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ASIEN/222: China - Strafverteidiger leben gefährlich (ai journal)


amnesty journal 02/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Strafverteidiger leben gefährlich"

Ein Gespräch mit dem Menschenrechtsverteidiger und Rechtsanwalt Teng Biao über die Aussichten, die Todesstrafe in China abzuschaffen.


FRAGE: Seit Anfang 2007 müssen Todesurteile durch das Oberste Volksgericht überprüft werden. Erwarten Sie, dass dadurch weniger Urteile verhängt werden?

TENG BIAO: Ich halte die neue Vorschrift für eine Verbesserung. Damit könnten wir die Zahl der Todesurteile und Hinrichtungen reduzieren. Wir sollten die Frage der Todesstrafe sehr ernst nehmen und ihre Anwendung Schritt für Schritt reduzieren. Ich bin davon überzeugt, dass dies gelingen kann.

FRAGE: Wenn Vertreter der chinesischen Regierung nach Deutschland kommen, betonen sie, dass sie sich irgendwann eine Abschaffung der Todesstrafe vorstellen könnten. Glauben Sie, dass bereits in naher Zukunft Bemühungen in dieser Hinsicht erkennbar sind?

TENG BIAO: Nicht nur die Regierung, sondern auch die normalen Bürger in China glauben, dass wir die Todesstrafe beibehalten sollten. Nur sehr wenige Intellektuelle lesen die Artikel, in denen öffentlich gesagt wird, dass wir die Todesstrafe abschaffen sollten. Ich denke, dass hier sehr schwierige Arbeit zu leisten ist und wir in der nächsten Zeit nicht die Abschaffung der Todesstrafe erwarten können. Immerhin gibt es schon einige Provinzgouverneure, die angefangen haben, sich für dieses Anliegen einzusetzen.

FRAGE: Was kann das Ausland tun, um diesen Prozess zu beschleunigen und um die Menschen in China zu unterstützen, die eine Abschaffung befürworten?

TENG BIAO: Die meisten Chinesen wissen nichts über die Praxis der Todesstrafe in der Welt. Sie halten sie für etwas Vernünftiges und können sich eine Gesellschaft, in der diese Strafe keine Anwendung findet, gar nicht vorstellen. Somit können westliche Medien und Menschenrechtsorganisationen viel dazu beitragen, um die Menschen in China aufzuklären. Um diese Strafe abschaffen zu können, ist die öffentliche Aufklärung sehr wichtig.

FRAGE: Als Rechtsanwalt sind Sie an vielen Prozessen beteiligt, bei denen am Ende die Hinrichtung droht. Mit welchen Schwierigkeiten werden Sie in derartigen Verfahren konfrontiert?

TENG BIAO: Verteidiger in China stehen vor vielen Herausforderungen, weil die Staatsanwälte die Strafverteidiger als Problemstifter ansehen. Sie wollen das ganze Verfahren unter ihrer Kontrolle haben und verhindern, dass die Verteidiger eine aktive Rolle im Strafverfahren spielen. Auf der Basis von Paragraph 306 des chinesischen Strafgesetzes wurden schon viele Rechtsanwälte inhaftiert.* Anwälte, die an heiklen Fällen beteiligt waren, wurden häufig eingeschüchtert, geschlagen oder sogar festgenommen. Es ist gefährlich in China ein Strafverteidiger zu sein, und deshalb sind in vielen Fällen bei Strafverfahren auch keine Anwälte beteiligt.

FRAGE: Während Ihres Besuchs in Deutschland hatten Sie ein Gespräch im Bundesjustizministerium über den Rechtsdialog zwischen Deutschland und China. Was sind Ihre Empfehlungen, um diesen Dialog auch zur Unterstützung von Anwälten in China zu nutzen?

TENG BIAO: Dieser Dialog ist sehr nützlich und effektiv. Es wurde viel getan, um chinesische Richter und Rechtsanwälte auszubilden. Meine Empfehlung lautet daher, mehr chinesische Rechtsanwälte und Aktivisten an dem Dialog zu beteiligen und sich auf die Situation der Menschenrechtsverteidiger in China zu konzentrieren. Außerdem sollten jene konkreten Fragen diskutiert werden, bei denen die chinesische Regierung zu rechtlichen und politischen Reformen bereit ist.

FRAGE: Es gibt in China zunehmend mehr Menschenrechtsverteidiger. Auf der anderen Seite werden sie immer häufiger Opfer von Unterdrückungsmaßnahmen. Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Situation im Vorfeld der Olympischen Spiele entwickeln?

TENG BIAO: Ich glaube, dass die Olympischen Spiele der chinesischen Gesellschaft eine gute Gelegenheit bieten, sich zu öffnen. Und sie geben der Welt die Möglichkeit, zu erfahren, was in China passiert. Die chinesische Regierung hat erste Schritte unternommen, damit ausländische Journalisten mehr Freiheit erhalten, um Interviews durchzuführen. Wir sollten Druck ausüben, damit sie vor den Spielen noch mehr unternimmt, weil wir in den letzten Monaten beobachten mussten, dass viele Aktivisten verhaftet wurden. Außerdem müssen wir davon ausgehen, dass die chinesische Regierung jede Form von Protest während der Spiele unter Kontrolle behalten will.

FRAGE: Was empfehlen Sie Menschenrechtsaktivisten und Organisationen wie amnesty international, um Menschenrechtsverteidiger in China zu unterstützen?

TENG BIAO: amnesty international ist eine starke Menschenrechtsorganisation. Sie kann die Inhaftierung von chinesischen Anwälten und Aktivisten öffentlich machen. amnesty kann auch Druck auf die chinesische Regierung ausüben, damit diese Informationen weitergibt, und auch an bestimmten Programmen mitarbeitet, die eine Reform des chinesischen Rechtssystems sowie eine Veränderung der Menschenrechtssituation zum Ziel haben. Außerdem kann amnesty auf die westlichen Regierungen einwirken, damit diese den chinesischen Menschenrechtsfragen mehr Aufmerksamkeit schenken.

Interview: Dirk Pleiter

* Anmerkung D.P.: Paragraph 306 des chinesischen Strafgesetzbuchs droht einem Verteidiger oder Prozessvertreter u.a. dann Strafe an, wenn dieser auf Zeugen einwirkt oder Beweismittel unterdrückt. Dabei spielt keine Rolle, ob diese Beweismittel den Angeklagten be- oder entlasten.

TENG BIAO
Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist aus China. Teng Biao engagiert sich in China gegen die Todesstrafe und für inhaftierte Kollegen. Er lehrt derzeit an der Universität Yale (USA).


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GIFT STATT KUGELN

Der Vizepräsident des Obersten Volksgerichts hat angekündigt, Hinrichtungen künftig vornehmlich mit Hilfe der Giftspritze statt durch Erschießen zu vollziehen. "Die willkürliche Anwendung der Todesstrafe, Fehlurteile, darunter die Hinrichtung von Unschuldigen, und die grausame und inhumane Art der Todesstrafe lassen sich nicht ändern, indem die Methode gewechselt wird", erklärte dazu Catherine Baber, ai-Asien-Expertin in London. Es gebe Beweise, dass die Giftspritze einen qualvollen Tod verursachen könne. Die Änderung der Hinrichtungsmethode verstoße auch gegen den Geist der Olympischen Spiele, der die Bewahrung der Menschenwürde in die Mitte der olympischen Bewegung rücke. Ein positives Erbe der Spiele 2008 in Peking könne nur erreicht werden, "wenn der Weltrekord Chinas bei den Exekutionen ein Ende findet", sagte Baber.
www.goldfuermenschenrechte.de


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Quelle:
amnesty journal, Februar 2008, S. 28-29
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2008