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ASIEN/203: Iran - Minderjährigen Tätern droht der Tod durch den Strang


Pressemitteilung vom 27. Juni 2007

Iran: Mehr als 70 minderjährigen Tätern droht der Tod durch den Strang


Berlin, 27. Juni 2007 - Sa'id Qanbar Zahi war 17 Jahre alt, als er im Mai dieses Jahres gehenkt wurde. Mohammad Mousavi wurde mit 16 Jahren zum Tode verurteilt und im April im Alter von 19 Jahren hingerichtet. Mindestens 71 weitere junge Frauen und Männer in iranischen Todesstrakten fürchten täglich die Hinrichtung - wegen Taten, die sie als Minderjährige begangen haben. amnesty international (ai) hat diese Fälle in einem heute veröffentlichten Bericht dokumentiert. "Der Iran ist derzeit der einzige Staat, der Jugendliche zum Tode verurteilt und hinrichtet, obwohl er sich in internationalen Abkommen zum Gegenteil verpflichtet hat", sagte ai-Experte Oliver Hendrich. ai fordert die Abschaffung der Todesstrafe für minderjährige Straftäter und einen sofortigen Hinrichtungsstopp. Die deutsche ai-Sektion hat dazu im Mai 16.000 Unterschriften an die iranische Botschaft in Berlin übergeben.

Seit 1990 wurden im Iran mindestens 24 minderjährige Straftäter hingerichtet, mehr als in jedem anderen Land der Welt. "Die Gerichte schrecken auch nicht davor zurück, sehr junge Menschen zum Tode zu verurteilen", sagte Hendrich. "In solchen Fällen sitzen die Jugendlichen meist im Todestrakt, bis sie volljährig werden. Erst dann werden sie hingerichtet." Nach iranischem Recht steht die Todesstrafe auf Mord, aber auch auf Rauschgifthandel, Entführungen und auf Handlungen, "die der Keuschheit zuwider laufen". Die Prozesse entsprechen selten internationalen Standards. Die Urteile werden oft durch Erhängen und teilweise öffentlich vollstreckt.

Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte und die Kinderrechtskonvention verbieten die Todesstrafe für Minderjährige. "Außerdem gibt es einen internationalen moralischen Konsens, diese grausame Strafe für Kinder abzulehnen. Auch in der iranischen Bevölkerung wächst diese Ablehnung", sagte Hendrich. Menschenrechtsverteidiger im Iran und Menschenrechtsorganisationen wie ai, hoffen auf parlamentarische Initiativen. "Doch dieser Prozess ist schmerzhaft langsam."


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Zwei Wochen nach seinem 18. Geburtstag wurde Sina Paymard in Iran zum Galgen geführt, um hingerichtet zu werden. Als er schon die Schlinge um den Hals hatte, wurde er nach seinem letzten Wunsch gefragt. Er sagte, er würde gern die Ney (eine Flöte) spielen. Die Angehörigen des Mordopfers, die gekommen waren, um der Hinrichtung beizuwohnen, waren von seinem Spiel so bewegt, dass sie statt der Vergeltung durch Hinrichtung die Zahlung eines Blutgelds (diyeh) akzeptierten. Dies ist nach iranischem Recht möglich. Die Schlinge wurde abgenommen und Sina Paymard weggebracht. Sina Paymard erhielt einen Hinrichtungsaufschub für die Zeit, während der seine Angehörigen und die seines Opfers über die Zahlung des Blutgelds verhandeln.

INFOblatt:

Todesstrafe gegen Minderjährige in Iran

"Der überwältigende internationale Konsens, dass die Todesstrafe nicht gegen minderjährige Straftäter verhängt werden darf, entspringt der Erkenntnis, dass junge Menschen wegen ihrer Unreife möglicherweise die Folgen ihres Handelns nicht im vollen Umfang verstehen und daher weniger harten Sanktionen als Erwachsene unterworfen werden sollten. Noch wichtiger ist, dass diese Überzeugung den festen Glauben widerspiegelt, dass junge Menschen sich noch eher ändern können und daher ein größeres Potenzial zur Rehabilitierung als Erwachsene haben."

(Mary Robinson, frühere Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, August 2002)


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Todesurteile gegen Jugendliche

Internationale Menschenrechtsverträge verbieten es, Personen zum Tode zu verurteilen, die zur Tatzeit noch nicht das 18. Lebensjahr erreicht hatten. Nahezu alle Staaten der Erde haben inzwischen Gesetze erlassen oder sind entsprechenden Abkommen beigetreten, die ausdrücklich die Hinrichtung minderjähriger Straftäter ausschließen.

www.amnesty-todesstrafe.de/iran


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Die Hinrichtung minderjähriger Straftäter in Iran

Die islamische Republik Iran ist einer der wenigen Staaten, der weiterhin jugendliche Straftäter zum Tode verurteilt und hinrichtet. Inzwischen nimmt das Land einen beschämenden Spitzenplatz ein: Seit 1990 hat amnesty international (ai) von mindestens 24 Exekutionen von zur Tatzeit Minderjährigen erfahren, so viele wie nirgendwo sonst auf der Welt. 14 derartige Hinrichtungen entfallen allein auf den Zeitraum 2004 bis Ende Mai 2007. Die Hälfte der seit 1990 hingerichteten Jugendlichen war auch bei der Vollstreckung des Todesurteils noch nicht volljährig.

Der UN-Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen führt in seinem Bericht vom Januar 2007 aus, dass im Zeitraum August 2004 bis März 2006 mindestens neun Jungen und sechs Mädchen für Verbrechen zum Tode verurteilt wurden, die sie begingen, als sie unter 18 waren. Ende Mai 2007 befanden sich mindestens 71 zum Tode verurteilte Jugendliche in den Gefängnissen des Landes.


Internationale Verpflichtungen

Als Vertragsstaat des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte sowie des Übereinkommens über die Rechte des Kindes hat sich der Iran verpflichtet, die Todesstrafe für strafbare Handlungen, die von Jugendlichen unter 18 Jahren begangen worden sind, nicht zu verhängen. Es gibt jeden Grund anzunehmen, dass der Iran mit seiner Praxis das Verbot der Todesstrafe gegen minderjährige Täter ignoriert. Dies ist ein flagranter Rechtsbruch.

Die Repräsentanten des Irans informierten den Ausschuss für die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen beispielsweise im Mai 2000, dass Todesurteile gegen minderjährige Straftäter nicht ausgeführt worden seien und dass die Todesstrafe nicht "gegen Kinder unter 18 Jahren verhängt wird". Dieser UN-Ausschuss ist ein unabhängiges Expertengremium, das die Einhaltung der Kinderrechtskonvention durch die Vertragsstaaten überprüft. Er empfahl dem Iran mehrfach dringend, "Sofortmaßnahmen zu ergreifen zum Stopp und zur gesetzlichen Abschaffung der Todesstrafe für Verbrechen, die von Personen unter 18 Jahren begangen werden". Der Ausschuss stellte ferner fest, dass trotz anders lautender Beteuerungen der iranischen Delegation weiterhin Minderjährige zum Tode verurteilt und hingerichtet werden.

Der UN-Sonderberichterstatter über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen, Philip Alston, ermahnte die iranischen Behörden wiederholt, die Hinrichtung Minderjähriger auszusetzen. So führte er am 9. Dezember 2005 aus: "In unserer Zeit, in der praktisch alle anderen Länder auf der Welt Hinrichtungen von minderjährigen Straftätern verurteilen, ist die iranische Vorgehensweise völlig inakzeptabel. Die iranische Haltung ist nicht nachvollziehbar, nicht nur weil sich die Verpflichtung, solche Hinrichtungen einzustellen, von selbst versteht, sondern auch weil die iranische Regierung selbst die Beendigung dieser Praxis schon angekündigt hat".

Am 22. November 2006 erklärte Nasrin Sotoudeh, eine iranische Rechtsanwältin, die sich für Kinderrechte engagiert: "Ich erwarte von der Regierung, dass die Gesetze des Landes den internationalen Bestimmungen und Verträgen angepasst werden." Angesichts dieser Rechtslage fordere ich die Aussetzung aller Todesurteile gegen unter 18-Jährige bis zur Entscheidung über dieses Gesetz".


Nationale Gesetzgebung

Es existiert bislang keine nationale gesetzliche Vorschrift, die die Anwendung der Todesstrafe gegen minderjährige Straftäter ausdrücklich ausschließt. Nach Artikel 1210 (1) des bürgerlichen Gesetzbuchs sind Mädchen ab neun Jahren strafmündig, Jungen ab 15. Gleichwohl ist die islamische Republik Iran als Vertragspartei der oben genannten völkerrechtlichen Verträge gehalten, ein Mindestalter von 18 Jahren bei der Verhängung der Todesstrafe zu beachten.

Seit mehreren Jahren erwägen die iranischen Behörden, ein Gesetz zu erlassen, das das Mindestalter für die Verhängung der Todesstrafe auf 18 Jahre anheben soll. Doch der Wächterrat, das höchste gesetzgebende Organ in Iran, der seit 1989 als Kontrollorgan für die Konformität von Gesetzen mit dem islamischen Recht und der iranischen Verfassung fungiert, blockiert ein solches Gesetz dem Vernehmen nach bis heute. Ohnehin stellte ein Justizsprecher klar, dass es bei dieser Gesetzesinitiative nur um einige Straftatbestände gehe. So genannte "Qisas"-Taten wären ausgenommen, da sie eine Privatangelegenheit und keine Sache des Staates seien. Nach islamischem Recht können die Verwandten eines Mordopfers Qisas (Vergeltung) in Form der Hinrichtung des Mörders oder in Form einer finanziellen Entschädigung, so genanntes "Blutgeld" (diyeh), verlangen.


Der Rechtsweg

Jugendliche werden in erster Instanz von Strafgerichten zum Tode verurteilt. Alle Todesurteile müssen vom Obersten Gerichtshof bestätigt werden. Dieser kann auch ein Urteil aufheben und eine Neuverhandlung anordnen. Abschließend wird ein Todesurteil der obersten Justizautorität, Ajatollah Shahroudi, zur weiteren Prüfung zugeleitet, der ein Todesurteil umwandeln oder einen Hinrichtungsaufschub gewähren kann. Er kann auch ein endgültiges Todesurteil aufheben, das seiner Ansicht nach fehlerhaft ist. In einem solchen Fall kann die Rechtssache an ein anderes Gericht zur Neuverhandlung verwiesen werden. Todesurteile werden vollstreckt, sofern die Verurteilten nicht vom iranischen Staatsoberhaupt und Religionsführer Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei auf Empfehlung der obersten Justizautorität begnadigt werden. Davon ausgenommen sind Todesurteile, die wegen Mordes verhängt wurden. Sie können nur umgewandelt werden, wenn - wie oben erwähnt - die Angehörigen des Opfers auf ihr Recht auf Vergeltung verzichten und stattdessen eine finanzielle Entschädigung akzeptieren bzw. dem Täter Gnade gewähren. Ein solcher Straferlass ist jederzeit bis zum Augenblick der Hinrichtung möglich. Todesurteile werden durch Erhängen, zum Teil auch öffentlich, vollstreckt.


Die Praxis

Todesurteile ergingen zumeist wegen Mordes aber auch wegen Handlungen, "die der Keuschheit zuwiderlaufen", Rauschgifthandels, Entführung, Vergewaltigung, Raubüberfalls sowie versuchter Flugzeugentführung. Am 15. August 2004 ist Atefeh Rajabi, ein Mädchen, das dem Vernehmen nach erst sechzehn Jahre alt war, in Neka in der nordiranischen Provinz Mazandaran öffentlich gehenkt worden. Es war der Richter der ersten Instanz, der ursprünglich das Todesurteil gefällt hatte, der ihr die Schlinge um den Hals legte, als sie auf dem Weg zum Galgen war. Im Prozess war ihr "unkeusches Verhalten" zur Last gelegt worden, nachdem sie Angaben zufolge eine voreheliche sexuelle Beziehung gehabt hatte. Berichten zufolge litt Atefeh Rajabi unter einer geistigen Behinderung und war offenbar in ihrem Gerichtsverfahren nicht von einem Anwalt vertreten worden. Es wurde außerdem berichtet, dass - obwohl aus Atefeh Rajabis Personalausweis hervorging, dass sie minderjährig war - der Gerichtsbezirk von Manzandaran bei der Hinrichtung bekannt gab, sie sei 22 Jahre alt.


Die öffentliche Meinung

Während die Todesstrafe allgemein bei der iranischen Bevölkerung auf Zustimmung stößt, wird von ihrer Anwendung gegen Minderjährige angenommen, dass sie nicht diese Unterstützung genießt und von vielen abgelehnt wird, darunter auch von einigen Vertretern der Regierung und der Justiz. Eine Reihe führender Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtsverteidiger in Iran kämpfen seit einigen Jahren gegen die Todesstrafe für jugendliche Täter. Sie haben unterstrichen, dass es sich hierbei um ein Thema handelt, bei dem amnesty international durch eine internationale Kampagne erfolgreich die Initiativen in Iran unterstützen könnte.


Die Position von amnesty international

amnesty international erkennt das Recht und die Verantwortung von Behörden an, Straftäter strafrechtlich zu verfolgen, wendet sich jedoch gleichzeitig ungeachtet der Schwere eines Verbrechens vorbehaltlos gegen die Todesstrafe, weil sie eine Verletzung des Rechts auf Leben (des fundamentalsten Menschenrechts) und des Rechts, keiner grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, darstellt. Diese Rechte sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert.

Die Hinrichtung von Kindern und Jugendlichen verletzt internationales Recht. Der überwältigende Konsens gegen die Praxis, unter 18-Jährige für ihre Verbrechen zu töten, spiegelt die weit verbreitete Anerkennung der Tatsache wider, dass junge Menschen sich noch entwickeln und ändern können. Das Leben minderjähriger Straftäter sollte man daher nie abschreiben, gleichgültig was sie getan haben. Eine Verurteilung zum Tode steht in klarem Widerspruch zu dem heutigen Verständnis von menschlicher Behandlung und dem Schutz minderjähriger Straftäter.

amnesty international fordert die iranischen Behörden auf, die Todesstrafe für minderjährige Straftäter abzuschaffen. Bis zu einer gesetzlichen Regelung sollte ein sofortiges Moratorium für derartige Exekutionen verfügt werden. ai unterstützt die Menschenrechtsaktivisten in Iran in ihrem Einsatz gegen die Todesstrafe und ist empört, dass sich diese wegen ihrer Arbeit Schikanen oder Vergeltungsmaßnahmen durch die Behörden ausgesetzt sehen.


Internet: www.amnesty-todesstrafe.de
Email: todesstrafe@amnesty.de


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amnesty international ist eine von Regierungen, politischen Parteien, Ideologien, Wirtschaftsinteressen und Religionen unabhängige Menschenrechtsorganisation. ai kämpft seit 1961 mit Aktionen, Appellbriefen und Dokumentationen für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt. Die Organisation hat weltweit 2,2 Millionen Unterstützer. 1977 erhielt ai den Friedensnobelpreis.


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Quelle:
ai-Pressemitteilung vom 27. Juni 2007
amnesty international, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Postfach 58 01 61, 10411 Berlin,
Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330,
E-Mail: presse@amnesty.de,
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2007