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AFRIKA/160: Klage gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al Baschir (ai journal)


amnesty journal 08/09/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Nur China hat Einfluss"

Interview mit Leonie von Braun


FRAGE: Gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al Baschir läuft eine Klage wegen Völkermord. Sieht man ihn demnächst in Handschellen?

LEONIE VON BRAUN: Das ist unwahrscheinlich. Bislang stand noch nie ein amtierender Präsident vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Zum Prozess kam es erst, als die Politiker nicht mehr an der Macht waren, so wie bei dem ehemaligen serbischen Präsidenten Milosevic oder dem liberianischen Staatschef Taylor.

FRAGE: Wieso erfolgte die Anklage gerade jetzt?

LEONIE VON BRAUN: Offensichtlich hat Chefankläger Luis Moreno-Ocampo jetzt genügend Beweise zusammengetragen, dass al Baschir für systematische Vertreibung und Genozid in Darfur verantwortlich ist: Dort spielt sich seit Jahren einer der blutigsten Konflikte ab, den es momentan auf der Welt gibt. Der UNO-Sicherheitsrat hat diesen Fall explizit an den Strafgerichtshof überwiesen.

FRAGE: Wie geht das Verfahren jetzt weiter?

LEONIE VON BRAUN: Es gibt die Befürchtung, dass der Sicherheitsrat das Verfahren für ein Jahr auf Eis legen könnte. Diese Klausel im Statut ist aber nur vorgesehen, wenn auf nationaler Ebene juristisch agiert wird, der Sudan also selbst aktiv werden würde. Davon ist nicht auszugehen. Natürlich wird diese Klausel auch benutzt, um politischen Problemen vorzubeugen. Dass der Sudan jetzt mit den Säbeln rasselt, war vorhersehbar und wird meiner Meinung nach zu keinen ernsthaften Konsequenzen führen. Die Richter prüfen nun die Anklage und entscheiden dann, ob sie einen Haftbefehl erlassen. Das kann einige Zeit dauern.

FRAGE: Wie kann man die sudanesische Regierung zwingen, mit dem Gerichtshof zu kooperieren?

LEONIE VON BRAUN: Die Klageerhebung findet zu einem guten Zeitpunkt statt - kurz vor den Olympischen Spielen. Denn die Chinesen sind derzeit die einzigen, die wirklich Einfluss auf Karthoum nehmen können. Daher müssen die Europäer und die USA nun den Druck auf die chinesische Regierung erhöhen, um zumindest den Friedensprozess im Sudan zu stärken.

FRAGE: Ist die Anklage ein Modell für künftige Verfahren?

LEONIE VON BRAUN: Die Idee des Römischen Statuts des Strafgerichtshofes ist es, durch die weltweite Ratifikation langfristig zu einer nationalen Strafverfolgung zu gelangen. Der Gerichtshof wird niemals in der Lage sein, alle potenziellen Verfahren, die unter sein Mandat fallen, zu bearbeiten. Er soll nur einschreiten, wenn auf nationaler Ebene überhaupt nicht gehandelt wird. Das ist momentan leider meistens die Realität. Aber die zunehmende Zahl der Staaten, die das Statut ratifizieren, zeigt auch, dass diese Rechnung langfristig aufgehen wird.

FRAGE: Ist die Welt für Despoten wie Mugabe unsicherer geworden?

LEONIE VON BRAUN: Eindeutig. Das zeigen auch die fast hysterischen Äußerungen der Afrikanischen Union (AU) und der arabischen Liga: Der Gerichtshof sei ein parteiisches Gericht der westlichen Welt und eine Geisel der US-amerikanischen Interessen. Dabei ist es zum ersten Mal vielleicht positiv, dass die USA an dem Gerichtshof gar nicht beteiligt sind. Von einer Vereinnahmung durch die USA kann also gar keine Rede sein. Bei der AU, die bislang kein besonders rühmlicher Verfechter der Menschenrechte war, macht sich nun Nervosität breit - und das zu Recht.


Interview: Anton Landgraf

Dr. Leonie von Braun ist Sprecherin der Amnesty-Gruppe gegen Straflosigkeit, Referendarin und arbeitet zur Zeit in Brüssel.


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Quelle:
amnesty journal, August/September 2008, S. 15
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. August 2008