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ASIEN/224: Kurz vor Olympia - Chinas Menschenrechtsbilanz ist beschämend


Pressemitteilung vom 2. April 2008

Kurz vor Olympia: Chinas Menschenrechtsbilanz ist beschämend


Berlin, 2. April 2008 - Vier Monate vor Beginn der Olympischen Spiele ist die Menschenrechtsbilanz Chinas beschämend, wie ein heute veröffentlichter Bericht von amnesty international (ai) belegt. "Die chinesische Führung hat ihr Versprechen nicht gehalten: Die Lage hat sich eher verschlechtert als verbessert", sagte ai-Generalsekretärin Barbara Lochbihler. "Zur Zeit werden verstärkt Menschenrechtsaktivisten in und um Peking mundtot gemacht, in Tibet regieren Gewaltmissbrauch, mutmaßliche Folter und strikte Medienblockade."

Yang Chunlin wurde gefoltert und vor wenigen Tagen zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er Unterschriften gesammelt hatte für die Forderung "Wir wollen Menschenrechte und keine Olympischen Spiele". Yang wollte damit auf die Not der Bauern in der Provinz Heilongjiang aufmerksam machen. Weil er eine Demonstration gegen Zwangsumsiedlungen in Peking anmeldete, wurde Ye Guozhu zu vier Jahren Haft verurteilt. Der Anwalt Teng Biao, Autor eines kritischen Artikels über China und Olympia, wurde im März 2008 von staatlichen Sicherheitskräften entführt. Sie verhörten ihn zwei Tage lang an verstecktem Ort und verboten ihm, mit ausländischen Journalisten zu sprechen.

China hatte für die Olympischen Spiele ausländischen Journalisten freie Berichterstattung zugesagt. Doch Korrespondenten werden immer wieder schikaniert. Chinesische Journalisten sind immer noch einer strikten Zensur ausgesetzt und riskieren Haftstrafen für kritische Artikel. Berichten zufolge hat sich die Internetzensur verschärft. In Peking haben die Behörden angedroht, auch SMS-Mitteilungen zu kontrollieren. amnesty international fordert die sofortige und bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen, besonders der Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Internetnutzer. Weiter fordert ai sofortigen und uneingeschränkten Zugang nach Tibet für Journalisten sowie eine unabhängige internationale Untersuchung der Vorfälle.

"Es ist höchste Zeit, dass das Internationale Olympische Komitee und die Regierungen dieser Welt, aber auch Sponsoren wie adidas und Volkswagen ihren Einfluss geltend machen und öffentlich einen Wandel fordern", sagte Lochbihler. Den Bericht "China: The Olympics countdown - crackdown on activists threatens Olympics legacy" mit zahlreichen Einzelfalldarstellungen und Fotomaterial sowie ein achtseitiges Update zu Tibet sind über die ai-Pressestelle auf www.amnesty.org verfügbar.

Weitere Informationen: www.amnesty.de/china und
www.goldfuermenschenrechte.de


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Zur weiteren Hintergundinformation ergänzt der Schattenblick obige Meldung durch eine Pressemitteilung der amnesty international (ai) Zentrale in London vom 7. März 2008 in einer Übersetzung der Schattenblick-Redaktion:


Pressemitteilung von Freitag, dem 7. März 2008 (ai Zentrale London)

China: Die Olympischen Spiele nahen - Netz um Pekinger Menschenrechts-Aktivisten zieht sich zu

Das scharfe Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und -aktivisten in Peking wurde von Tim Parrit, dem stellvertretenden Leiter des Referats Asien/Pazifik bei Amnesty International, mit den Worten kommentiert, die Zunahme der Zensur sowie die tätlichen Angriffe auf friedliche Aktivisten und deren Entführungen, die im allgemeinen Sicherheitskräften zugeschrieben werden, seien ein Hohn auf das amtliche, im Vorfeld der Olympiade geäußerte Versprechen, die Einhaltung der Menschenrechte zu gewährleisten.

So wird der Anwalt, Hochschullehrer und Menschenrechtsaktivist Teng Biao (*) vermisst. Er war gestern (am 6. März 2008 - Anm. der Schattenblick-Redaktion) zuletzt von Augenzeugen, kurz nach seiner Ankunft zu Hause um ca. 20.30, gefesselt in einem Fahrzeug gesehen worden. Seitdem gibt es von ihm keine Nachricht mehr. Versuche, ihn auf seinem Mobiltelefon zu erreichen, blieben ergebnislos.

Bei einem weiteren Fall in Peking wurde heute (7. März 2008 - Anm. der Schattenblick-Redaktion) um ca. 7.20 Uhr, der Pkw des Menschenrechtsanwalts Li Heping von einem Streifenwagen gerammt, als er seinen Sohn zur Schule bringen wollte. Beide erlitten einen Schock, aber offenbar keine ernsthaften Verletzungen.

Das Polizeifahrzeug folgte Li Heping von seinem Haus aus und war vor dem Zusammenstoß augenscheinlich beschleunigt worden. Li Heping erkannte in den drei Insassen des Wagens Beamte seines Polizeibezirks. Als er jedoch den Fahrer des Wagens auf den Vorfall ansprach, soll dieser ihn ignoriert haben. Darüber hinaus verwehrte ihm die Verkehrspolizei später am Tag, Anzeige zu erstatten. Im September 2007 war der Anwalt von unbekannten Männern entführt worden. Man hatte ihn mit Elektroschock-Schlagstöcken mißhandelt, außerdem wurde ihm mit weiteren Angriffen gedroht, falls er Peking nicht bald verlasse.

"Die Übergriffe auf zwei Menschenrechtsanwälte innerhalb der letzten zwei Tage lassen vermuten, dass sich der Zugriff auf Menschenrechtsaktivisten im Vorfeld von Olympia noch verschärft hat", führte Parritt aus.

"Wir machen uns ernsthafte Sorgen um die Sicherheit von Li Heping und Teng Biao. Die Behörden sollten nun in beiden Fällen umfassend und unvoreingenommen ermitteln und uns über den Verbleib von Teng Biao aufklären", so Parritt weiter.

Amnesty International wies darüber hinaus darauf hin, dass Menschenrechtsaktivisten wegen friedfertiger, legitimer Aktivitäten in Haft gehalten werden.

Die Polizei hatte erst vor kurzem Akten über den inhaftierten Menschenrechtsaktivisten Hu Jia an die Staatsanwaltschaft mit der Empfehlung übergeben, vor Gericht baldmöglichst Anklage wegen 'Anstiftung zu subversiven Handlungen' gegen ihn zu erheben - ein häufig vorgehaltener Grund, um friedliche Aktivisten ruhigzustellen und ins Gefängnis zu bringen.

Obwohl Hu Jia (**) schon im Dezember 2007 verhaftet worden war, wurde seine Familie erst am 30. Januar von offizieller Seite darüber informiert. Es besteht nach wie vor Anlass zur Sorge, dass die Polizei Druckmittel anwendet, um Hu Jia dazu zu bewegen, seine "Vergehen" zu "gestehen". Amnesty International betrachtet ihn als politischen Gefangenen und fordert seine sofortige und bedingungslose Freilassung.

Auch die Internet Zensur hat in den letzten Wochen zugenommen. Sie richtet sich vor allem gegen Gruppen und Personen in Peking, die über HIV/AIDS berichten. So schlossen die Behörden in Peking am 26. Februar zwei AIDS-News-Seiten, die von HIV/AIDS-Aktivisten geführt wurden: www.aidsmuseum.net und www.aidswiki.cn.

Darüber hinaus wurde das Peking Aizhixing Institute of Health Education am 5. März angewiesen, nicht näher bezeichnete 'illegale Informationen' von seinem Internetportal, das vorübergehend abgeschaltet wurde, zu entfernen. Wie vermutet wird, bezieht sich diese Verfügung möglicherweise auf Informationen, die auf einer Webseite über Hu Jia zu finden sind. Dieser hatte das Institut im Rahmen seines Engagements für HIV- und AIDS-Betroffene mitbegründet.


Hintergrundinformationen:

Teng Biaos Entführung steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Hu Jia. Die Polizei hatte Teng bereits gewarnt, sich nicht in das Verfahren einzuschalten, das auf die formelle Festnahme im Dezember 2007 folgte. Beide hatten zuvor gemeinsam den Artikel "Das wirkliche China und die Olympischen Spiele" verfasst, der im September 2007 veröffentlicht wurde und über Menschenrechtsverletzungen in China aufklärt.

Siehe:
http://hujiachina.spaces.live.com/blog/cns!2E61195DD50A5E9A!327.entry

Die englischen Übersetzungen sind gerade bei Human Rights in China erschienen:
http://hrichina.org/public/PDFs/CRF.4.2007/CRF-2007-4_Situation.pdf

Obgleich die Polizei Hu Jia zunächst den Kontakt zu einem anderen Anwalt mit der Begründung verwehrt hatte, es ginge in seinem Fall um Staatsgeheimnisse, wurde ihm inzwischen der Besuch von Familienmitgliedern und einem Anwalt gestattet.

Da die Treffen durch mehrere Polizeibeamte überwacht wurden, konnte er jedoch nicht frei sprechen. Seine Familie äußerte sich nach der ersten Zusammenkunft am 31. Januar 2008 besorgt. Hu Jia habe sehr bleich und gestresst gewirkt und wie einstudiert gesprochen. Seit einer früheren Hepatitis-B-Infektion leidet Hu unter Problemen mit der Leber. Wie berichtet wurde, habe ihm die Polizei Medikamente gegeben, ohne mitzuteilen, um welche Medikamente es sich dabei genau handelt und ob sie überhaupt geeignet sind.

Weitere Informationen:
AI Urgent Action, UA 01/08, ASA 17/035/2008, 2. Januar 2008:
http://www.amnesty.org/en/library/info/ASA17/035/2008/en

Letzte Aktualisierung:
ASA 17/047/2008, 1. Februar 2008:
http://www.amnesty.org/en/library/info/ASA17/047/2008/en


Li Heping war bereits am 29. September 2007 von einer Gruppe unbekannter Männer angegriffen und entführt worden. Sie schlugen ihn mit Elektroschockern und drohten mit weiteren Angriffen, falls er Peking nicht verlasse. Etwa acht Stunden später wurde er wieder freigelassen. Der Vorfall ereignete sich, kurz nachdem Li Heping von der Polizei aufgefordert worden war, Peking während des 17. Kongresses der Kommunistischen Partei im Oktober 2007 zu verlassen.

Weitere Informationen:
AI Urgent Action, UA 253/07, ASA 17/046/2007, 3. Oktober 2007:
http://www.amnesty.org/en/library/info/ASA17/046/2007/en

Letzte Aktualisierung:
ASA 17/064/2007, 21. Dezember 2007:
http://www.amnesty.org/en/library/info/ASA17/064/2007/en

Nähere Informationen erhalten Sie auf Anfrage bei:
Amnesty Internationals Presse Büro in London, UK, + 44 20 7413 5566
oder per email an press@amnesty.org

International Secretariat, Amnesty International, 1 Easton St., London WC1X 0DW, UK
www.amnesty.org

Originalfassung der Pressemitteilung in englischer Sprache:
http://www.amnesty.org/en/for-media/press-releases/
china-net-tightens-beijing-activists-olympic-games-approach-20080307


Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:

(*) Inzwischen teilte Amnesty International in einem Newsletter vom 14. März 2008 mit, dass Teng Biao fast zwei Tage lang spurlos verschwunden gewesen sei. Es heißt die Polizei habe ihn verschleppt und verhört. Mehr Details zu seinem Verschwinden gebe der chinesische Anwalt und Menschenrechtsverteidiger jedoch nicht preis, denn man habe ihn davor gewarnt, sich öffentlich zu äußern.

(**) Wie mehrere Nachrichten-Agenturen am 3. April 2008 melden, wurde Hu Jia zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, da ihn ein Volksgericht in Peking des "Aufrufs zur Untergrabung der Staatsgewalt" für schuldig befand.


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Quelle:
ai-Pressemitteilung vom 2. April 2008
amnesty international, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
ai-Pressemitteilung der amnesty international (ai) Zentrale in London
vom 7. März 2008 in einer Übersetzung der Schattenblick-Redaktion
Postfach 58 01 61, 10411 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306 oder 030/42 02 48-314
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2008