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EUROPA/262: Kein Schutz der Rechte von Migranten und Flüchtlingen (ai journal)


amnesty journal 04/05/2009 - Das Magazin für die Menschenrechte

Ab in die Wüste
Die Zusammenarbeit der EU mit nordafrikanischen Staaten nimmt keine Rücksicht auf den Schutz der Rechte von Migranten und Flüchtlingen.

Von Julia Duchrow


Die Kooperation mit afrikanischen Staaten zur Flüchtlingskontrolle stellt einen Schwerpunkt der EU-Migrationspolitik dar. Insbesondere während der französischen Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres ging es um die Frage, wie die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit den Herkunfts- und Transitländern von Flüchtlingen und Migranten verstärkt werden könnte. So bezieht sich eines von fünf Kapiteln im Europäischen Einwanderungs- und Asylpakt - dem von dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy initiierten Versuch eines großen Wurfs während seiner Präsidentschaft - ausschließlich auf dieses Thema.

In dem Pakt wird vorgeschlagen, dass die EU-Mitgliedstaaten wie auch die EU-Institutionen so genannte Rückführungsübereinkommen mit den Herkunfts- und Transitstaaten abschließen - Verträge also, die die Abschiebung von Flüchtlingen und Migranten aus der EU erleichtern sollen. Zudem sollen so genannte Mobilitätspartnerschaften vereinbart werden. Die rechtliche Bedeutung des Paktes, der im Oktober 2008 tatsächlich durch den Rat beschlossen wurde, ist zwar weiterhin unklar: In Teilen überschneidet er sich mit bestehenden Abkommen und Programmen wie etwa dem Haager Programm. Der Pakt ist jedoch ein wichtiges Indiz für die Prioritäten und Überzeugungen der EU-Staaten.

Die französische Regierung lud darüber hinaus im vergangenen November zu einer weiteren europäisch-afrikanischen Ministerkonferenz zum Thema Migration und Entwicklung in Paris ein, die aber wegen der aktuellen Finanzkrise in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Diese Konferenz, an der neben Vertretern der meisten EU-Staaten unter anderem auch Delegierte aus Libyen, Marokko und der Demokratischen Republik Kongo teilnahmen, folgte auf ein erstes Treffen, das zwei Jahre zuvor in Rabat stattgefunden hatte.

Am Ende einigten sich die Teilnehmer in Paris auf einen euro-afrikanischen Prozess, der legale Migration koordinieren, den Kampf gegen illegale Einwanderung aufnehmen und Synergien zwischen Migration und Entwicklung benennen soll. Letztlich blieben die Vorschläge aber vage und beschränkten sich auf die Vereinbarung, dass die Staaten ihre Kapazitäten auf dem Arbeitsmarkt untersuchen. Zudem sollen sie einen Informationsaustausch über die Einreisemöglichkeiten schaffen.

Konkreter sind die Verlautbarungen, wenn es darum geht, Grenzbeamte zu schulen oder technische Hilfe zu organisieren, um das Fälschen von Reisedokumenten zu verhindern. Noch deutlicher wird das Schlussdokument bei dem Thema Grenzkontrollen zwischen den afrikanischen Staaten und der Europäischen Union sowie bei der "unbürokratischen" Rückübernahme von Migranten.

Insgesamt wird erneut eine Tendenz der EU-Migrationspolitik deutlich: Die Mitgliedstaaten einigen sich immer dann auf konkrete Maßnahmen, wenn sie über die Begrenzung von Migration verhandeln. Die Einigung fällt jedoch schwer, wenn es darum geht, legale Einwanderungsmöglichkeiten zu schaffen und Migrationsursachen zu beheben.

Diesen Eindruck bestätigen auch die jüngst verabschiedeten Richtlinien in diesem Bereich, wie etwa die Rückführungsrichtlinie oder die Schaffung von Frontex, der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten. Projekte wie die Schaffung einer gemeinsamen "Bluecard" für Hochqualifizierte oder andere Zugangsmöglichkeiten in die EU-Staaten stehen demgegenüber noch aus.

Dieser restriktive Ansatz der EU-Staaten im Bereich der Migrationspolitik wird auch beim Einwanderungs- und Asylpakt deutlich. Für den Schutz der Menschenrechte ist es besonders problematisch, dass bei der Kooperation mit den afrikanischen Staaten auf eine Auslagerung der Migrationskontrolle gesetzt wird, ohne jedoch sicherzustellen, dass diese Staaten den Schutz der Menschenrechte auch ernst nehmen.

Bedenklich stimmt zudem ein Bericht von Amnesty International vom vergangenen Jahr über die Menschenrechtsverletzungen, die das im nordwestlichen Afrika gelegene Mauretanien gemeinsam mit den spanischen Behörden an Migranten begeht - als direkte Folge des Abschlusses eines Rückübernahmeabkommens und der polizeilichen Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten.

Dokumentiert ist dort beispielsweise, dass Migranten in Mauretanien wahllos verhaftet und in einem Gefängnis mit dem Namen "Guantanamito" ohne jegliche rechtliche Überprüfungsmöglichkeit festgehalten wurden - unabhängig davon, ob sie nach Spanien gelangen wollten oder nicht. Eine Folge dieser Entwicklungen sind Grenzstreitigkeiten zwischen benachbarten afrikanischen Staaten. Sie verweigerten Migranten oder Flüchtlingen, die von Spanien abgeschoben wurden, die Einreise mit der Begründung, das jeweilige Nachbarland sei dafür zuständig. In der Konsequenz werden die Flüchtlinge in der Grenzregion hin- und hergeschoben.

In dieses Schema fügen sich auch die von der EU-Kommission und vom Rat im Pakt geforderten so genannten Mobilitätspartnerschaften zwischen den europäischen und afrikanischen Staaten. Darin werden auf der einen Seite die afrikanischen Staaten für die Migrationskontrolle verantwortlich gemacht, um auf der anderen Seite einige wenige Staatsangehörige als Migranten auf den Arbeitsmarkt der Europäischen Union im Rahmen einer zirkulären Migration schicken zu können. Alles ohne Garantien zum Schutz der Menschenrechte.


Die Autorin ist Asylexpertin der deutschen Sektion von Amnesty International.


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"Guantanamito"

Die ehemalige Schule in Mauretanien dient heute als Gefängnis. Viele Migranten beschweren sich über die Zustände und berichteten über Misshandlungen und Beschimpfungen durch die Polizei. Es gibt keine Obergrenze für die Haftdauer, die sich danach richtet, wann die Polizei bereit ist, die Menschen an die Grenzen zu bringen. Dort werden sie nach Informationen von Amnesty International oft ohne ausreichend Wasser und Essen einfach ausgesetzt. Offiziellen Zahlen zufolge waren 2007 dort 3.257 Menschen untergebracht. Davon kamen 1.381 aus Senegal und 1.229 aus Mali. Alle wurden abgeschoben.


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Quelle:
amnesty journal, April/Mai 2009, S. 26-27
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2009