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REZENSION/685: Bernhard Knierim - Essen im Tank (SB)


Bernhard Knierim


Essen im Tank

Warum Biosprit und Elektroantrieb den Klimawandel nicht aufhalten



Im Großen wie im Kleinen - der mechanisierte Transport von Menschen und Gütern verbraucht Energie zumeist fossilen Ursprungs und stellt daher ein Problem für die Beschränkung des Klimawandels dar. Dennoch wurde der internationale Gütertransport auf See, wie eine aktuelle Studie [1] zeigt, auf Betreiben der Schiffahrtindustrie vom Paris-Abkommen ausgenommen. Vor allem aber hat die Containertechnologie, die den Welthandel per Schiff dominiert, eine Senkung der Frachtkosten bewirkt, ohne die die ausschließlich an Kosten ökonomischer Art orientierte internationale Arbeitsteilung, bei der Produktionsstufen von Agrar- und Industrieerzeugnissen auf der Jagd nach Kostenvorteilen rund um den Globus transportiert werden, nicht machbar wäre. Das ist nur ein Beispiel von vielen, das die Relevanz von Transportkosten für eine raumgreifende und ressourcenintensive Güterproduktion illustriert, die am Ende einen seinerseits Natur und Menschen schadenden Konsum ermöglicht, den zu verändern nicht nur eine Frage des guten Willens, sondern der sozioökonomischen Verhältnisse im warenproduzierenden Kapitalismus ist.

Viel präsenter als der Schiffsverkehr im Bewußtsein der Menschen ist allerdings der motorisierte Fahrzeugverkehr. Die Fortbewegung per PKW, dessen Motor fossile Energieträger in Bewegungsenergie umwandelt, bedarf nicht nur ungeheurer Mengen von Treibstoff mit hoher Energiedichte. Sie nimmt auch Fläche in Anspruch in Form von asphaltierten Straßen und Parkplätzen sowie der Industrieanlagen, die sie technisch ermöglichen. Der in den urbanen Ballungsräumen hochentwickelter Metropolengesellschafen lebende Mensch hat zudem auf höchst unterschiedliche Weise am Straßenverkehr teil. Wer es sich leisten kann, besitzt ein eigenes Automobil, das in der Mehrzahl der Fälle allein oder zu zweit benutzt wird, wenn es nicht ohnehin stillsteht, wie zum allergrößten Teil seines Lebenszeitzyklus. Wer das Geld dafür nicht aufbringen kann oder will, benutzt den Öffentlichen Personennahverkehr, fährt Fahrrad oder geht zu Fuß.

Das Leben auf den Straßen der Stadt, die beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg häufig in Sicht auf die Erreichbarkeit aller Ziele mit PKW und LKW konzipiert wurden, ist nicht nur für Fußgänger und Radfahrer, auf die die Mehrzahl der Opfer bei Verkehrsunfällen entfällt, ein riskantes und aufgrund des Lärms und der Abgase unerfreuliches Unterfangen. Die Autofahrer selbst stecken häufig im Stau oder ärgern sich über rote Ampeln, die sie immer wieder zum verbrauchstechnisch höchst ineffizienten Bremsen und Anfahren nötigen. Wer Wert auf Lebensqualität im öffentlichen Raum legt, kann der von vielbefahrenen Verkehrsachsen durchzogenen Stadt immer weniger abgewinnen. Reclaim The Streets nannte sich eine politische Aktionsform im Vereinigten Königreich der 1990er Jahre. Aus dem Protest gegen den Bau neuer Straßen entstand eine antikapitalistische Basisbewegung, die die Inanspruchnahme der Stadt durch den motorisierten Individualverkehr als Privatisierung des öffentlichen Raums kritisierte und ihn mit unangemeldeten Straßenparties und anderen Aktivitäten solange unterband, bis die AktivistInnen von der Polizei vertrieben wurden.

Heute geht der Protest gegen die Unwirtlichkeit verkehrstechnisch für das Automobil erschlossener Städte vor allem von organisierten RadfahrerInnen aus, die etwa Critical-Mass-Demonstrationen veranstalten, bei denen bisweilen mehrere zehntausend RadfahrerInnen die ansonsten Autos vorbehaltenen Straßen für sich in Beschlag nehmen. Doch die sozialräumliche Ausdehnung ist nur ein Problem des von Motoren, die fossilen Treibstoff verbrennen, bestimmten Straßenverkehrs. Die Frage der für den Antrieb der Fahrzeuge verbrauchten Energie treibt die Politik bis in die höchsten Etagen von Staat und Gesellschaft um, und das nicht nur, weil der Anteil des Verkehrs an den CO2-Emissionen der Bundesrepublik 20 Prozent betrifft und damit großen Einfluß auf das Erreichen der in Paris zugesagten Klimaziele hat. Er stellt auch durch das vom Auspuff in die atembare Atmosphäre abgegebene Stickstoffioxid wie durch die verschiedenen Feinstäube, die beim Betrieb der Fahrzeuge etwa an den Bremsen oder im Motor entstehen, ein erhebliches gesundheitspolitisches Problem dar. Nicht zuletzt ist die ununterbrochene Verfügbarkeit fossiler Energie ein geostrategischer Faktor, der zum Beispiel die Kriegsbeteiligung der Bundeswehr in erdölreichen Regionen begünstigt.

Wie komplex die Fragen sind, die sich zu den verschiedenen Formen des motorisierten Straßenverkehrs stellen, weiß jeder, der schon einmal eine der nach dem Dieselskandal häufig geführten Diskussionen unter ExpertInnen über die Vor- und Nachteile verschiedener Energiequellen für Automobile im Rundfunk verfolgt hat. Daß die einzelnen Argumente häufig kontroverser Art sind, liegt nicht zuletzt daran, daß die Reichweite der in die Aufwandsrechnung einbezogenen Verbrauchsfaktoren höchst unterschiedlich ist, was wiederum den verschiedenen professionellen Kontexten der jeweiligen ExpertInnen geschuldet sein kann. Was bei aller Unvereinbarkeit propagierter Lösungen allerdings selten erwähnt wird, ist das absehbare Ende des motorisierten Individualverkehrs, mit dem die Menschen hierzulande aufgewachsen sind. Zwar werden derzeit noch große Hoffnungen in den Umstieg auf E-Mobilität gesetzt, doch auch dabei stellen sich Fragen zur Speichertechnik des dafür benötigten Stroms wie seiner Erzeugung, die die ökologische Untragbarkeit der projektierten Wachstumsziele der Autoindustrie und ihrer politischen Gewährsleute erkennen lassen.

"Warum Biosprit und Elektroantrieb den Klimawandel nicht aufhalten", lautet der Untertitel des von dem Biophysiker Bernhard Knierim 2013 vorgelegten Buches "Essen im Tank". Anders als der Titel vermuten lassen könnte, nimmt die kritische Untersuchung der Konkurrenz zwischen Teller und Tank nur einen Teil des Buches ein, in dem die Leserin allerdings umfassend über die sozialökologische Problematik der Produktion von Bio- und Agrotreibstoffen aufgeklärt wird. Der Autor hat selbst am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien an der Entwicklung von Biokraftstoffen der zweiten und dritten Generation mitgearbeitet und ist mit der Problematik, die insbesondere die Nutzung fruchtbaren Landes für die Produktion von Treibstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen betrifft, gut vertraut.

Neben dem an und für sich skandalösen Aspekt des Anbaus von Feldfrüchten für Agrotreibstoffe, die fruchtbaren Ackerboden in Anspruch nehmen, auf dem ansonsten Nahrungsmittel für die wieder anwachsende Menge hungernder Menschen angebaut werden könnte, berücksichtigt Knierim in seiner umfassenden Analyse das ganze Spektrum des stofflichen und energetischen Aufwandes, der bei der Erzeugung von Bioenergie anfällt. Werden die Herstellung und das Ausbringen von Düngemitteln und Herbiziden beim Anbau von Energiepflanzen sowie Transport und Herstellung des Agrotreibstoffes in Rechnung gestellt, läßt sich die Klimaneutralität nachwachsender Rohstoffe nicht aufrechterhalten. Das zeigt zum Beispiel die enorme Zunahme der Verfeuerung von Holz in Kraftwerken, für die inzwischen im Südosten der USA ganze Wälder in Holzplantagen verwandelt werden, um Pellets zu produzieren und über den Atlantik zu den europäischen Abnehmern zu transportieren. Diese produzieren damit Strom, der sich nur rechnet, weil seine Herstellung aus angeblichen Klimaschutzgründen stark subventioniert wird.

Ein analoges, den Verkehr betreffendes Beispiel, bei dem Klimaschutz in eine Industriepolitik übersetzt wird, die im beanspruchten Sinne alles andere als nachhaltig ist, findet sich in Knierims Analyse der E-Mobilität. Auch hier gelangt der Autor zu dem Schluß, daß die vielbeschworene Zukunft eines darauf basierenden motorisierten Individualverkehrs, bei dem lediglich die Energiegrundlage, nicht jedoch seine infrastrukturelle Form und seine Wachstumsziele verändert werden, bestenfalls für Nischenlösungen taugt. Unter der Schwelle einer grundsätzlichen und tiefgreifenden Mobilitätswende, die die sozialräumlichen Strukturen der Stadtlandschaften, das in gebauter Umwelt dargestellte Verhältnis von Produktion und Distribution, von Arbeit und Erholung, in Sicht auf das individuelle Bewegungsverhalten untersucht und verändert, werden alle bislang diskutierten Entwicklungsmodelle kontraproduktives Stückwerk bleiben.

Was von den Lösungsmodellen, die der Autor vorschlägt und favorisiert, tatsächlich zu realisieren ist, entscheidet sich vor allem auf machtpolitischer Ebene. Knierim ist selbst als parlamentarischer Mitarbeiter einer Bundestagsabgeordneten tätig und kennt den Politikbetrieb von innen. Wer seine Analyse zur herrschenden Verkehrspolitik liest, stellt schnell fest, daß sich vieles an sinnvoller Mobilität vorschlagen läßt, was dennoch wenig Aussichten auf Verwirklichung hat.

Bis heute hat sich an der Analyse des Autors, der selbst im Bündnis "Bahn für alle" [2] gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn kämpft, zur Lage der Subventionierung klimaschädlicher Verkehrsformen bei gleichzeitiger Benachteiligung weniger zerstörerischer Alternativen nichts geändert. Auto- und Flugverkehr für den Personentransport nehmen weiter zu, der Forderung, Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen, wird kaum entsprochen, und sozialökologisch sinnvolle Maßnahmen wie ein Tempolimit, die Einpreisung der externalisierten Kosten des Straßenverkehrs in die Treibstoffrechnung, die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs oder der Steuerbefreiung des Flugbenzins stellen geradezu Tabuthemen da. Das gilt offenkundig auch für Knierims Vorschlag, die Verursacher für die Begleichung der Kosten verkehrsbedingter Umweltschäden zur Kasse zu bitten, um mit den daraus entstehenden Mitteln den sozialökologisch sinnvollen Umbau der Mobilität zu finanzieren.

Es ist schon abenteuerlich - neben dem Steuerverlust von 7,2 Milliarden Euro durch nichtversteuertes Kerosin wird auch auf 4,2 Milliarden Euro Mehrwertsteuer auf internationale Flüge verzichtet. Durch den Wegfall dieser Steuern werden Kosten externalisiert, für die die Allgemeinheit der Steuerzahlenden aufkommt, ob jemand nun die klimaschädlichste aller Fortbewegungsformen in Anspruch nimmt oder nicht. Auch der internationale Flugverkehr blieb im Pariser Klimaschutzabkommen ausgeklammert - irgendwie muß man ja kostengünstig und schnell zu den vielen internationalen Konferenzen gelangen, auf denen restriktive Maßnahmen, die die Geld- und Funktionseliten betreffen, eben nicht beschlossen werden. Als AktivistInnen des britischen Zweigs der Organisation Black Lives Matter den London City Airport vor einem Jahr für eine kurze Zeit lahmlegten [3], um auf den rassistischen Charakter klimaschädlicher Verkehrsformen hinzuweisen, legten sie den Finger in die Wunde des sozialen Ausschlußcharakters eines Flugverkehrs, dessen häufig weißen Reisenden die Welt in alle Richtungen offensteht, während häufig nichtweiße MigrantInnen am Boden von militärisch bewachten Grenzen in ihrer weit weniger aufwendigen Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden.

Die Darstellung der politischen Ursachen für die Klassenprivilegien, die ohnehin wohlhabende Autofahrer und Flugreisende auch noch von Subventionen profitieren lassen, die Naturzerstörung antreiben und nicht begrenzen, gehört zu den interessantesten Teilen des Buches. Doch auch die Analyse einer Mobilität, die trotz eines immer dichter gezogenen Autobahnnetzes im Stau stagniert, wird unter Berücksichtigung verschiedenster Interessen plastisch nachvollziehbar gemacht. Mehr Straßen haben mehr Verkehr zur Folge, der wiederum zum Bau neuer Straßen Anlaß gibt. Daß diese Entwicklung einer Subventionspolitik geschuldet ist, auf deren Zustandekommen die Autokonzerne und die Bauwirtschaft weit mehr Einfluß nehmen als etwa die Interessenvertretungen der RadfahrerInnen oder BahnkundInnen, belegt, daß die etablierte Verkehrsstruktur vor allem politischen und ökonomischen Interessen geschuldet ist. Knierim handelt das Problem unter dem Stichwort "Lobbyismus" ab. Ebensogut und in der Konsequenz weiter greifend könnte die deutsche Verkehrspolitik als Ausdruck kapitalistischer Verwertung und einer Mehrwertproduktion, die als Subventionierung von Fahrzeugbau und Transportkosten positiv auf die Unternehmensbilanzen und den Standort Deutschland in der Weltkmartkonkurrenz wirkt, kritisiert werden.

Knierims Lösungsvorschläge zielen auf eine solidarische Mobilität im Rahmen einer Postwachstumsgesellschaft ab, die Ernst macht mit der Beendigung sozialer Gewalt und ökologische Zerstörung. In seinem aktuellen Buch "Ohne Auto leben. Handbuch für den Verkehrsalltag" werden Vorschläge für praktische Schritte in Richtung einer Verkehrswende unterbreitet, die an die Ergebnisse des vorliegenden Buches anknüpfen. Eine überarbeitete und aktualisierte Neuherausgabe von "Essen im Tank" wäre zweifellos ein Gewinn für alle Menschen, die die Blechlawinen und Asphaltwüsten nicht widerstandslos akzeptieren wollen. Bis dahin vermittelt die Lektüre der verfügbaren Ausgabe viele Einsichten, die sich in Debatten zum Thema als wertvoll erweisen können.


Fußnoten:

[1] https://influencemap.org/report/Corporate-capture-of-the-IMO-902bf81c05a0591c551f965020623fda

[2] http://www.bahn-fuer-alle.de

[3] http://schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1091.html

[4] http://mediashop.at/buecher/ohne-auto-leben-2/

30. Oktober 2017


Bernhard Knierim
Essen im Tank
Warum Biosprit und Elektroantrieb den Klimawandel nicht aufhalten
Promedia, Wien 2013
240 Seiten, 17,90 Euro
ISBN 978-3-85371-354-9


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