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EUROPA/202: Flucht in den Tod (amnesty journal)


amnesty journal 12/2006 - Das Magazin für die Menschenrechte


Flucht in den Tod

Die Sicherung der europäischen Außengrenzen muss im Einklang mit den Menschenrechten stehen.

Von Julia Duchrow


Die Bilder des Sommers sind uns noch vor Augen: Flüchtlingsleichen an europäischen Stränden, sinkende Schiffe im Mittelmeer, Schüsse auf Migranten an den Grenzzäunen der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla. Beamte der griechischen Küstenwache sollen Presseberichten zufolge Flüchtlinge wieder auf dem Meer ausgesetzt haben.

Die Antwort der Bundesregierung auf diese Ereignisse: Der Bundesgrenzschutz soll die Grenzbeamten der südeuropäischen Staaten bei der Sicherung der Grenzen unterstützen. Eine sachkundige Hilfe für die Beamten, die die Asylverfahren durchführen, kam dem deutschen Innenministerium nicht in den Sinn. Auch wurde den südeuropäischen Mitgliedsstaaten nicht angeboten, Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Das hätte eine wirkliche Solidarität zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten verdeutlicht.

Die menschlichen Katastrophen, die sich im Mittelmeer ereignen, verdecken den Blick auf die klaren Verstöße gegen die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die sich die Mitgliedsstaaten leisten: Erreichen die Menschen die Küste Europas, müssen sie die Möglichkeit erhalten, ihre Fluchtgründe in einem Asylverfahren darzulegen. Der Zugang zu einem fairen Verfahren ist ihnen jedoch oftmals versperrt. So gibt es angeblich Fälle, in denen die spanische Regierung die Ankömmlinge unter dem Vorwand, sie würden nach Madrid geflogen, einfach wieder nach Marokko transportiert hat. In sehr vielen Fällen erhält ai Berichte darüber, dass die Flüchtlinge gar nicht die Möglichkeit hatten, einen Asylantrag zu stellen.

An den Ostgrenzen Europas sieht es anders aus: Dort sollen Flüchtlinge künftig mit Hilfe des "Konzepts der sicheren Drittstaaten" vom Territorium der EU abgehalten werden. Danach kann eine Person in Zukunft an der Grenze ohne jegliche Möglichkeit auf ein Asylverfahren oder eine Prüfung, ob ihr Menschenrechtsverletzungen drohen, abgewiesen werden. Die Begründung würde dann lauten: "Wende dich doch an die Ukraine, die wird dir schon helfen, durch die bist du ja schließlich auch gereist". Eine Überprüfung, ob der Schutzsuchende dort tatsächlich vor Menschenrechtsverletzungen in seinem Herkunftsland geschützt wird, findet nicht statt.

Diese Auslagerung des Flüchtlingsschutzes wird den menschenrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten der EU nicht gerecht. Trotzdem soll dieses System während der deutschen EU- Ratspräsidentschaft durch die Vereinbarung einer gemeinsamen Liste "sicherer Drittstaaten" weiter voran getrieben werden.

Ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen verletzt die EU aber auch gegenüber den Menschen, die bei ihrer Ausweisung jeglicher Existenzgrundlage beraubt werden. So erging es einem Migranten aus Mali, der im Oktober 2005 zum dritten Mal in die spanische Enklave Melilla gelangte. Die spanische Polizei zog ihn bis auf die Unterhose aus und übergab ihn den marokkanischen Behörden. Diese griffen ihn tätlich an und brachten ihn an die algerische Grenze - alles ohne rechtliche Prüfung der Ausweisungsentscheidung. Andere Flüchtlinge berichteten von einer Odyssee ohne Wasser und Nahrungsmittel an der algerischen Grenze im Wüstengebiet.

Egal, aus welchen Gründen Menschen an die Grenzen Europas gelangen: Ihre Menschenrechte, insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit, müssen gewahrt bleiben.

Die Autorin ist Asyl-Expertin der deutschen ai-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2006, S. 15
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veröffentlicht im Schattenblick am 2. Januar 2007