Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL


ASIEN/283: Aserbaidschan - Verfolgt und verstummt (ai journal)


amnesty journal 10/11/2014 - Das Magazin für die Menschenrechte

Verfolgt und verstummt

von Janna Sauerteig und Sophia Stark


Immer mehr Oppositionelle landen in Aserbaidschan hinter Gittern. Mit Folter, Misshandlung und konstruierten Anklagen versuchen die Behörden des autoritär regierten Landes, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.


In Aserbaidschan werden die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zunehmend eingeschränkt. Sicherheitskräfte foltern und misshandeln regelmäßig gewaltlose politische Gefangene und gehen dabei straffrei aus. Amnesty International hat in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Fällen dokumentiert, in denen Menschenrechtsverteidiger und Aktivisten mit konstruierten Strafanzeigen, tätlichen Übergriffen, Schikanen, Erpressungen oder anderen Repressalien systematisch zum Schweigen gebracht werden sollten. Mitte Mai hat Amnesty die Übernahme des Europarat-Vorsitzes durch Aserbaidschan zum Anlass genommen, um in einem Bericht ("Behind bars: Silencing dissent in Azerbaijan") auf die sich verschlechternde Menschenrechtssituation im Land aufmerksam zu machen. Allein seit diesem Zeitpunkt hat sich die Zahl der gewaltlosen politischen Gefangenen nach Erkenntnissen von Amnesty in kurzer Zeit von 19 auf mindestens 25 erhöht.

Der jüngste von Amnesty dokumentierte Fall zeigt ein immer wiederkehrendes Muster im Vorgehen der Sicherheitskräfte: konstruierte Anklagen wegen Drogendelikten gegen Oppositionelle und deren Familienmitglieder. Der Aktivist Murad Adilov wurde am 11. August 2014 festgenommen, nachdem die Polizei behauptet hatte, Drogen in seiner Wohnung gefunden zu haben. Daraufhin ordnete ein Gericht in der Hauptstadt Baku drei Monate Untersuchungshaft wegen Drogendelikten an. Adilovs Rechtsbeistand durfte an dem Verfahren nicht teilnehmen. Er legte im Auftrag seines Mandanten Beschwerde ein, weil dieser offenbar in Gewahrsam geschlagen wurde. Adilov ist nach wie vor in Gefahr, gefoltert zu werden. Seinem Rechtsbeistand wurde jedoch bisher verwehrt, Kontakt zu Adilov aufzunehmen.

Der Bruder des Aktivisten, Natiq Adilov, ist ebenfalls Regierungskritiker. Er ist Sprecher der oppositionellen Volksfront-Partei, der auch Murad Adilov angehört, Kolumnist der unabhängigen Zeitung "Azadliq" und Co-Moderator der Sendung "Azerbaijan Hour", die von einem Satellitensender ausgestrahlt wird, um die staatliche Zensur zu umgehen. Bereits im Dezember 2013 erhielt Natiq Adilov einen Brief von der Generalstaatsanwaltschaft, in dem ihm vorgeworfen wurde, "Gedankengut und Bilder in den Medien und den sozialen Netzwerken zu verbreiten, die nicht die dynamische Entwicklung des Landes, die verbesserten Lebensstandards und den wahren Kern wirtschaftlicher Reformen widerspiegeln und die gegen jegliche Moral verstoßen". Außerdem drohten ihm die Behörden mit ernsthaften Maßnahmen, sollte er seinen Aktivitäten weiter nachgehen.

Ähnlich erging es dem politischen Aktivisten Faraj Karimov und seinem Bruder Siraj Karimov. Sie geben an, in Haft unter Folter gezwungen worden zu sein, Drogendelikte zu "gestehen" und "Geständnisse" zu unterschreiben.

Für weltweites Aufsehen sorgte auch der Fall von Leyla Yunus und ihrem Ehemann Arif. Die bekannte Menschenrechtsaktivistin wurde am 30. Juli 2014 von aserbaidschanischen Sicherheitskräften inhaftiert, nachdem sie und ihr Mann über Monate hinweg drangsaliert, beschattet und verhört worden waren und man ihre Reisepässe konfisziert hatte. Mit der Begründung, sie sei keine aserbaidschanische Frau, sondern Armenierin, drohten ihr die Sicherheitskräfte, sie zu vergewaltigen und folgten ihr auf die Toilette.

Ihr Mann Arif Yunus ist seit dem 5. August 2014 ebenfalls inhaftiert. Beide sind unter anderem wegen Landesverrats, Steuerhinterziehung und Amtsmissbrauchs angeklagt. Der Gesundheitszustand von Leyla Yunus hat sich in der Haft massiv verschlechtert. Sie leidet an Diabetes und Nierenproblemen.

Leyla Yunus ist Regierungskritikerin und Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation "Institute for Peace and Democracy". Seit neuestem müssen sich NGOs in Aserbaidschan registrieren lassen. Doch dem "Institute for Peace and Democracy" haben die Behörden die Registrierung verweigert.

Amnesty betrachtet die seit Mai 2014 inhaftierten Aktivisten als gewaltlose politische Gefangene. Sie sind allein deshalb in Haft, weil sie Kritik an der Regierung geübt und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben.

Amnesty fordert die aserbaidschanische Regierung auf, alle gewaltlosen politischen Gefangenen umgehend freizulassen und die Tätigkeit von Journalisten, Anwälten, Menschenrechtsverteidigern, Oppositionsparteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht zu unterbinden. Amnesty verlangt von der Regierung außerdem, gegen die Einschüchterung, Misshandlung und Folter von Festgenommenen wirksam vorzugehen und diesbezügliche Vorwürfe unparteiisch untersuchen zu lassen.

Mit seinem Beitritt zum Europarat hat sich Aserbaidschan dazu verpflichtet, die Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention zu achten. Die Regierung Aserbaidschans muss ihrem Vorsitz im Europarat gerecht werden und endlich ihre Gesetze und ihre Praxis in Einklang mit völkerrechtlichen Menschenrechtsstandards bringen, zu dem auch die Einhaltung der Rechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung zählen.


Janna Sauerteig ist Expertin für Europa und Zentralasien der deutschen Amnesty-Sektion. Sophia Stark ist Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerin und lebt in Berlin.

*

Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2014, S. 49
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30, E-Mail: info@amnesty.de
Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redaktion amnesty journal,
Postfach 58 01 61, 10411 Berlin, E-Mail: ai-journal@amnesty.de,
Internet: www.amnesty.de
 
Das amnesty journal erscheint monatlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Nichtmitglieder können das amnesty journal für
30 Euro pro Jahr abonnieren.
Ein Einzelheft kostet 4,80 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang