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EUROPA/290: Polizeigewalt in Deutschland - "Das Vertrauen ist weg, die Angst ist da" (ai journal)


amnesty journal 08/09/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Das Vertrauen ist weg, die Angst ist da"

Almuth Wenta kam am 1. Mai 2007 von einem Straßenfest in Berlin-Kreuzberg, als sie in einen Polizeieinsatz geriet. Ein Beamter schlug die damals 30-Jährige grundlos zusammen. Der Täter konnte nie ermittelt werden. Amnesty International schildert ihren Fall im aktuellen Bericht über rechtswidrige Polizeigewalt in Deutschland.

Interview von Daniel Kreuz


DANIEL KREUZ: Was ist damals genau passiert?

ALMUTH WENTA: Ich hatte gemeinsam mit einer Freundin das traditionelle Mai-Straßenfest in Berlin-Kreuzberg besucht. Die Stimmung war entspannt. Gegen 23.30 Uhr machten wir uns auf den Heimweg, der über die Oranienstraße führte. Dort war die Situation sehr angespannt, es gab Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Randalierern. Vereinzelt flogen Flaschen, die Polizei rückte vor und zog sich schnell wieder zurück. Wir wollten über den breiten Bürgersteig schnell vorbei, doch dort standen schon andere Passanten, die nicht weiterkamen. Wir beschlossen, vor einem Hauseingang stehen zu bleiben und zu warten. Wir waren absolut friedlich und provozierten auch niemanden. Plötzlich, ohne jeden ersichtlichen Grund, wurde gezielt Tränengas in unsere Richtung gesprüht. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie eine Gruppe Polizisten auf uns zu rannte. Dann ging alles sehr schnell. Ich spürte vier Schläge mit dem Schlagstock: in die Kniekehle, auf den Oberschenkel und zwei Mal in die Rippen. Ich ging schon nach dem ersten Schlag sofort zu Boden, bei dem zweiten spürte ich, dass etwas gebrochen war. Ich verlor für einige Minuten das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Hauseingang, hing am Tropf und trug eine Atemmaske.

DANIEL KREUZ: Wie schwer waren Sie verletzt?

ALMUTH WENTA: Im Krankenhaus stellte man noch in derselben Nacht fest, dass eine Rippe gebrochen war. Erst am nächsten Morgen wurde ich mit Schmerzmitteln und Stimmungsaufhellern nach Hause geschickt. Drei Wochen lang nahm ich diese starken Mittel ein und musste ruhig liegen. Insgesamt konnte ich fünf Wochen nicht arbeiten. Erst später bemerkte ich, dass mich der Angriff traumatisiert hatte. Ich fühlte mich diesem Polizisten völlig ausgeliefert. Im ersten Moment dachte ich sogar, er würde mich totschlagen. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit hielt noch lange an. Ich litt unter Schlaf- und Essstörungen und Geräuschempfindlichkeit, später kamen Angstzustände hinzu. Das ging so weit, dass ich selbst beim dickbäuchigsten Streifenpolizisten, der Knöllchen verteilte, die Straßenseite gewechselt habe. Ich fühlte mich sofort bedroht.

DANIEL KREUZ: Konnten Sie erkennen, wer Sie geschlagen hatte?

ALMUTH WENTA: Nein, die Polizisten trugen Helme und verstärkte Uniformen. Aufgrund der Bewegungen und der Statur gehe ich davon aus, dass es ein Mann war. Auf Video- und Fotoaufnahmen sieht man, dass unmittelbar nach dem Vorfall 13 Polizisten einer Berliner Hundertschaft um mich herum standen. Darunter befand sich wahrscheinlich auch der Täter. Im Juli 2007 erhielt ich vom Land Berlin eine finanzielle Entschädigung. Zeugen hatten meine Version des Tathergangs bestätigt. Den Angreifer konnte allerdings niemand identifizieren. Die Polizisten waren nicht individuell gekennzeichnet, was die Sache nicht leichter machte.

DANIEL KREUZ: Am 3. Mai 2007 erstatteten Sie Anzeige gegen Unbekannt wegen Körperverletzung im Amt. Wie hat die Polizei reagiert?

ALMUTH WENTA: Sehr schnell, weil der öffentliche Druck enorm war. Die Medien berichteten ausführlich über meinen Fall. Amnesty International, wo ich damals als Referentin arbeitete, forderte eine zügige Aufklärung. Die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt (LKA) Berlin wollten die Tat unbedingt aufklären, aber die Ermittlungen verliefen ergebnislos. Keiner der beteiligten Polizisten sagte zur Sache aus. Die Beamten wurden befragt, hatten aber angeblich zum besagten Zeitpunkt nichts gehört und nichts gesehen. Ein gleichzeitiger Blackout von 13 Polizisten - an solche Zufälle kann und möchte ich nicht glauben. Diese Beamten haben ein falsches Verständnis davon, was es heißt, Polizist zu sein. Sie sollen die Bürger schützen und nicht ihre Kollegen. Dank des öffentlichen Drucks war ich in einer relativ privilegierten Position. Doch, wenn selbst in meinem Fall kein Täter ermittelt werden konnte, wie sollen sich dann Betroffene wehren, die über gar keine Lobby verfügen, wie Obdachlose, Punker oder Ausländer?

DANIEL KREUZ: Wie verlief die Vernehmung bei der Polizei?

ALMUTH WENTA: Bereits einen Tag nach der Anzeige lud mich das LKA zur Zeugenvernehmung. Das war keine angenehme Atmosphäre. Schon die Anwesenheit im Polizeigebäude war belastend. Das ist ungefähr so, wie wenn man von einem Hund gebissen wird und danach in einen Hundezwinger muss. Zudem führte das Gespräch ein Polizist und somit ein Kollege des Täters. Ich fragte mich immer wieder: Vielleicht kennen sich die beiden, fahren zusammen zum Kegeln oder sie teilen sich eine Doppelhaushälfte. Und abends reden sie dann über mich.

DANIEL KREUZ: Im November 2007 teilten Ihnen die Behörden mit, dass das Verfahren eingestellt wurde, weil der Täter nicht zu ermitteln war. Wie haben Sie diese Entscheidung aufgenommen?

ALMUTH WENTA: Ich war maßlos enttäuscht und wütend. Es belastet mich sehr, dass die Tat nicht aufgeklärt wurde und ungesühnt bleibt. Das ist in doppelter Hinsicht ein verheerendes Signal. Den Betroffenen zeigt es, dass sie gegen den Übergriff eines Polizisten so gut wie nichts machen können. Und den Beamten, die rechtswidrig Gewalt anwenden, zeigt es: Du kommst damit durch. Dabei gibt es viele Polizisten, die ihren Job gut erledigen. Und ich bewundere diejenigen ein Stück weit, die sich jeden 1. Mai in Berlin oder anderswo zwischen Linke, Rechte, Möchtegern-Hooligans und Betrunkene stellen. Die Polizisten haben auch Kinder und einen Partner zu Hause, die sich Sorgen machen. Aber es gibt eben auch einige, die ihre Aufgabe falsch verstehen und die gefährlich sind. Sie können mit der Macht, die ihnen der Staat gibt, nicht richtig umgehen. Das darf nicht sein.

DANIEL KREUZ: Hat sich Ihr Bild von der Polizei geändert?

ALMUTH WENTA: Ich habe mittlerweile Angst vor Polizisten, und versuche, jeden Kontakt mit ihnen zu vermeiden. Ich gehe nicht bei Rot über die Ampel, und wenn ich auch nur ein kleines Bier getrunken habe, überlege ich mir drei Mal, ob ich noch aufs Fahrrad steige. Der Anblick von Bereitschaftspolizisten, zum Beispiel bei Sportveranstaltungen, löst in mir Panik aus. Am 1. Mai 2007 bin ich das erste und einzige Mal in meinem Leben Opfer von Gewalt geworden. Und ausgerechnet von einem Polizisten, einem Repräsentanten des Staates, der mich ja eigentlich schützen sollte. Vorher dachte ich, so etwas kann mir nie passieren. Dieses Vertrauen ist nun weg, und die Angst ist da.


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Quelle:
amnesty journal, August/September 2010, S. 28-29
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2010