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AFRIKA/174: Starke Mädchen können als Frauen ihre Rechte einfordern (ai journal)


amnesty journal 02/03/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Mehr als schöne Kleider
Kakenya Ntaiya lebt es vor: Mädchen, die zur Schule gehen,
können als Frauen ihre Rechte einfordern.

Von Else Engel


Als Mädchen träumte Kakenya Ntaiya davon, die Schule zu beenden und Lehrerin zu werden. Ein hochgestecktes Ziel für eine junge Massai im Westen Kenias. Ein Ziel für das Ntaiya mit vielen Traditionen brechen musste. Heute ist sie eine erwachsene Frau mit einem Universitätsabschluss aus den USA. Lehrerin ist sie nicht geworden - sie hat gleich eine ganze Schule gegründet.

Ntaiyas Mutter hatte die Schule nach wenigen Jahren abbrechen müssen als sie verheiratet wurde. Dieser Weg war auch für Ntaiya vorgesehen. Im Alter von fünf Jahren wurde sie dem Sohn der Nachbarn versprochen. Doch sie hatte andere Pläne und den Mut, diese umzusetzen.

In Enoosaen, dem Dorf in dem Ntaiya aufgewachsen ist, war die "Beschneidung" und Verheiratung der Mädchen eng mit der Familienehre verbunden. Ntaiya drohte ihren Eltern, als unverheiratete Jugendliche abzuhauen, wenn sie nicht die Schule beenden dürfe. Schließlich ging sie einen Handel mit ihrem Vater ein: Er erlaubte ihr, die Schule zu beenden, wenn sie sich im Gegenzug beschneiden ließ. Ntaiya hat für die Chance auf eine Schulbildung einen hohen Preis gezahlt.

Dass sie auch nach dem Schulabschluss nicht sofort heiraten wollte, verriet sie ihrem Vater nicht. Erst als es so weit war, rückte sie mit ihren Plänen heraus. Jetzt gelang es ihr, ihren Vater, den Dorfältesten und viele andere davon zu überzeugen, sie nicht nur als erste Frau ihres Dorfs studieren zu lassen, sondern sie auch mit dem nötigen Geld auszustatten.

Als Kind wusste Kakenya Ntaiya nicht, dass jeder Mensch ein Recht auf Bildung hat. Davon hat sie erst als Studentin gelesen. Sie wusste nichts von den ernsthaften gesundheitlichen Gefahren, die durch die Genitalverstümmelung, verharmlosend Beschneidung genannt, entstehen. Auch dass eine Zwangsheirat international festgeschriebene Rechte der Mädchen und jungen Frauen verletzt, erfuhr sie erst spät. Das soll sich ändern. Ntaiya will, dass Mädchen ihre Rechte kennen und selbstbewusst einfordern können. Sie will, dass sie mit einem Wissen aufwachsen, das sie sich mühsam erkämpfen musste.

Im Mai 2009 eröffnete Ntaiya in ihrem Dorf das "Kakenya Centre for Excellence", eine Schule für Mädchen. Die Schülerinnen werden nicht nur in den gewöhnlichen Fächern unterrichtet, sondern lernen auch über Genitalverstümmelung, reproduktive Gesundheit, den HI-Virus und Aids. Sie sollen lernen, wie sie bei der Verteilung der Macht in zukünftigen sexuellen Beziehungen nicht leer ausgehen. Es wird auch viel Wert darauf gelegt, dass die Schülerinnen Verantwortung übernehmen für die Menschen um sie herum. Das resultierende Selbstbewusstsein soll die Mädchen dazu befähigen, sich für ihre eigenen Überzeugungen einzusetzen und an der Entwicklung der Gemeinschaft teilzuhaben. Ntaiya lebt es ihren Schülerinnen vor, indem sie zeigt, wie viel eine Frau bewegen kann, für sich, aber auch für andere.

Ntaiyas Schule bedeutet damit mehr als eine Realisierung des Rechts auf Bildung für Mädchen. Es geht darum, die Schülerinnen über ihre Rechte zu informieren, sie für deren Verletzungen zu sensibilisieren und ganz konkrete Schritte in Richtung einer Gemeinschaft zu gehen, in der Frauen als gleichwertige Menschen handeln können.

Aus der Perspektive der Schülerinnen lässt sich gut erkennen, wie eng die Menschenrechte von Kindern und Frauen zusammenhängen. Wenn Mädchen nicht die gleichen Chancen erhalten wie Jungen, folgt daraus, dass sie auch als Frauen weiterhin diskriminiert werden, beispielsweise was sozialen Status und Einkommen angeht. Auch über Generationen hinweg wird dieser Zusammenhang deutlich. UNICEF weist daraufhin, dass sich Bildung und Gesundheit von Müttern direkt auf die Überlebenschancen ihrer Kinder auswirken.

Die Mädchenschule zeigt damit ganz praktisch, wie zwei wichtige Menschenrechtsabkommen zusammenspielen: Die Kinderrechtskonvention und die Frauenrechtskonvention der UNO. Vergangenes Jahr wurde der 20. beziehungsweise der 30. Jahrestag ihrer Verabschiedung begangen. Grund zum Feiern gab es nicht viel, denn Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen sind weiterhin vielerorts alltäglich.

Ntaiya hat dies selbst erfahren und will es nicht hinnehmen. Als Kind wollte sie Lehrerin werden, weil sie die vielen schönen Kleider ihrer Lehrerinnen bewunderte. Heute träumt sie nicht mehr von Kleidern, sondern davon, dass alle Mädchen aus ihrem Dorf wie sie ihren Weg zu Bildung, Selbstverwirklichung und Übernahme von Verantwortung gehen können.


Die Autorin ist Mitglied der Themengruppe zu Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen der deutschen Sektion von Amnesty International. Mehr Informationen auf www.amnesty-kinderrechte.de


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Quelle:
amnesty journal, Februar/März 2010, S. 32
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2010