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REZENSION/702: Douglas Valentine - The CIA as Organized Crime (SB)


Douglas Valentine


The CIA as Organized Crime

How Illegal Operations Corrupt America and the World



In der aktuellen, im Januar 2018 publik gemachten Nationalen Verteidigungsstrategie der USA wird nicht mehr dem "globalen Antiterrorkrieg", sondern der "Großmachtkonkurrenz" oberste Priorität eingeräumt. Als gefährlichste Rivalen und mögliche Kriegsgegner der Vereinigten Staaten werden in dem Pentagondokument ausdrücklich China und Rußland genannt und als "revisionistische Mächte" bezeichnet, die sich weigerten, sich der vom Westen seit 1945 verfolgten "regelbasierten Ordnung" unterzuordnen. Diese einfache Aufteilung, im Westen die demokratisch-zivilisierten Ordnungshüter und im Osten die atavistisch-autoritären Unrechtsregime, die zum eigenen Vorteil überall Unordnung säen, ist so billig wie durchschaubar. Und dennoch stellt sie das Fundament eines Weltbilds dar, das die Herrschenden im Westen in unzähligen Variationen verbreiten und dem seitens der Bevölkerung zumeist Glauben geschenkt wird.

Immer wieder aufs Neue gefestigt wird der Glaube an den "guten" Westen von dessen Medien, deren Reporter und Kommentatoren sich wochenlang über die zivilen Opfer russischer und syrischer Bombardements in Aleppo empören, aber ähnliche oder noch schlimmere Kriegsverbrechen amerikanischer und britischer Kampfpiloten im irakischen Mossul schlichtweg ignorieren. In Nordamerika, Europa und den Antipoden gibt es nur wenige mutige Journalisten, welche die Zerstörung und das Leid, welche die Sicherheitskräfte der westlichen Industriestaaten unentwegt in der restlichen Welt verursachen, beim Namen nennen. Der australische Wikileaks-Gründer Julian Assange, der sich aus Angst vor der Auslieferung an die USA seit sechs Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London versteckt hält, ist einer, der Amerikaner Douglas Valentine ein anderer.

1984 veröffentlichte Valentine das Buch "The Hotel Tacloban" über die leidvollen Erfahrungen seines Vaters als Soldat und Kriegsgefangener der Japaner im Zweiten Weltkrieg. Valentines Arbeit zum Thema Pazifikkrieg war so solide, daß sie ihm als Türöffner bei der Recherche für sein nächstes Buch, das 1990 erschienene "The Phoenix Program: America's Use of Terror in Vietnam", diente. Auf Anfrage willigte der einstige Leiter des Phönix-Programms und spätere CIA-Chef William Colby in ein ausführliches Interview ein und empfahl Valentine bei allen seinen früheren Mitstreitern.

Die Gesprächspartner Valentines sollten ihre Redseligkeit bereuen. Herausgekommen ist ein Werk, das den unmenschlichen Umgang der CIA mit den Vietnamesen in all seiner Grausamkeit offenlegte. Kein Wunder, daß das Buch damals in der New York Times von Reporterlegende und Colby-Intimus Morley Safer als vollkommen unseriös verrissen wurde. Zwecks Widerlegung dieser Diffamierung hat Valentine sämtliche schriftlichen und akustischen Aufzeichnungen zum Thema Vietnam und Phönix-Programm dem National Security Archive an der George Washington University in Washington überlassen, wo sie jederzeit uneingeschränkt online abgerufen werden können.

Es folgten zwei Bücher über den unsäglichen Antidrogenkrieg der USA, 2004 "The Strength of the Wolf: The Secret History of America's War on Drugs" und 2009 "The Strength of the Pack: The Personalities, Politics and Espionage Intrigues That Shaped the DEA". 2017 erschien "The CIA as Organized Crime - How Illegal Operations Corrupt America and the World". Valentine geht es in seinem neuesten Buch weniger darum, irgendwelche spektakulären Aktionen wie den Sturz des iranischen Premierministers Mohammad Mossadegh 1953 oder das sagenumwobene Gedankenkontrollprojekt MKUltra nachzuzeichnen, als vielmehr zu erklären, wie die Central Intelligence Agency zu der mächtigen Institution wurde, die sie heute ist - zu einem Staat im Staate, für den keine Gesetze und erst recht keine Regeln gelten.

Zeitgleich mit dem ausschließlich dem Präsidenten gegenüber verantwortlichen National Security Council (NSC) wurde die CIA 1947 gegründet. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Organisation weitgehend aus einem harten Kern an Personen, die im Zweiten Weltkrieg beim Office of Strategic Services (OSS) gedient und bereits beste Kontakte zur italienischen Unterwelt auf beiden Seiten des Atlantiks und zum Kuomintang Chiang Kai-Shecks sowohl in Taiwan als auch im "goldenen Dreieck" in Indochina geknüpft hatten. Es folgte schnell die Unterwanderung des Federal Bureau of Narcotics (FBN), des Vorläufers der heutigen Drug Enforcement Administration (DEA), das bereits damals über ein großes Netzwerk an Auslandsbüros verfügte. Damit wurde Wall Streets Privatarmee zur unangefochtenen Herrscherin über eine der einträglichsten Industrien der Welt, nämlich die mit illegalen Drogen.

Valentine erläutert, wie der Antidrogenkrieg der CIA nicht nur Geldeinnahmen in gigantischer Höhe, sondern auch unzählige Einflußmöglichkeiten in der Innenpolitik sowohl der USA als auch praktisch aller anderen Staaten dieser Welt außer vielleicht Nordkorea und dem Vatikan bescherte. Valentine spricht unumwunden von einem gezielten "social engineering". Gemeint sind in den USA Phänomene wie das Bandenwesen in den amerikanischen Ghettos und die private Gefängnisindustrie, im Ausland die mörderischen Fehden der Drogenkartelle, die Mexiko und die anderen Staaten Mittelamerikas permanent in einem instabilen Zustand halten. Die Militarisierung der Polizei, die ihren Lauf in den USA genommen hat und sich seitdem überall durchsetzt, ist eine direkte Folge der Drogenprohibition, deren Hauptnutznießerin zweifelsohne die CIA ist.

Nach der Analyse Valentines ist das Phoenix-Programm mit seinen Foltergefängnissen, Todesschwadronen und administrativen Erfassungssystemen nicht mit dem Vietnamkrieg zu Ende gegangen. Ganz im Gegenteil haben die Phoenix-Operateure der CIA in den siebziger und achtziger Jahren ihr Betätigungsfeld nach Kolumbien, Nicaragua, El Salvador, Guatemala und Honduras verlegt. Nach den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 ging Phönix global - siehe die "black sites" der CIA in Thailand, Polen und Litauen, "Operation Salvador" im Irak und die Drohnenangriffe "der Firma" in Afghanistan, Somalia, Jemen, Pakistan und Libyen. Aktuell baut das Pentagon für 200 Millionen Dollar einen Drohnenstützpunkt in Niger, von dem aus die CIA künftig die Menschen in Westafrika terrorisieren wird.

Valentine nimmt kein Blatt vor den Mund. Er nennt den "Antiterrorkrieg", nachdem er dessen Funktionsweise bis ins kleinste Detail freigelegt hat, offen eine polizeistaatliche Maßnahme gesellschaftlicher Kontrolle, die mit dem herkömmlichen Demokratieverständnis nicht zu vereinbaren ist. Er zeigt, daß die vielen zivilen Todesopfer der CIA-Drohnenangriffe und der nächtlichen Antiterrorrazzien der US-Spezialstreitkräfte in Afghanistan, im Irak und anderswo keine Fehler, kein "Kollateralschaden", sondern beabsichtigt sind - und zwar als Herrschaftsinstrumenmt und Machtdemonstration. Das gleiche gilt für die vielen "Enthüllungen" der letzten Jahre wie die pornographischen Mißhandlungsbilder aus dem irakischen Horrorgefängnis Abu Ghraib. Auch sie sollen jedem Nachrichtenkonsumenten deutlich machen, wo der Hammer hängt.

In diesem Zusammenhang macht Valentine Medien und Politik des Westens schwere Vorwürfe. Ihm zufolge geben sie mit dem Totschlagargument "nationale Sicherheit" CIA-Propaganda am laufenden Band weiter, die Menschen in den Industriestaaten in einen Zustand der "erlernten Hilflosigkeit" ähnlich den Gefangenen in Guantánamo Bay versetzen. Dagegen gibt es nur ein wirksames Heilmittel - nämlich die Aufklärung, zu der Valentine selbst mit seinem 446seitigen "The CIA As Organized Crime" einen beachtlichen Beitrag geleistet hat.

22. September 2018


Douglas Valentine
The CIA as Organized Crime
How Illegal Operations Corrupt America and the World
Clarity Press, Atlanta, 2017
446 Seiten
ISBN: 978-0-9972870-1-1


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