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ASIEN/201: Malediven - Die Hölle im Ferienparadies (amnesty journal)


amnesty journal 2/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Die Hölle im Ferienparadies

Von Pascale Schnyder


Die Malediven gelten für Touristen als Ferienparadies - für die Bevölkerung ist das Leben unter dem autoritären Regime von Präsident Maumoon Abdul Gayoom eher die Hölle. Regimekritiker wie Jennifer Latheef werden ins Gefängnis gesteckt und gefoltert.


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Schneeweiße Sandstrände, kristallklares Wasser, türkisfarbene Lagunen - das sind die Bilder, die hierzulande die Vorstellungen von den Malediven prägen. Dass in dem Ferien- und Taucherparadies seit 28 Jahren ein autoritäres Regime an der Macht ist, das jegliche Opposition verbietet und auch vor Folter und Misshandlungen nicht zurückschreckt, wissen die wenigsten Touristen. Während sie in einem der zahlreichen Ressorts der Inselgruppe im Indischen Ozean ihre Ferien genießen, werden nur wenige Seemeilen entfernt zahlreiche Regimekritiker in Gefängnissen unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten, gefoltert oder sogar getötet.

Eine von ihnen ist die prominente Oppositionelle Jennifer Latheef. Seit den ersten öffentlichen Protesten gegen das autoritäre Regime von Maumoon Abdul Gayoom im September 2003 wurde die 32-jährige Regisseurin und Journalistin immer wieder festgenommen und für mehrere Wochen ins Gefängnis gesteckt. Im Oktober 2005 wurde sie in einem unfairen Prozess zu zehn Jahren Gefängnis wegen "Terrorismus" verurteilt. Aufgrund des internationalen Drucks und insbesondere des Engagements von amnesty international wurde sie von Präsident Gayoom begnadigt und im August 2006 nach zehnmonatiger Haft entlassen. Immer noch inhaftiert sind jedoch die vier Männer, die mit ihr festgenommen und angeklagt worden waren. Auf Einladung von amnesty kam Jennifer Latheef im Dezember 2006 in die Schweiz, um über die Situation auf den Malediven aufzuklären.

"Ich bin mit Geschichten von Verfolgung und politisch motivierten Morden aufgewachsen", sagt Latheef, deren Vater Mohamed Latheef als bekanntester Oppositionspolitiker auf den Malediven seit Jahren von der Regierung schikaniert wird. "Fast jeder in meiner Verwandtschaft kämpft in irgendeiner Weise gegen das autoritäre Regime von Präsident Gayoom", berichtet die junge Frau. Bereits ihr Großvater und Urgroßvater fielen dem Regime vor Gayoom zum Opfer. Unter Präsident Gayoom, der seit 1978 an der Macht ist, sind Meinungs- und Versammlungsfreiheit auf den Malediven massiv eingeschränkt. Zahlreiche Journalisten und Regimekritiker wurden in den letzten Jahren inhaftiert, gefoltert und getötet. "Es gab keine unabhängigen Zeitungen auf den Malediven, über Demokratie zu sprechen war unmöglich", sagt Latheef.

Im September 2003 wurde das Schweigen erstmals gebrochen, "der Anfang der Demokratiebewegung auf den Malediven", wie Jennifer Latheef erklärt. Nach jahrzehntelanger Angst und Unterdrückung gingen zahlreiche Menschen auf die Straße, um gegen den Tod des jungen Drogenabhängigen Evan Naseen zu protestieren, der wegen unmenschlicher Behandlung im Gefängnis gestorben war. Die über Jahre angestaute Wut und Enttäuschung entlud sich in gewaltsamen Ausschreitungen, zahlreiche Regierungsgebäude und Polizeistationen wurden in Brand gesetzt. Während sich auf den Ferieninseln die Touristen am Strand sonnten, gingen in der maledivischen Hauptstadt die Sicherheitskräfte auf die Bevölkerung los. "Das war zwei Tage bevor sie mich angeblich wegen der Teilnahme an den Demonstrationen zum ersten Mal festnahmen", sagt Latheef. Sie geht davon aus, dass ihre Verhaftung in erster Linie als Druckmittel gegen ihren Vater zu verstehen war, der sich jedoch nicht einschüchtern ließ: "Auch wenn ihr sie umbringt, werde ich nicht damit aufhören, meine Arbeit zu machen", habe er anlässlich ihrer Verhaftung zu den Verantwortlichen gesagt.

Die Hartnäckigkeit und Furchtlosigkeit scheint Latheef von ihrem Vater geerbt zu haben. Trotz regelmässiger Festnahmen, Misshandlungen und Drohungen lässt sich die junge Frau nicht davon abbringen, sich für die Menschenrechte in ihrem Land einzusetzen. Nachdem sie ihr Studium der Medienwissenschaften in San Francisco abgeschlossen hatte, kehrte sie mit 22 Jahren auf die Malediven zurück, um einen Film über den Heroinmissbrauch zu drehen, "ein großes Problem auf den Malediven", wie sie sagt. Nachdem das Projekt an der drastischen Zensur der Behörden scheiterte, gelang es ihr, zusammen mit ihrer Tante den ersten maledivischen Spielfilm über häusliche Gewalt zu drehen, die auf dem islamischen Inselstaat weit verbreitet ist.

Als ihr Vater, der die Malediven nach den Ausschreitungen im September 2003 verlassen hatte, im Exil in Sri Lanka die Maldivian Democratic Party (MDP) gründete, ließ sie sich im Februar 2004 als Ratsmitglied der Partei aufstellen. "Eigentlich interessiere ich mich nicht für Politik, sie ist für mich ein Mittel zum Zweck", erzählt Latheef, die sich für die grundlegenden Rechte und für eine selbstbestimmte soziale und kulturelle Identität der Bevölkerung einsetzt.

Nach Aufenthalten in Sri Lanka, der Schweiz und in London, ist sie Ende 2006 auf die Malediven zurückgekehrt und versucht, zusammen mit ihrer Schwester die NGO "Native Operators on Rights" (NOOR) registrieren zu lassen. Eines der Ziele von NOOR ist die Reform des Justizapparates und die Menschenrechtsbildung bei der Bevölkerung. "Höchstwahrscheinlich werde ich irgendwann wieder festgenommen, doch ich kann die Menschen nicht im Stich lassen", sagt sie. "Wenn alle Intellektuellen das Land verlassen, werden die Menschen die Hoffnung und den Mut erneut verlieren."

Zentral für die Entwicklungen auf den Malediven sei auch die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. "Nur wenn internationaler Druck ausgeübt wird, wird die Regierung ihre Repressionspolitik ändern", erklärt sie. Denn die Malediven sind fast zu hundert Prozent vom Ausland abhängig, mit dem Tourismus als einziger Einnahmequelle. "Deshalb hat auch die Tourismusbranche eine große Verantwortung zu tragen. Sie muss Position beziehen und diejenigen Geschäftsleute unterstützen, die sich klar von Gayoom und seiner Politik distanzieren", sagt die Oppositionelle bestimmt.

Die Autorin ist Mitarbeiterin der Schweizer ai-Sektion.


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Malediven

1968 wird das Sultanat zur Republik Malediven mit der Hauptstadt Malé. Die Einwohnerzahl beträgt 321.000, die Amtssprache ist maldivisch. 1978 wird Maumoon Abdul Gayoom Präsident. Er beschneidet jegliche Freiheitsrechte. Auf erste Demonstrationen 2003 folgt ein Jahr später die Festnahme von Mitgliedern der in Sri Lanka gegründeten Oppositionspartei "Maldivian Democratic Party" (MDP). Der Notstand wird ausgerufen. 2005 werden erstmals politische Parteien erlaubt, doch die Repression von Regimekritikern dauert an. 2006 verkündet Präsident Gayoom Reformen bis zu den Präsidentschaftswahten 2008. Im gleichen Jahr werden Mitglieder der MDP, die für Verfassungsreformen demonstrieren, festgenommen.


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Quelle:
amnesty journal, Februar 2007, S. 24
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2007