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AFRIKA/227: Nigeria - Polizei macht Folter zu lukrativer Einnahmequelle


Amnesty International - 21. September 2016

Nigeria: Polizei macht Folter zu lukrativer Einnahmequelle


21. September 2016 - Ein neuer Amnesty-Bericht deckt die Machenschaften einer nigerianischen Polizeieinheit auf, die sich durch die Folterung von Gefangenen bereichert. Die Sondereinheit SARS, die eigentlich gegen Gewaltkriminalität vorgehen soll, foltert systematisch Gefangene in ihrem Gewahrsam, um so "Geständnisse" oder Schmiergelder von Verwandten zu erpressen.

In dem Bericht "Nigeria: 'You have signed your death warrant'" kommen ehemalige Gefangene zu Wort, die beschreiben, wie sie auf brutale Weise gefoltert wurden, unter anderem durch Aufhängen an den Gliedmaßen, Nahrungsentzug, Schläge, Schussverletzungen und Scheinhinrichtungen. Verantwortlich dafür sind Angehörige der berüchtigten Sondereinheit der Polizei für Raubdelikte (Special Anti-Robbery Squad - SARS).

"Eine Polizeieinheit, deren Aufgabe es ist, Menschen zu schützen, ist zu einer Gefahr für die Gesellschaft geworden, indem sie Menschen foltert, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Dadurch entsteht ein Klima der Angst und Korruption", sagt Damian Ugwu, Nigeria-Experte bei Amnesty International.

"SARS-Angehörige werden durch ihre Brutalität reich"

"Unsere Recherchen haben aufgedeckt, dass Angehörige der Polizeieinheit SARS systematisch und skrupellos Menschenrechtsverletzungen begehen. Sie nehmen Menschen fest und foltern sie, bis sie entweder ein 'Geständnis' ablegen oder den Polizeiangehörigen ein Bestechungsgeld zahlen, um freigelassen zu werden", so sagt Damian Ugwu weiter. "SARS-Angehörige werden durch ihre Brutalität reich. In Nigeria scheint Folter ein lukratives Geschäft zu sein."

Gefangene der SARS werden an verschiedenen Haftorten festgehalten, darunter ein düsteres Gefängnis in Abuja, das unter dem Namen Abattoir ("Schlachthof") bekannt ist. Dort werden 130 Menschen in völlig überbelegten Zellen festgehalten.

Die Recherchen von Amnesty haben zudem aufgedeckt, dass die SARS zusätzlich zu ihrer offiziellen Aufgabe, Gewaltverbrechen zu bekämpfen, auch in zivilrechtlichen Fällen ermittelt. Angehörige der Einheit haben zum Teil Gefangene gefoltert, denen Vergehen gegen das Vertragsrecht oder Wirtschaftsdelikte vorgeworfen werden und auch Personen, die an nicht strafrechtlich relevanten Streitigkeiten beteiligt waren.

In einem dieser Fälle wurde in Onitsha im Bundesstaat Anambra ein 25-jähriger Tankwart von der SARS festgenommen, nachdem sein Arbeitgeber ihn des Diebstahls bezichtigt hatte.

Der Tankwart beschrieb Amnesty das Vorgehen der SARS-Einheit: "Die Polizisten forderten mich auf, ein unbeschriebenes Blatt Papier zu unterschreiben. Nachdem ich es unterzeichnet hatte, erklärten sie, dass ich damit mein Todesurteil unterschrieben habe. Sie hängten mich an einer Eisenstange auf. Mein Körper stellte alle Funktionen ein. Ich wurde ohnmächtig. Als ich schon fast tot war, nahmen sie mich runter und gossen Wasser über mich, um mich wiederzubeleben."

Wie vielen anderen Gefangenen der SARS wurde ihm während der zweiwöchigen Haft der Zugang zu einem Rechtsbeistand, zu medizinischer Betreuung und zu seiner Familie untersagt.

Keine Reaktion von den Behörden

In vielen Fällen, in denen Opfer von Folter und anderen Misshandlungen durch die Polizei Anzeige erstattet haben, haben die Behörden nicht reagiert.

Als Amnesty nach einer Erklärung dafür fragte, dass keine Polizeikräfte wegen Folter suspendiert oder vor Gericht gestellt worden waren, stritt die Polizei ganz einfach ab, dass es zu Folterungen gekommen sei.

Ein hochrangiger Beamter erklärte jedoch, dass im April 2016 etwa 40 Beamtinnen und Beamte, denen Folter und anderweitige Misshandlung von Gefangenen vorgeworfen wird, in andere Polizeiwachen versetzt worden seien. Er sagte jedoch nichts dazu, ob Ermittlungen gegen sie eingeleitet wurden.

"Die fehlende Rechenschaftspflicht fördert und festigt Straflosigkeit und schafft ein Klima, in dem Angehörige der SARS glauben, dass sie einen Freibrief für das Foltern von Gefangenen haben", so Damian Ugwu.

"Ich blutete am Mund und sah nur noch verschwommen"

Der 32-jährige Chidi Oluchi berichtete Amnesty International, dass man ihm nach seiner Festnahme in Enugu seine persönlichen Gegenstände weggenommen habe, bevor Angehörige der SARS ihn in Gewahrsam folterten.

"Sie befahlen mir, mich selbst zu schlagen. Als ich mich weigerte, schlugen sie mit der flachen Seite ihrer Macheten und schweren Stöcken auf mich ein. Ich blutete am Mund und sah nur noch verschwommen", erklärte Chidi Oluchi. Er wurde erst freigelassen, nachdem er SARS-Kräften 25.000 Naira (umgerechnet etwa 90 Euro) gezahlt hatte.

Neben der Annahme von Bestechungsgeldern wird SARS-Beamtinnen und -Beamten auch vorgeworfen, Angehörige von inhaftierten Verdächtigen bestohlen oder ihren Besitz konfisziert zu haben.

Einige Familienmitglieder gaben Amnesty gegenüber an, dass Polizeikräfte ihre Autos gestohlen oder ihr gesamtes Geld von ihren Bankkonten abgehoben hätten.

Der Großteil der Menschen, die im Gewahrsam der SARS gefoltert werden, ist arm und hat keine Möglichkeit, rechtlichen Beistand zu bezahlen. Wenn Gefangene die Bestechungsgelder nicht aufbringen können, werden sie in einigen Fällen sogar noch mehr gefoltert.

Obwohl Amnesty in den vergangenen Jahren immer wieder ein Folterverbot gefordert hat, versagt das nigerianische Justizsystem weiter dabei, Folter zu verhindern und zu bestrafen.

Im Dezember 2014 gab die nigerianische Polizei ein Menschenrechtshandbuch heraus, in dem dargelegt wird, dass Folter und anderweitige Misshandlungen von Gefangenen verboten sind. Die Einheit für Raubdelikte hält sich daran jedoch nicht.

Nach der Ernennung eines neuen Polizei-Generalinspekteurs Anfang 2015 wurden Reformen und eine Reorganisation der SARS angekündigt.


Der vollständige englischsprachige Bericht "Nigeria: 'You have signed your death warrant'" kann als PDF-Datei heruntergeladen werden unter:
https://www.amnesty.org/en/documents/afr44/4868/2016/en/

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Quelle:
Mitteilung vom 21. September 2016
https://www.amnesty.de/2016/9/21/nigeria-polizei-macht-folter-zu-lukrativer-einnahmequelle?destination=startseite
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2016

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