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REZENSION/697: Franziska Schreiber - Inside AfD (SB)


Franziska Schreiber


Inside AfD

Der Bericht einer Aussteigerin



"Ja. Es ist warm. Sehr sogar. Aber dieses hysterische [hashtag]Klimakrisen-Gekreische der Klimanazis ist wirklich unerträglich. Auch wenn wir alle zu Fuß gehen, statt Autos zu bauen nun alle Gendergagaisten werden und nur noch Brokkoli essen: der Sonne ist das egal." [1]

Der Tweet der AfD-Frontfrau Beatrix von Storch vom 31. Juli 2018 kam zu spät, um Aufnahme in dem vorliegenden Buch zu finden. Er ist dennoch einer Zitation würdig, tritt in ihm doch ein spezifisches Feindbild des organisierten Rechtsextremismus hervor. Wer sich angesichts des Klimawandels um den Bestand menschlicher und natürlicher Lebensgrundlagen sorgt, hat aus stichhaltigen Gründen ein Problem mit dem motorisierten Individualverkehr und dem Verbrauch von Tierprodukten. Daß sich unter solchen Menschen auch häufiger KritikerInnen tradierter Geschlechterverhältnisse und patriarchaler Machtansprüche finden als unter passionierten AutofahrerInnen und FleischkonsumentInnen, liegt aufgrund der strukturellen Verwandtschaft einer Kritik an der wachstumsorientierten, ressourcenverschwenderischen, imperialen Lebensweise und dem Eintreten für benachteiligte Gruppen der Gesellschaft nahe.

Was die Stellungnahme dieser AfD-Politikerin exemplarisch abbildet, findet in dem Buch "Inside AfD" vielfache Bestätigung. Der Bericht der ehemaligen AfD-Politikerin Franziska Schreiber, die als Vorsitzende der Jungen Alternative in Sachsen und Pressesprecherin der AfD-Jugendorganisation auf Bundesebene gute Kontakte zu diversen Führungspersönlichkeiten der Partei unterhielt, über das Innenleben der AfD teilt politisch Interessierten, die sich mit der noch jungen Rechtspartei auseinandergesetzt haben, nichts grundsätzlich Neues zu deren politischen Positionen mit. Die schiere Fülle des präsentierten Materials, zumal wenn es im eigenen Erleben der Autorin verankert ist, die en passant nacherzählte Geschichte der AfD seit dem Austritt ihres Gründers Bernd Lucke, die faktisch gut belegte Diagnose Schreibers zu den von der Rechtspartei ausgehenden Gefahren für Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik und die bei alledem erfolgende Auseinandersetzung der LeserInnen mit den Ideologemen und Unterstellungen der parlamentarischen Rechten machen die Lektüre des Buches dennoch zu einer erkenntnisträchtigen Angelegenheit.

Frauke Petry, zu der die Autorin gute Kontakte hatte, verließ die Partei kurz nach der Bundestagswahl 2017, nicht ohne zuvor ein Direktmandat erlangt zu haben, das sie weiterhin wahrnimmt. Franziska Schreiber vollzog diesen Schritt schon zehn Tage vor der Bundestagswahl, um, wie sie sagt, maximale Breitenwirkung für die von ihr geäußerte Kritik am rechtsradikalen Kurs der AfD zu erzielen. Diesen Entschluß hatte sie schon auf dem Bundesparteitag der AfD in Köln im April 2017 gefaßt. Nach der Niederlage Petrys, die für Schreiber den liberalen Flügel der Af'D verkörperte, obwohl diese zwei Jahre zuvor den Parteigründer Bernd Lucke als Exponentin der rechten Kräfte in der AfD entmachtet hatte, habe sie nur noch verhindern wollen, daß der völkische Flügel die Partei vollends unter seine Kontrolle bringt.

Das Buch ist mithin auch Menschen zu empfehlen, die sich in der Distanzierung Schreibers von der AfD nicht wiederfinden, weil der von ihr nun vertretene neoliberale Leistungsprimat nicht so weit entfernt ist von den sozialchauvinistischen Forderungen der Partei, wie es erscheinen mag, wenn man FDP und AfD auf die extremismustheoretische Waagschale legte. "Inside AfD" ist die Geschichte der Laufbahn einer jungen Politikerin, der aufgrund haßerfüllter, verächtlicher und frauenfeindlicher Äußerungen im Umfeld der ParteigenossInnen dämmert, daß sie in einer ideologischen Falle sitzt, deren selbstgeschaffene Feindbilder stets aufs Neue dafür sorgen, eventuelle Zweifel zugunsten der Überzeugungskraft des damit geschaffenen Weltbildes zu ignorieren. Den Rassismus und Nationalchauvinismus der Partei ablehnende Reaktionen waren hochwillkommen, wie Schreiber erklärt, "bestätigten sie uns doch in unserer Überzeugung, die Medien, die Altparteien und die 'links-rot-grün-versifften 68er' (Jörg Meuthen) wären ein Haufen weinerlicher, überempfindlicher Schnösel, die mit der Wahrheit nicht zurechtkämen" (S. 90).

Die ideologischen Gewißheiten, die der AfD soliden und wachsenden Zuspruch in der Bevölkerung bescheren, sind allerdings weit davon entfernt, Ausdruck einer Situation permanenter Benachteiligung und Unterdrückung durch "Altparteien" und "Lügenpresse", durch "Gender-Ideologie" und das "Establishment" zu sein. Die Unterstellung einer ungebrochenen, seit den 1960er Jahren währenden linken Hegemonie wird durch die mit zahlreichen Zugeständnissen an die Rechte erkaufte Hegemonie der Regierungsparteien ebenso widerlegt wie die Angriffe auf eine "politische Korrektheit", die als Begründung dafür fungiert, andere Menschen aus vollen Stücken diffamieren und erniedrigen zu können. Das trotzige Aussprechen rassistischer und rechtsradikaler Verunglimpfungen feiert spätestens seit Thilo Sarrazins biologistischer These von der Abschaffung der Deutschen nach dem Motto "Man wird ja wohl noch sagen dürfen" demagogische Triumphe und hat eine eigenständige Antinorm etabliert, wie auch Franziska Schreiber feststellt:

Die AfD hat innerhalb kürzester Zeit eine eigene Form politischer Korrektheit entwickelt. Sie beinhaltete spezifische ungeschriebene Regeln, wie zu denken, zu sprechen und zu agieren sei. Beispiel Sprache: Nicht von der Redefreiheit gedeckt waren und sind das Gendern und der Gebrauch von Worten wie "Bürger mit Migrationshintergrund" oder "Schnitzel mit Paprikasoße". Die AfD kultivierte Denk- und Sprechverbote unter umgekehrten Vorzeichen. Sie hatte durchaus vor, eine Mauer zu bauen, eine Sprachmauer. Sie stand rasch. Zensur findet statt.
(S. 56)

Antifeminismus [2] als direkt gegen die Emanzipation von Frauen wie die Infragestellung des binären Geschlechtermodells gerichtete Strategie gehört zu den festen Säulen im politischen Programm einer Partei, deren führender Rechtsausleger Björn Höcke beklagt, Deutschland habe "seine Männlichkeit verloren" (S. 80). Mit einem Frauenanteil von etwa 20 Prozent, der Verankerung im männerbündischen Umfeld studentischer Burschenschaften und einem Verständnis von Frauenrechten, das seinen Fokus in der Unterstellung findet, die zentrale Gefahr für Frauen gehe von muslimischen Männern aus, die Vergewaltiger aus Veranlagung seien, resultieren alle Fragen der Gleichberechtigung und Emanzipation in der Bestätigung patriarchaler Dominanz. Diese zu sichern gegen die "Gender-Lobby" und "Gender-Ideologie", die die "naturgegebenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern" marginalisiere und "geschlechtliche Identität infrage" stelle (S. 103), so das Parteiprogramm, gehört zu den Standards in den Reden von AfD-PolitikerInnen. Daß die meisten Vergewaltigungen nach wie vor in Ehe und Partnerschaft stattfinden, kann die Männer in der AfD nicht in der Überzeugung beirren, daß die Frau an den kleinfamiliären Herd gehört, wo sie dem Mann ausgeliefert ist.

Maskulin brachial wird in den rhetorischen Ausfällen führender AfD-Politiker auch gegen andere Feindbilder blank gezogen. Wenn sie einmal an die Macht gelangt sind, dann werde "aufgeräumt" und "ausgemistet", dann würden "volksfeindliche" Medien verboten und der "Schuldkult" des Holocaust-Gedenkens beendet. Ob ein Alexander Gauland das Recht einfordert, "stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen" (S. 159) oder der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Dresdner Richter Jens Maier Verständnis für den norwegischen Massenmörder Anders Breivik bekundet, habe dieser doch seine Tat "aus Verzweiflung" über die Einwanderung von "Kulturfremden" begangen, belegt, daß das Bekenntnis zu rechtsradikalen Auffassungen aller Art in der AfD längst salonfähig geworden ist.

Auch Frauke Petry wußte mit Schlagworten wie "One World Kapitalismus" und "One World Multikulturalismus" (S. 143), so auf dem Treffen europäischer Rechtsparteien in Koblenz im Januar 2017, zu begeistern. Nicht der Kapitalismus als solcher ist das Problem, sondern seine globalisierte Entuferung, lautet ein typisches Glaubensbekenntnis, mit dem AfD-PolitikerInnen den Eindruck erwecken, die soziale Frage von unten zu stellen, während sie das Bündnis mit dem nationalen Kapital suchen und "den Kampf gegen 'die Verteilung unseres Volksvermögens von innen nach außen, also vom Inland ins Ausland'" (S. 110), so Björn Höcke, propagieren.

Dem zentralen Feindbild des "Multikulturalismus", der ideologischen Achse aller fremdenfeindlichen und antimuslimischen Ausfälle der AfD, ist der rechte Gegenentwurf des Ethnopluralismus der Völker und Nationen adäquat. Die Unterstellung einer quasi natürlichen Volkszugehörigkeit und ethnisch-kulturell definierter Territorien schließt letztendlich alle Menschen vom Leben in der Bundesrepublik aus, die die dafür angelegten Kriterien blutsverwandter Zugehörigkeit nicht erfüllen. Aus dieser Rekonstruktion klassisch rassistischen Denkens werden Identitätsmerkmale geschöpft, die die Attraktivität des Angebots der AfD für neoliberal atomisierte Marktsubjekte begründen. Daß diese um so williger für Projekte des deutschen Imperialismus einzuspannen sind, der, wie die geschichtsrevisionistischen Ausfälle führender AfD-PolitikerInnen belegen, noch manche offene Rechnung zu begleichen hat, liegt auf der Hand und macht die Gefährlichkeit der Partei wesentlich aus.

Dieser Ansicht ist auch die Autorin, für die der Durchmarsch des rechtsextremen, völkischen Flügels der Partei nicht mehr aufzuhalten sei. Daran dürften auch Differenzen innerhalb der AfD etwa zum Verhältnis der Partei zu Israel wenig ändern. So war die Weigerung der Delegierten, auf dem Kölner Parteitag einem Änderungsantrag zur außenpolitischen Ausrichtung der AfD zuzustimmen, "in dem Israel als 'strategischer Partner der Bundesrepublik Deutschland' anerkannt werden sollte" (S. 154), ein wesentlicher Grund für Franziska Schreiber, die AfD zu verlassen. Auch andere PolitikerInnen rechtsradikaler Parteien in Europa gehen an dieser Stelle nicht mit der AfD konform, wie aus Schreibers Bericht über das Koblenzer Treffen Anfang 2017 hervorgeht. Dort erlebte sie, wie Geert Wilders und Marine Le Pen Frauke Petry in vertrauter Runde erklärten, daß sie die Partei nicht unterstützen könnten, wenn sie einen antisemitischen Kurs fahre. Aktueller Anlaß dafür war der Eklat um Björn Höcke, der das Berliner Holocaust-Mahnmal wenige Tage zuvor öffentlich als "Denkmal der Schande" (S. 144) bezeichnet hatte.

Auffällig ist, dass im Wahlprogramm der AfD weder von Israel noch von Antisemitismus die Rede ist. Die Aversion der meisten Parteimitglieder gegen muslimische Zuwanderung dokumentiert sich dagegen mehrfach. Wir brachten den Israelantrag in Köln ein, damit die Partei sich eindeutig zu Israel verhalten muss, und sie hat sich verweigert. Das ist ein Beleg dafür, daß der Antisemitismus in der AfD massiv zugenommen hat. Mit dem Austritt von bürgerlichen und liberalen Mitgliedern steigt prozentual die Zahl der Verschwörungstheoretiker. Sie sagen zwar "das Finanzkapital", aber was sie meinen ist: Rothschild, die Juden.
(S. 158)

So zeigt sich bei der Lektüre von "Inside AfD", daß sich der kritische Umgang mit dieser in großen Zügen rechtsradikalen bis neofaschistischen Partei nicht darauf beschränken kann, sie als bloßes Sammelbecken eines gedemütigten Kleinbürgertum zu verstehen, das im Grunde genommen nur deshalb als Klientel der Linkspartei ausfällt, weil diese sich nicht mit populistischem Furor der Ängste und Sorgen des prekarisierten und bereits ausgegrenzten Fußvolkes des neoliberalen Kapitalismus angenommen hätte. Die kulturalistische und islamfeindliche Selbstvergewisserung der christlich-europäischen Abwehrhaltung sind in ihrer Wirkmächtigkeit ebensowenig zu unterschätzen wie die Identitätsangebote einer konservativ-patriarchalen Familien- und Geschlechterideologie als auch eines deutschnationalen Revanchismus, der die Auseinandersetzung mit der rassistischen Vernichtungspolitik des NS-Staates als Hemmschuh für künftige Großmachtambitionen unterdrücken will. Gleiches gilt für die polemische Herabsetzung aller Bestrebungen, die Bewältigung sozialökologischer Probleme als Zukunftsaufgabe internationalistischer und kosmopolitischer Art zu begreifen.

Die im Anschluß an die Veröffentlichung von "Inside AfD" entbrannte Kontroverse um eine zugewandte Beratung der Partei durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz [3] hat dem Buch bereits viel Beachtung verschafft. Damit diese nicht wirkungslos verpufft, wäre erforderlich, daß auch bürgerliche Medien über die kurze Aufmerksamkeitsspanne tagesaktueller Ereignisse hinaus mehr Fragen zur AfD stellen als diejenige, ob sie von Hans-Georg Maaßen gezielt protegiert wurde. Mit der AfD als politischem und gesellschaftlichem Akteur von erheblicher Reichweite und Schlagkraft auch in Kooperation mit rechten Bewegungen wie Pegida und Identitäre, deren Verhältnis zur Partei in dem Buch ausführlich dargestellt und analysiert wird, ist absolut zu rechnen. Wie die massive und aggressive Abwehr des Buches durch die Klientel der AfD in sozialen Netzwerken ahnen läßt, hat Franziska Schreiber einen Treffer gelandet, der Wirkung zeigt.


Fußnoten:

[1] https://twitter.com/Beatrix_vStorch/status/1024188890603835392

[2] BERICHT/078: Linke Buchtage Berlin - der gleiche Kampf noch immer ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0078.html

[3] REPRESSION/1608: AfD-Überwachung - links vor rechts ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1608.html

9. August 2018


Franziska Schreiber
Inside AfD
Der Bericht einer Aussteigerin
Europa Verlag, München 2018
224 Seiten, 18,00 Euro
ISBN: 978-3-95890-203-9


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