Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → SACHBUCH


REZENSION/713: R. Sirvent & D. Haiphong - American Exceptionalism and American Innocence (SB)


Roberto Sirvent & Danny Haiphong


American Exceptionalism and American Innocence

A People's History of Fake News - From the Revolutionary War to the War on Terror



Die Idee, "das Licht unter den Nationen" zu sein, begleitet die USA seit ihrer Gründung 1776. Bereits 150 Jahre zuvor wähnten sich die an der Bucht von Massachusetts gelandeten Puritaner, "im Auftrag des Herrn" in die Neue Welt gekommen zu sein, um dort das "Neue Jerusalem" zu errichten und die Seelen bekehrungswilliger Eingeborener zu retten. 1862, mitten im Bürgerkrieg, erklärte Präsident Abraham Lincoln, die Vereinigten Staaten von Amerika, dessen Nordteil damals gegen den sezessionistischen Süden um den Erhalt der Union sowie die Befreiung der Sklaven kämpfte, stellten "die letzte beste Hoffnung der Erde" dar. Hatten die Gründerväter ursprünglich die Vorstellung gehabt, allein durch das beispielhafte Vorangehen der USA würden sich weltweit Demokratie und Bürgerrechte verbreiten, so genügt dies den Industriekapitänen und Räuberbaronen Amerikas im 19. Jahrhundert nicht mehr. Parallel zur Expansion bis an die Pazifikküste und der gewaltsamen Vereinnahmung der Nordhälfte Mexikos unter dem ideologischen Vorwand der Manifest Destiny wurde gemäß der Monroe-Doktrin Mittel- und Südamerika zum "Hinterhof" der USA erklärt, wo keine europäischen Großmächte Ansprüche anzumelden hätten.

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die US-Marine mit Gewaltandrohung das kaiserliche Japan dazu gezwungen, sich politisch und wirtschaftlich zu "öffnen". 1898 nahmen die USA mit kriegerischen Mitteln Spanien die Kontrolle über Kuba und die Philippinen ab und töteten dabei mindestens eine Million "Aufständische". Ein Jahr später erzwangen sie unter Berufung auf eine Politik der "offenen Tür" den Zugang zum chinesischen Markt. Das 20. Jahrhundert betraten die USA also als vollentwickelte Imperialmacht, wuchsen durch geschicktes Taktieren in den Ersten und Zweiten Weltkriegen zur absoluten Supermacht heran, der sich lediglich die kommunistische Sowjetunion und ihre Verbündeten einige Jahrzehnte widersetzen konnten - siehe Vietnam. Auch nach dem Ende des Blockkonfrontation des Kalten Kriegs 1989 setzte sich die imperiale Ausdehnung der USA mittels NATO-Osterweiterung, Jugoslawienkrieg und diversen "Farbenrevolutionen" fort. Diente ab 2001 der "Global War on Terror" (GWoT) als Handlungs- und Interventionsbegründung, so steht heute das Kräftemessen mit China und Rußland ganz oben auf der Prioritätenliste des US-Verteidigungsministeriums, das rund um den Globus mehr als 800 Basen unterhält und alleine schon die Hälfte aller weltweiten Militärausgaben verschlingt.

Und trotz alledem ist es in den USA tabu, Amerika als imperialistisch agierenden Staat zu bezeichnen. Der Begriff Empire scheint für die früheren europäischen Kolonialmächte oder irgendwelche asiatische Despotien reserviert zu sein. Gehen amerikanische Truppen irgendwo an Land, dann stets nur, um eine Krise zu lösen, westliche Geiseln zu retten, ein unterjochtes Volk zu befreien oder einen außer Kontrolle geratenen Diktator zu stürzen. Kommen dabei Menschen ums Leben und ist die Lage nach der US-Militärintervention erheblich schlimmer als davor, dann heißt es immer, man wollte zwar das Beste, aber es wären halt ein paar Fehler passiert, die Dinge hätten sich anders entwickelt als ursprünglich beabsichtigt. Paradebeispiele solcher Vorgänge sind die Militärinterventionen 2001 in Afghanistan, 2003 im Irak und 2011 in Libyen, die allesamt Chaos und menschliches Leid in einem unvorstellbaren Ausmaß erzeugt haben.

Die fixe, geradezu krankhaft pathologische Idee von der Einzigartigkeit Amerikas und seiner permanenten Unschuld erklärt, warum Bill Clintons UN-Botschafterin Madeleine Albright in einem Fernsehinterview 1996 behaupten konnte, der Tod von 500.000 irakischen Kindern infolge der US-Wirtschaftssanktionen wäre den "Preis" der Eindämmung Saddam Husseins "wert". Albright war es auch, die 1998, inzwischen zur ersten Außenministerin in der Geschichte der USA aufgestiegen, ebenfalls im Fernsehen zum Thema der anhaltenden Spannungen zwischen Washington und Bagdad um "Massenvernichtungswaffen" erklärte: "Wenn wir Gewalt anwenden müssen, dann weil wir Amerika sind; wir sind die unverzichtbare Nation. Wir stehen aufrecht und sehen weiter in die Zukunft als andere Länder, und dort erkennen wir die Gefahren für uns alle."

Drängte sich spätestens seit den offenen und verdeckten Kriegen in Indochina in den sechziger respektive in Mittelamerika in den achtziger Jahren außerhalb der USA die Frage auf, wie lange noch Pentagon und CIA das sinnlose Morden in Übersee betreiben wollen und was man dagegen tun könnte, um es zu beenden, so hat die offensichtliche Kontraproduktivität des globalen Antiterrorkriegs diese Frage in die Mitte der amerikanischen Gesellschaft getragen. Nicht umsonst bewarben sich 2008 Barack Obama und 2016 Donald Trump - so unterschiedlich sie politisch auch sein mögen - als erklärte Antikriegskandidaten erfolgreich um das Amt des Präsidenten. Der Demokrat und der Republikaner hatten sich auch durch provokante Äußerungen im Wahlkampf den Vorwurf eingehandelt, sie stünden Amerikas heiliger Mission civilisatrice nicht positiv genug gegenüber - Obama, als er bei einer Fernsehdebatte meinte, alle Staaten, nicht nur die USA allein, seien für sich "einzigartig"; Trump, als er Rußland vor dem Vorwurf, ein besonders bösartiger und deshalb verabscheuungswürdiger Akteur auf der Weltbühne zu sein, mit dem Einwand in Schutz nahm, Amerikaner seien auch "Killer", wenn es darauf ankomme. Die selbsternannten Wächter des Grals amerikanischer Vorsehung in der Chefredaktion der New York Times gaben sich erwartungsgemäß über Trumps plumpen Verweis auf das allzu Offensichtliche mehr als entsetzt.

Mit ihrem Buch "American Exceptionalism and American Innocence" analysieren Roberto Sirvent, Professor der politischen und sozialen Ethik an der Hope International University in Fullerton, Kalifornien, und Danny Haiphong, Kommentator der linken US-Zeitschrift Black Agenda Report, akribisch jene "duale Fantasie", die seit mehr als 200 Jahren in den USA "weiße Vorherrschaft, Imperialismus, Kapitalismus und die amerikanischen Kriegsmaschine" ideologisch beflügelt. Bei ihrer grandiosen Entmythologisierungarbeit fangen Sirvent und Haiphong bei den Aufstandsmotiven George Washingtons, Thomas Jeffersons et al an, die weit weniger in irgendwelchen Unterdrückungsmaßnahmen des britischen Königs George III, als vielmehr in der berechtigten Angst begründet lagen, London könnte ihre schwarzen Sklaven befreien und die Indianer westlich der Appalachen vor dem Raub ihrer Siedlungsgebiete und die Vernichtung ihrer Kultur schützen.

Am "amerikanischen Traum" lassen die Autoren kein gutes Haar. Sie weisen nach, wie sehr die Möglichkeit, als vollwertiger Mensch an den Segnungen des amerikanischen Aufstiegs zur Weltmacht teilzuhaben, stets an rassistischen und anderen neo-darwinistischen Kriterien geknüpft gewesen ist - bis heute, wie Trumps jüngste Aufwiegelung seiner weißen, reaktionären Wählerschaft gegen vier weibliche und farbige Kongreßabgeordnete, von denen zwei zudem Musliminnen sind, zeigt. Über 21 Kapitel werden die vier Hauptelemente der in sich verwobenen Ideologie des amerikanischen Exceptionalismus und der amerikanischen Unschuld veranschaulicht. Sirvent und Haiphong listen diese Aspekte wie folgt auf: erstens, die grundlegende Annahme der amerikanischen Unschuld in der Art, wie in den USA über den Völkermord an den Indianern, die Sklaverei und frühere Kriege reflektiert wird; zweitens, der dem amerikanischen Traum innewohnende Mythos von der Leistungsgesellschaft; drittens, das Streben nach militärischer Eroberung rund um die Welt; und viertens, die fortlaufende Notwendigkeit des Imperialismus bzw. der Herrschaft des Monopolkapitalismus bei der Umsetzung der zivilisierenden Mission der Vereinigten Staaten.

Um dem Leser zu einem weniger beschönigenden Blick auf die US-Geschichte zu verhelfen, greifen Sirvent und Haiphong hauptsächlich auf die Schriften und Aussagen von Historikern und Zeitzeugen zurück, die sich stets für die Unterdrückten einsetzten, häufig, aber nicht immer, weil sie selbst unter minderprivilegierten Bedingungen zur Welt gekommen waren und gelebt haben. Gemeint sind natürlich berühmte Persönlichkeiten wie Frederick Douglass, Martin Luther King jun. und Malcolm X, aber auch weniger bekannte Autoren wie James Baldwin, Claudia Jones und Eslanda Robeson (geborene Goode), Frau des berühmten Sängers und Bürgerrechtlers Paul "Ol' Man River" Robeson.

Hoch spannend ist auch die im Buch zu findende Auseinandersetzung mit den vielfältigen Formen, wie in den USA des 21. Jahrhunderts der Amerikanismus - nicht trotz, sondern gerade wegen der ganzen Rückschläge an der "Antiterrorfront" - beweihräuchert bzw. als messianische Religion gefeiert wird. Hierzu gehören nicht nur geschichtsklitterende Broadway-Musicals wie Hamilton oder die Lobgesänge der Finanzpresse auf den Aufstieg des Gangsta-Rappers Jay-Z zum ersten "Ghetto-Milliardär", sondern auch die Umwandlung des Profisports, insbesondere des American Footballs, in eine kunterbunte Rekrutierungsfalle für das Pentagon. Letzteres Phänomen erklärt, warum 2016 die Aktion des farbigen San-Francisco-49er-Quarterbacks Colin Kaepernick, sich aus Solidarität mit den Protesten gegen Polizeimorde an jungen Schwarzen bei der Nationalhymne vor dem Spiel nicht kerzengerade hinzustellen, sondern auf die Knie zu gehen, Trump und seine chauvinistische Anhängerschaft in Rage versetzt hat.

Wer hoffte, nach der Wahl Barack Obamas zum ersten schwarzen Präsidenten wären die USA in das post-rassistische Zeitalter getreten, wurde durch die Wahl des Klu-Klux-Klan-Sympathisanten Trump eines Besseren belehrt. Die USA sind mit Abstand das Land mit prozentual dem höchsten Anteil seiner Bevölkerung hinter Gittern. In US-Knästen sind junge schwarze Männer deutlich überrepräsentiert - eine Folge des Antidrogenkriegs, der nicht zufällig die Antwort von Richard Nixons "Silent Majority" auf die erfolgreichen Bürgerrechtsproteste der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts gewesen ist. Bis heute sitzen in den USA zahlreiche politische Dissidenten im Gefängnis, von denen die meisten Menschen bestenfalls die Namen Leonard Peltier oder Mumia Abu Jamal kennen. Sirvent und Haiphong haben mit ihrem gemeinsamen Werk einen hochaktuellen und wichtigen Beitrag zur Entzauberung des höchst destruktiven Mythos Amerika geleistet. Ein Staatswesen, dessen wichtigstes Symbol, das Star-Spangled Banner, auf der Raubritter-Flagge der East India Company Großbritanniens basiert, hat es nicht anders verdient.

21. Juli 2019


Roberto Sirvent & Danny Haiphong
American Exceptionalism and American Innocence
A People's History of Fake News - From the Revolutionary War to the
War on Terror
Skyhorse Publishing, New York, 2019
322 Seiten
ISBN-13: 978-1-5107-4236-9


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang