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AFRIKA/222: Kamerun - Zivile Opfer im Kampf gegen Boko Haram


Amnesty International - 14. Juli 2016

Kamerun: Zivile Opfer im Kampf gegen Boko Haram


14. Juli 2016 - In der Absicht, Menschen vor den brutalen Anschlägen und Selbstmordattentaten von Boko Haram zu schützen, begehen kamerunische Sicherheitskräfte selbst immer wieder Menschenrechtsverletzung an der Zivilbevölkerung in der Region Extrême-Nord. Dies dokumentiert der neue Amnesty-Bericht "Right cause, wrong means: Human rights violated and justice denied in Cameroon's fight against Boko Haram".

Der Bericht erscheint nur Wochen nach dem letzten Selbstmordanschlag von der nigerianischen bewaffneten Gruppierung Boko Haram in Djakana, nahe der Stadt Limani an der Grenze zu Nigeria, dem elf Menschen zum Opfer fielen. Es war der jüngste Anschlag einer Angriffswelle, die allein in diesem Jahr 480 Zivilpersonen das Leben gekostet hat. Rund die Hälfte aller Selbstmordanschläge wird von Kindern verübt.

Statt von den Sicherheitskräften beschützt zu werden, geraten Zivilpersonen selbst immer wieder ins Visier von Militär und Polizei. Mit übermäßiger Gewalt werden Häuser durchsucht und geplündert. Hunderte von Zivilpersonen wurden willkürlich festgenommen und häufig in geheimen Haftzentren festgehalten. Einige von ihnen gelten seitdem als "verschwunden". Mehr als 1.000 Menschen sitzen derzeit in hoffnungslos überfüllten Gefängnissen, weil sie beschuldigt werden, Boko Haram zu unterstützen.

"Hunderte Menschen sind ohne begründeten Verdacht auf ein Verbrechen verhaftet worden. Woche für Woche sterben Menschen in überfüllten Gefängnissen. Die Regierung Kameruns muss sofort Maßnahmen ergreifen und das Versprechen einhalten, im Kampf gegen Boko Haram die Menschenrechte zu achten", sagt Alioune Tine, Regionaldirektor von Amnesty International für West und Zentralafrika.

Das Zentralgefängnis Maroua in der Region Extrême-Nord ist für 350 Menschen vorgesehen, aber mit 1.500 Gefangenen hoffnungslos überbelegt. Über die Hälfte davon werden beschuldigt, Boko-Haram-Anhänger zu sein. Die sanitären Bedingungen sind unzumutbar und es gibt nicht genügend Nahrung. Wegen der katastrophalen Haftbedingungen sterben monatlich bis zu acht Gefangene. Die Zahl der Gefangenen ist durch willkürliche Massenverhaftungen stetig angestiegen. Oft wenden die Sicherheitskräfte dabei übermäßige und unnötige Gewalt an. So kamen bei der Erstürmung von Kouyapé durch die Armee im Juli 2015 70 Menschen ums Leben.

Meist werden die Gefangenen nach dem im Dezember 2014 verabschiedeten Antiterrorgesetz vor Militärgerichte gestellt. Über 80 Prozent der Festgenommenen befinden sich jedoch ohne Gerichtsverfahren in Haft. Weil das Gesetz Terrorismus nur ungenau definiert, stellt es eine akute Bedrohung für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und die Rechte der Angeklagten dar.

So wurde im Dezember 2014 der Student Fomusoh Ivo Feh festgenommen, weil er sich in einer SMS an Freunde über Boko Haram lustig gemacht hatte. Dafür muss er nun mit einem Todesurteil durch das Militärgericht in Yaoundé rechnen.

Seit Juli 2015 wurden allein vom Militärgericht in Maroua mehr als 100 Männer und Frauen zum Tode verurteilt. Bisher wurde allerdings keines der Urteile vollstreckt.


Hintergrundinformationen

Die Region Extrême-Nord ist die bevölkerungsreichste, aber auch ärmste und abgelegenste Gegend Kameruns. Aufgrund des geringen Bildungsgrades fehlen den Menschen Kenntnisse im Umgang mit der Polizei und den Behörden. Von Juli 2015 bis Juli 2016 hat Boko Haram in der Region mindestens 200 Angriffe durchgeführt, darunter 40 Selbstmordattentate, bei denen insgesamt mindestens 480 Menschen getötet wurden. Den ersten bewaffneten Überfall dieser Art in Kamerun beging Boko Haram am 12. Juli 2015 in der Ortschaft Fotokol. Er tötete 13 Zivilpersonen und zwei Soldaten.

Boko Haram rekrutiert häufig unter Zwang vorwiegend Kinder, Mädchen und junge Frauen für die Selbstmordattentate. Laut der Vertreterin der Vereinten Nationen für Kamerun, Najat Rochdi, befinden sich derzeit 190.000 Kamerunerinnen und Kameruner auf der Flucht im eigenen Land. Hinzukommen 60.000 Flüchtlinge aus Nigeria.


Der vollständige, englischsprachige Bericht "Right cause, wrong means: Human rights violated and justice denied in Cameroon's fight against Boko Haram" kann als PDF-Datei heruntergeladen werden unter:
https://www.amnesty.org/en/documents/afr17/4260/2016/en/

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Quelle:
Mitteilung vom 14. Juli 2016
https://www.amnesty.de/2016/7/14/kamerun-zivile-opfer-im-kampf-gegen-boko-haram?destination=node%2F2817
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2016

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