öffentlichkeit einfach zu kommunizierenden Terminus in die Klimadebatte einbringen konnte.

Hintergrund dieser politischen Leitplanke: Wenn die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau steigt, ist das eine für "die Menschheit" noch einigermaßen erträgliche Temperaturerhöhung. Von diesem Wert ausgehend läßt sich rückwärts rechnen, wieviel Treibhausgase noch emittiert werden dürfen und welche Mengen an fossilen Energieträgern in der Erde bleiben müssen, da ihre Verbrennung das selbstgesteckte Limit überträfe. Wobei sich der Autor darüber im klaren ist, daß die 2-Grad-Leitplanke ein politischer Grenzwert ist, bei dessen Einhaltung Menschen aufgrund verstärkter Naturkatastrophen zu Schaden kommen oder als Folge des Meeresspiegelanstiegs ihre Heimat verlieren. Allerdings, ohne diese Leitplanke und bei einem Weiter-so-wie-bisher würde die globale Durchschnittstemperatur sehr viel höher steigen, so daß die Verluste um so größer ausfielen.

Man muß es dem Autor danken, daß endlich jemand einige kritische Worte über die für Klimasimulationen und die darauf bezogenen politischen Antworten häufig verwendeten Zeitangaben "bis Ende des Jahrhunderts" oder "bis zum Jahr 2100" verliert. Denn die globale Erwärmung endet nicht in 85 Jahren, sondern würde, sofern ihr nicht entschieden entgegengewirkt wird, weiter steigen. Das beträfe vielleicht schon die Kinder, auf jeden Fall aber die Enkel der jetzigen Generation - so wie das heutige Klima auch von dem bestimmt wurde, was unsere Großeltern gemacht haben.

Das Buch ist nicht nur in naturwissenschaftlicher Hinsicht anregend und lehrreich geschrieben (wenig überraschend angesichts der Reputation des Autors), da es äußerst fundiert und systematisch aufgebaut die Leserschaft an eine Reihe von Kernfragen innerhalb des Klimadiskurses heranführt, sondern auch, weil es den Voyeur in uns mit einigen schmackhaften, teilweise recht pfeffrigen Charakterbeschreibungen und Anekdoten aus der Klimawissenschaft und -politik beliefert. (Etwas überraschend, könnte man doch meinen, man sähe hinter den Fenstern des in attraktiver Lage im Einsteinpark auf dem Telegrafenberg in Potsdam gelegenen PIK, an dem Schellnhuber arbeitet, nur gräuliche "Eierköpfe", die tagein, tagaus von frühmorgens bis spät in die Nacht gewaltige Datenmengen zu Kurvendiagrammen aufkonzentrieren ...)

Einen Themenschwerpunkt bilden die bereits erwähnten COPs, die in Berlin ihren Anfang nahmen und zuletzt im Dezember 2015 in Paris (COP 21) ausgetragen wurden, also nach Erscheinen dieses Buchs im November 2015. Insofern weiß man nicht, ob nach Ansicht des Autors die manchmal süffisanten Schilderungen der Kongreßscharaden auch auf den vorläufig letzten Gipfel dieser Art zutreffen: "Ich habe persönlich an mehr als der Hälfte dieser Klimagipfel teilgenommen und sie mehrfach öffentlich als die Höchststrafe der Natur für die menschlichen Umweltfrevel bezeichnet. (...) COPs dauern üblicherweise volle zwei Wochen, aber in der ersten davon geschieht rein gar nichts - zumindest in der Wahrnehmung derjenigen, die nicht Teil des unmittelbaren, im Kern winzigen Verhandlungsapparates sind." (S. 71-72)

"Noch die kleinste Information, welche versehentlich oder durch gezielte Indiskretion aus den geschlossenen Gesellschaften an die Konferenzöffentlichkeit dringt, wird begierig von den Analysten und Lobbyisten, vor allem aber von den Tausenden von Journalisten aufgegriffen, die wie Drogensüchtige auf Zwangsentzug in den trostlosen Korridoren, Cafés, Hotels und Pressezentren herumlungern. So entsteht eine wirre Atmosphäre aus Gerüchten und Pseudosensationen, welche jeden Tag eine neue diplomatische Wetterlage vorgaukelt."

Auch in der zweiten Verhandlungswoche passiere fast nichts, plaudert Schellnhuber munter aus dem Nähkästchen. Erst wenn die völlig erschöpften Delegierten in die Verlängerung gehen - "die Finalspieler haben seit Tagen nicht mehr das Licht der Sonne erblickt und nichts anderes geatmet als die hundertfach umgewälzte Konferenzluft, angereichert mit den Düften aus museumsreifen Teppichböden und Cafeterien mit Gruselkabinettcharme" - strebt das Treffen "seinem kafkaesken Höhepunkt zu ...". (S. 76-77)

Dieses ausführlich und wohl auch mit einem Schuß Galgenhumor beschriebene "COP-Theater" erinnert Schellnhuber an eine Farce - wohingegen er das Schauspiel auf der berüchtigten COP 15 im Jahr 2009 in Kopenhagen als "Tragödie" bezeichnet (S. 78). Wir sparen uns hier, abgesehen von einem kurzen Zitat, ausführlicher auf die lesenswerten Ein- und Auslassungen des im übrigen nicht nur von Schellnhuber kritisierten Klimagipfels in der dänischen Hauptstadt einzugehen - "so entschieden am Ende nur noch fünf Personen über die vorläufige Umweltzukunft der Erde" (S. 123-124) -, möchten aber nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß auf keiner anderen COP vor und nach "Kopenhagen" derart unverhohlen deutlich geworden ist, daß hegemoniale Absichten von Politik und Wirtschaft das Verhandlungsgeschehen zum Klimaschutz bestimmen. Demnach könnte man sagen, daß das eigentliche Versagen des dänischen Organisationsteams vor allem darin bestand, diese Interessenlage nicht genügend verschleiert zu haben ...

Hier könnte das Märchen "Des Kaisers neue Kleider" des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen von hinten nach vorne erzählt werden: 2009 hat die Weltöffentlichkeit noch gemerkt, daß der Kaiser gar keine Kleider trägt. Der wesentliche Erfolg des Klimagipfels 2015 in Paris bestand darin, diese Scharte ausgewetzt zu haben. Hochgejubelt als "historischen Wendepunkt in der globalen Klimapolitik" (Angela Merkel [1]), "Wunder von Paris" (Spiegel online [2]) oder gar, in aller Unbescheidenheit, "Sieg für den ganzen Planeten und zukünftige Generationen" (John Kerry [3]) erweist sich das "Abkommen von Paris" als Konvolut unverbindlicher Absichtserklärungen und bloßer Vorhaben. [4]


Seitenansicht des Backsteingebäudes, von dem zwei der insgesamt drei Kuppeln des Bauwerks abgebildet sind - Foto: © 2012 by Schattenblick

Das PIK - Forschungsstandort mit Panoramablick
Foto: © 2012 by Schattenblick

Doch von solcher Selbstüberschätzung zurück zum Buch "Selbstverbrennung", dem der Autor manchmal eine sehr persönliche, ja, familiäre Note verleiht. So schreibt er von seinem 2008 geborenen Sohn Zoltan, dem er ein glückliches Leben wünsche. Dies zum Anlaß nehmend, formuliert der Autor seine Gedanken zu "Glück", das für ihn mit Teilen zu tun hat: "Die Vorzüge des Egoismus werden ohnehin stark überschätzt: Wer einen Ort mit wunderbarem Panoramablick kennt, wer ein erlesenes Kunstobjekt besitzt, wer eine besonders tiefe Erkenntnis gewonnen hat, wird all dies für eine Weile exklusiv beanspruchen und genießen wollen. Doch die Aussicht, die Ansicht, die Einsicht werden uns selbst noch größere Freude bereiten, wenn wir sie mit anderen teilen können." (S. 812/813)

Der Begriff "teilen" hat einen zentralen Stellenwert im Klimaschutz und auch für Schellnhuber, der sich vorstellt, über "Verteilungsgerechtigkeit" (S. 313) der sozialen Folgen des Klimawandels Herr werden zu können. Eine Hoffnung, die sich wohl kaum auf die gegenwärtige Verteilung und praktizierte Gerechtigkeit der vorherrschenden Weltordnung berufen kann, hat diese doch rund 800 Millionen Hungernde und etwa zwei Milliarden Unterernährte hervorgebracht. Die Frage lautet somit, wer verteilen darf - was im höchsten Maße eine politische Frage ist und zeigt, wie eng Klimaforschung und Gesellschaftsordnung zusammengehen.

Selbst der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gerd Müller, rekurriert im Februar 2014 in einem Artikel mit dem Titel "Gemeinsames Ziel - Geteilte Verantwortung" auf die Idee des Teilens in der Klimapolitik [5]. Jenes gemeinsame Ziel wurde im Pariser Abkommen mit der 2-Grad-Leitplanke ausgewiesen. Zugleich wurde darin die Absicht der Vertragsstaaten formuliert, möglichst die 1,5-Grad-Leitplanke einhalten zu wollen. Doch wer darf noch wie viele Treibhausgase emittieren? Geteilte Verantwortung bedeutet, daß die Industriestaaten zu ihrer historischen Verantwortung für Treibhausgasemissionen stehen, die Schwellenländer aber, auf die inzwischen der überwiegende Teil der Emissionen entfällt, sich ebenfalls zu CO2-Reduktionen verpflichten.

Was die Sache komplizierter macht, als auch von Schellnhuber beschrieben, wird daran deutlich, daß ein Land wie China als "Werkbank der Welt" in erheblichem Umfang für die Aufrechterhaltung des anspruchsvollen westlichen Konsumstils produziert. Müßten dafür nicht eigentlich die hiesigen Verbraucherinnen und Verbraucher in die Verantwortung genommen werden? Andererseits profitiert natürlich auch China von seiner Exportstärke, und so weiter und so fort.

Der Einfluß der sogenannten Klimaskeptiker oder Klimaleugner, die, je nach Couleur, entweder leugnen, daß ein Klimawandel stattfindet, oder den menschlichen Einfluß auf die Klimaentwicklung in Frage stellen, auf die öffentliche Wahrnehmung der Klimawissenschaft ist anscheinend sehr hoch. Bemüht sich doch Schellnhuber sehr darum, die wichtigsten Schritte nachzuzeichnen, wie die Wissenschaft entdeckt hat, daß CO2 ein klimarelevantes Gas ist, warum es also immens wichtig ist, an dieser Stelle den CO2-Emissionen gegenzusteuern, und wie dieses Anliegen von Lobbyisten der Erdölindustrie hintertrieben wird.

Die simulationsgestützten Klimaprojektionen werden in diesem Buch ebensowenig ausgespart wie die desaströsen gesellschaftlichen Konsequenzen, die eintreten können, sollte die globale Erwärmung nicht oder nicht rechtzeitig gebremst werden. Betroffen wären vor allem die ärmeren Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, und in den Tropen und Subtropen liegen. "Insofern stellt der Klimawandel auch in dieser Hinsicht das Verursacherprinzip auf den Kopf." (S. 165)

Der Klimawandel ist ein "großer sozialer Scharfrichter" (S. 169), stellt der Autor fest, der zwar ganz und gar unverdächtig ist, sozialistischem Gedankengut anzuhängen, aber erfreulicherweise auch keine Hemmung hat, einen Autor wie Mike Davis zu zitieren. Der US-amerikanische Marxist hat nämlich mit "Die Geburt der Dritten Welt - Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter" (2004) ein fulminantes Werk vorgelegt [6]. Darin argumentiert er laut Schellnhuber "auch für Klimaexperten überzeugend" (S. 306-307), daß in der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts drei Phasen extremer Hungerkatastrophen unter anderem in Indien und China vom Klimaphänomen El Niño beeinflußt wurden. Schellnhuber zollt Davis' Ausführungen höchsten Respekt, wenn er schreibt:

"Im 19. Jahrhundert schlug El Niño in den 'Kolonien' und anderen vom Imperialismus [Anm. d. SB-Rezensenten: gemeint ist hier vornehmlich das British Empire] kontrollierten Teilen der Welt zu. Die Choreographie der dadurch vor allem in Indien und China in Gang gesetzten Totentänze wird von Mike Davis in besagtem Buch mit fast unerträglicher Faktenkenntnis enthüllt." (S. 308-309)

Die Kolonialherren ließen zig Millionen Menschen verhungern. An den Bahngleisen, über die in Zeiten der Dürre noch immer Getreidezüge in Richtung der Häfen rollten, um Nahrungsmittel nach Großbritannien zu verschiffen, verreckten die Menschen in Massen. Schellnhuber konstatiert: "Aber wie im Fall der irischen Tragödie der 1840er-Jahre bringen nicht allein die Klimamächte Tod und Verderben, sondern vor allem auch die unbarmherzigen politischen Ideologien der herrschenden Regimes - oft im Verein mit neuartigen Wirtschaftsinteressen auf der Grundlage technischer Fortschritte." (S. 309-310)

Für Davis hätten insbesondere die Briten klimatische Desaster genutzt, um in den "spätviktorianischen Holocausts" (Der Originaltitel des Buchs lautet: Late Victorian Holocausts: El Nino Famines and the Making of the Third World) die "Unterentwicklung" der sogenannten Dritten Welt überhaupt erst hervorzubringen. "Dieser tollkühnen These einer politischen Ökologie des Hungers muss man keineswegs folgen", zeigt sich Schellnhuber vorsichtig, "aber unbestreitbar fielen die Kolonien und Protektorate des Westens während jener Jahre in ihrer Entwicklung weit zurück." (S. 312-313)

Das Verhältnis zwischen Mensch und Klima sei in der Wissenschaft "nicht immer angemessen" reflektiert worden, schreibt der Autor, der sich sowohl gegen den Klimadeterminismus ausspricht, wonach die menschliche Gesellschaft wesentlich vom Klima bestimmt wird, als auch gegen die Vorstellung, daß das "'soziale Konstrukt' des gesellschaftlichen Verständnisses von Klima und Klimawandel wichtiger sei als die physikalischen Realitäten selbst" (S. 314).

Der Klimaexperte spricht sich deutlich gegen Konzepte des Geoengineerings aus, bei denen beispielsweise die Einstrahlung des Sonnenlichts durch schnellwirksame Maßnahmen wie die regelmäßige Injektion von Schwefelpartikeln in der Stratosphäre verringert werden soll, aber er befürwortet die Abscheidung, Verflüssigung und Speicherung (CCS, Carbon Capture and Storage) von Kohlendioxid aus Kraftwerken und anderen Quellen. Denn: "Im Grunde genommen handelt es sich bei dieser Überlegung gar nicht um einen Geoengineering-Ansatz, sondern um einen technischen Verbesserungsvorschlag, mit dem man das fossile Betriebssystem wesentlich klimafreundlicher betreiben könnte. Das Ersetzen von Kohle durch Erdgas würde man ja auch nicht als Klimamanipulation bezeichnen. Die breite Einführung von CCS wäre somit ähnlich zu sehen wie die Installierung von Schwefelfiltern in fossilen Kraftwerken." (S. 685)


Der Ingenieur steht neben den übermannshohen Installationen des Bohrlochs Ktzi 201 zur CO2-Einspeisung und dem Zuleitungsrohr - Foto: © 2015 by Schattenblick

Dipl.-Ing. Fabian Möller erklärt am 21. Mai 2015 beim Tag der offenen Tür des Pilotstandorts zur geologischen CO2-Speicherung in Ketzin, Brandenburg, die Installationen, mit denen in Deutschland Grundlagenforschung für CCS (Carbon Capture and Storage) betrieben wird.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Im Unterschied zu Schellnhuber ("revolutionär", S. 402-403) und vielen Umweltexperten kann der Rezensent der Einschätzung nur sehr bedingt folgen, daß das internationale Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht aus dem Jahr 1989 ein großartiger Erfolg war. Denn erstens fand das Protokoll vermutlich nur deshalb die Zustimmung der US-Delegation, weil bestimmte Patentrechte des US-Chemieriesen DuPont bald abliefen und es von daher keinen triftigen Grund gab, gegen ein Verbot des "Ozonkillers" FCKW zu votieren, zweitens war auch mit den Ersatzstoffen (die teils ebenfalls "klimaschädlich" sind) und der technologischen Umrüstung für Chemiekonzerne gute Geschäfte zu machen und drittens ist die vermeintliche Erfolgsgeschichte nicht ganz so eindeutig, wie es die Wissenschaft in der und für die Öffentlichkeit kommuniziert. Jedenfalls hat die Ausdehnung des Ozonlochs im vergangenen Jahr den Rekordwert aus dem Jahr 2006 erreicht. [7]

Der Autor zählt nicht zu jenen Forschern, die den Standpunkt vertreten, lediglich reine Naturwissenschaft betreiben, und was daraus folgt, anderen überlassen zu können. Dementsprechend handelt "Selbstverbrennung" nicht nur von Klimawissenschaft, sondern auch von der Klimapolitik. Schellnhuber propagiert die seit COP 15 in Kopenhagen sich wachsender Beliebtheit erfreuenden Idee des Klimaschutzes als "Weltbürgerbewegung" (S. 725) und erklärt, nunmehr gehe es darum, "auch das kleinste fossile Betriebssystem für nicht mehr gesellschaftsfähig zu erklären" (S. 741-742).

Dabei muß man seinen Standpunkt nicht teilen, daß erst das Klima gerettet werden sollte (unausgesprochen: und man sich ja anschließend um die politischen Verhältnisse kümmern kann), wenn er schreibt: "In dieser turbulenten Epoche bleibt jedenfalls keine Zeit und keine Energie für einen geordneten Klassenkampf mit wohlverteilten Rollen." (S. 796-797) Verhält es sich nicht genau umgekehrt, daß keine Zeit bleibt für eine Klimaschutzbewegung von unten, die nach den von oben vorgegebenen (und heftig verteidigten!) Spielregeln gesellschaftliche Umbrüche anbahnt?

War es nicht von jeher ein beliebtes Mittel der Herrschaftssicherung, mutmaßliche Sachzwänge, irgendwelche äußeren Umstände, auf die man angeblich keinen Einfluß hat, (die aber "zufällig" die vorherrschende soziale Ordnung befestigen ...) oder gar Feindbilder zu schaffen, um Menschen zu Untertanen oder, in postmodernen Zeiten, zu Knechten des Wachstumszwangs zu machen?

Angesichts des enormen Umfangs von 978 Seiten und der inhaltlichen Gewichtigkeit der Themen, auf die wir nur zum kleinen Teil eingehen konnten, drängt sich für das Buch "Selbstverbrennung" geradezu die Bezeichnung "Lebenswerk" auf. Doch mit solchen Titulierungen verhält es sich wie mit dem Nobelpreis: In den meisten Fällen ist von den solcherart Geehrten nicht mehr viel zu erwarten. Deshalb würde "Lebenswerk" dem gesamten vergangenen Wirken und den womöglich noch kommenden Werken dieses Klimaphysikers nicht gerecht.


Fußnoten:

[1] http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2015/12/2015-12-12-klimagipfel.html

[2] http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/un-klimavertrag-zehn-gruende-fuer-das-wunder-von-paris-a-1067540.html

[3] http://www.bbc.com/news/live/science-environment-34922775

[4] http://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09r01.pdf

[5] https://www.bmz.de/de/presse/reden/minister_mueller/2014/Februar/20140228_beitrag_e_und_z.html

[6] Näheres dazu unter:
REZENSION/224: M. Davis - Die Geburt der Dritten Welt (Imperialismus) (SB)
http://schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar224.html

[7] Näheres dazu unter:
UMWELTLABOR/285: Auf dem Atmosphärenauge blind ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula285.html

6. Januar 2016


Hans Joachim Schellnhuber
Selbstverbrennung: Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff
Kindle Edition von C. Bertelsmann, München 2015
ISBN 978-3-641-17526-9
978 Seiten, 23,99 EUR


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang