Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

ASIEN/198: Im Tal der Tulpen (amnesty journal)


amnesty journal 2/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Im Tal der Tulpen

Von Imke Dierßen


In den zentralasiatischen Republiken sind Folter und Misshandlungen alltäglich. Menschenrechtsgruppen vor Ort sind auf sich allein gestellt. Sie könnten Unterstützung durch die EU gut gebrauchen.


*


Das Büro der Menschenrechtsorganisation "Sprawedliwost" (Gerechtigkeit) liegt in einem kleinen Hinterhof mitten in Jalalabad. Draußen scheint noch im November die Sonne, es ist warm und in dem kleinen Hof blühen bunte Blumen. Im weiß gestrichenen Haus hingegen ist es kühl und dunkel. Dort beraten sich die Menschenrechtler von "Sprawedliwost" und der befreundeten Organisation "Wosduch" (Luft).

Die Stadt Jalalabad befindet sich im Süden Kirgisistans. Man kann nach Usbekistan hinüber sehen. Auch die chinesischen Berge sind in Sichtweite, als wir von Osh nach Jalalabad durch die weite trockene Landschaft fahren. Beide Städte liegen im zentralasiatischen Ferghana- Tal. Hier treffen die Grenzen Kirgisistans, Usbekistans und Tadschikistans aufeinander. Das Bild in Jalalabad ist geprägt von einem ethnischen und sprachlichen Mix aus Kirgisen, Usbeken und Uiguren, einer muslimischen Minderheit aus der angrenzenden chinesischen Autonomieregion Xinjang.

Die Grenzen im Ferghana-Tal sind durchlässig. Händler pendeln mit ihren Waren hin und her. Aber auch Drogenhändler und bewaffnete Gruppen können nahezu ungehindert die Grenzen passieren. So haben im vergangenen Mai Bewaffnete eine kirgisisch-tadschikische Grenzstation überfallen. Bei dem anschließenden Schusswechsel kamen mindestens zwölf Personen ums Leben. Im August führten usbekische und kirgisische Sicherheitskräfte im Grenzgebiet eine gemeinsame Anti-Terror-Operation durch. Seither sind mehrere vom UNHCR als Flüchtling anerkannte Usbeken aus Kirgisistan "verschwunden". Es gilt als sicher, dass sie nach Usbekistan verschleppt wurden und nun dort inhaftiert sind.

Die Lage im Ferghana-Tal ist instabil. Wie sehr diese die Stabilität des ganzen Landes beeinträchtigen kann, zeigte sich im Frühsommer 2005, als mehrere hundert Männer, Frauen und Kinder aus der usbekischen Stadt Andischan auf die kirgisische Seite des Tals flüchteten. Im Mai kamen in Andischan hunderte zumeist friedliche Demonstranten ums Leben, als usbekische Sicherheitskräfte in die Menge schossen. Die usbekische Regierung rechtfertigt ihr Vorgehen bis heute, indem sie die Demonstration als terroristischen Akt darstellt.

Um der Flüchtlinge aus Andischan habhaft zu werden, hat die usbekische Seite nicht nur zahlreiche Auslieferungsanträge an ihren kirgisischen Nachbarn gestellt, sondern auch ihren Geheimdienst ins Nachbarland entsandt, wo er mehr oder weniger offen agiert. Die kirgisische Regierung wurde durch die Ereignisse von Andischan erheblich geschwächt. Sie hatte sich nach der so genannten Tulpen-Revolution gerade unter großen Schwierigkeiten neu formiert.

Machtkämpfe um politische Konzepte und Einfluss schwelen bis heute. Anfang November fanden sich Demonstranten mehrere Tage lang auf dem Alatoo Platz in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek zusammen, um die Absetzung von Präsident Bakijew zu fordern. Dieser hatte sich bisher geweigert, eine neue Verfassung zu unterzeichnen, die eine Machtverschiebung zugunsten des Parlaments vorsah. Am Ende unterschrieb er doch einen mühsam ausgehandelten Kompromissvorschlag.

Zu dieser Zeit befand sich eine Delegation von amnesty international im Land, um Ermittlungen über die Menschenrechtslage durchzuführen. Die November-Demonstrationen haben mehr als deutlich vor Augen geführt, wie instabil das Land ist, und wie schwer es sein wird, die brennenden Probleme der Bevölkerung zu lösen. Bei unseren Gesprächen mit Nichtregierungsorganisationen, die in Kirgisistan zahlreich vertreten sind, Journalisten und Vertretern internationaler Organisationen wurde uns immer wieder über Korruption und Menschenrechtsverstöße berichtet, vor allem über die weite Verbreitung der Folter. Auch die Menschenrechtler des Regionalen Menschenrechtsnetzwerkes von Jalalabad, dem "Sprawedliwost" und "Wosduch" angehören, haben in diesem Feld ihren Arbeitsschwerpunkt.

Sie beobachten die Menschenrechtslage in der Region und berichten in ihrem Magazin über Folter- und Misshandlungsvorwürfe. Dieses wird in kirgisischer, usbekischer und russischer Sprache publiziert und auf Basaren, in Straßen und Moscheen und auf den Dörfern verteilt. Die Menschenrechtler hoffen, dass ihre Öffentlichkeitsarbeit die Menschen ermutigt, über ihre eigenen Erfahrungen zu berichten und für ihre Rechte einzutreten. "Sprawedliwost" und "Wosduch" bieten dabei Unterstützung an. Beide Organisationen helfen den Opfern von Folter und Misshandlung, Strafanzeige zu stellen und diese vor Gericht zum Erfolg zu führen. Noch viel zu oft sind jedoch die Betroffenen nicht gewillt, Beschwerde gegen ihre Behandlung im Polizeigewahrsam einzulegen. Tun sie dies doch, kommt es immer wieder vor, dass sie von den angezeigten Polizisten bedroht werden.

Asimschan Askarow, ein Anwalt von "Wosduch", vertritt seit Jahren eine junge Frau aus dem Dorf Basar-Kurgan. Sie wurde erstmals 2003 wegen eines geringfügigen Diebstahldeliktes festgenommen und acht Monate lang im Gewahrsam festgehalten. Bei den Verhören und im Gewahrsam wurde sie schwer geschlagen. Die Polizeizelle, in der sie inhaftiert war, lag im Untergeschoss des Polizeigebäudes. Die Zelle war so überfüllt, dass die junge Frau auf dem nackten Betonfußboden schlafen musste. Sie wurde von Mithäftlingen vergewaltigt, nachdem sie von Polizisten an diese verkauft worden war. Sie wurde schwanger und musste das Kind mit Handschellen an ein Krankenhausbett gefesselt und unter Beisein eines männlichen Polizisten zur Welt bringen. Der Säugling starb kurz nach der Geburt.

Als die junge Frau nach einer Bewährungsstrafe aus der Haft entlassen wurde, wandte sie sich an die Anwälte von "Wosduch" und stellte mit ihrer Hilfe eine Strafanzeige. Mehrere Polizisten wurden vor Gericht gestellt und zwei Offiziere des Innenministeriums, die für die Verhöre verantwortlich waren, wurden disziplinarisch belangt.

Im September 2005 wurde die junge Frau erneut wegen Diebstahls festgenommen. Ein Offizier des Innenministeriums verhörte sie ohne Beisein eines Anwalts und bedrohte sie wegen ihrer Strafanzeige. Nach ihrer Freilassung waren an ihrem Körper nach Angaben von "Wosduch" die Folgen der schweren Schläge erkennbar. Seit sie erneut Strafanzeige stellte, erhalten die junge Frau und ihre Familie Drohungen aus dem Umfeld des Offiziers. Im Juni 2006 wurde sie wieder ohne Vorlage eines Haftbefehls verhaftet.

Asimschan Askarow sitzt im Büro von "Sprawedliwost" mit uns zusammen. Wir sind gekommen, um von ihm weitere Details über das Schicksal der jungen Frau zu erhalten und zu diskutieren, wie ai Unterstützung bieten kann. Askarow erzählt mit ruhiger, leiser Stimme. Der Fall hat auch ihm ernsthafte Probleme bereitet. Er wurde persönlich bedroht, und gegen ihn wurde ein Verfahren wegen Verleumdung eingeleitet. Bislang führt er jedoch seine Arbeit unerschrocken fort.

Menschenrechtsverteidiger wie Askarow sind mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert. Anders als die Gefängnisse des Landes stehen die Einrichtungen der Polizei nicht unter der Kontrolle des Justizministeriums, sondern noch immer unter der des Innenministeriums. Der Zugang zum Polizeigewahrsam, wo Schläge zur Routine gehören, ist für Anwälte und Menschenrechtsorganisationen erheblich eingeschränkt. Anwälte können ihre Mandanten nur unter großen Schwierigkeiten unmittelbar nach der Festnahme sehen oder den Verhören beiwohnen.

Ein besserer Zugang zu den Polizeizellen wäre daher ein erster wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Folter. Menschenrechtsorganisationen wie "Wosduch" und "Sprawedliwost" bemühen sich darum und könnten in ihrem Anliegen dringend Unterstützung auch durch die Europäische Union gebrauchen. Insbesondere an Deutschland, das die EU-Ratspräsidentschaft inne hat und in Kirgisistan als einziger EU-Staat mit einer Botschaft vertreten ist, richten sich die Erwartungen.

Die Autorin ist Expertin für Europa und Zentralasien der deutschen ai- Sektion. Sie reiste gemeinsam mit dem Internationalen Sekretariat von ai vom 25. Oktober bis zum 6. November 2006 nach Kasachstan und Kirgisistan.


*


KASACHSTAN

Die kasachische Regierung ist bereits von Almaty in die neue Hauptstadt Astana umgezogen. Nach und nach folgen nun auch die Botschaften und internationalen Organisationen. Die wenigen Menschenrechtsorganisationen des Landes sind jedoch nicht in Astana und haben nun gar keinen Zugang mehr zur Politik. Dabei gäbe es viel zu tun. Folter und Misshandlung sind auch in Kasachstan weit verbreitet, jedoch schwer zu dokumentieren, denn die Menschenrechtler erhalten keinen Zugang zu den Polizeizellen. Die gesundheitlichen Zustände in Haft sind aufgrund von Tuberkulose und HIV/Aids katastrophal. Zum Tode Verurteilte sind diesen Bedingungen jahrelang hilflos ausgeliefert. Seit 2004 führt Kasachstan keine Hinrichtungen mehr durch. Todesurteile werden allerdings weiter verhängt, zuletzt 2006 in zwei Fällen.


*


Quelle:
amnesty journal, Februar 2007, S. 12
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30
E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de

Das amnesty journal erscheint monatlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Nichtmitglieder können das amnesty journal für
30 Euro pro Jahr abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2007