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EUROPA/373: Ungarn - Unwürdige Behandlung von Asylsuchenden ist politisches Kalkül


Amnesty International - 27. September 2016

Ungarn: Unwürdige Behandlung von Asylsuchenden ist politisches Kalkül


27. September 2016 - Tausende Asylsuchende sind der Willkür der ungarischen Behörden schutzlos ausgeliefert. Sie werden Opfer von Misshandlungen, illegalen Rückschaffungen und willkürlichen Verhaftungen. Das Vorgehen der Behörden hat System: Asylsuchende sollen durch eine solche Behandlung abgeschreckt werden. Dies dokumentiert Amnesty International in dem aktuellen Bericht "Stranded hope: Hungary's sustained attack on the rights of refugees and migrants" .

Am 2. Oktober wird die ungarische Bevölkerung in einem Referendum über die von der EU beschlossene Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten abstimmen. Die politisch aufgeladene Referendumskampagne führt dazu, dass Hunderte Menschen auf der Flucht unter schlimmsten Bedingungen monatelang ausharren müssen, ohne zu wissen, was mit ihnen passieren wird. Viele, die es bis nach Ungarn geschafft haben, werden zurück nach Serbien geschickt oder illegal in Flüchtlingslagern festgehalten.

"Ungarns Premierminister Orbán hat die Rechtsstaatlichkeit in seinem Land durch eine Angstherrschaft ersetzt. Seine Versuche, Flüchtlinge abzuschrecken, haben dazu geführt, dass Menschen auf der Flucht schlecht behandelt oder gar misshandelt und Mechanismen zu ihrem Schutz ausgehebelt werden", sagt John Dalhuisen, Europa-Direktor von Amnesty International.

Der Amnesty-Bericht beruht auf Recherchereisen nach Serbien, Ungarn und Österreich. Insgesamt wurden 143 Personen befragt, die überwiegende Mehrheit von ihnen Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten. Ihre Aussagen belegen, wie unwürdig Menschen behandelt werden, die versuchen, nach Ungarn einzureisen oder das Land zu durchqueren. Alle, die rechtswidrig die Grenze überschreiten, werden kriminalisiert. Das Recht auf Asyl ist extrem eingeschränkt.

Container als Transitzonen

Im September 2015 wurde der Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien fertig gestellt. Später wurde dieser Zaun nach Kroatien hin erweitert und gleichzeitig ein Verfahren etabliert, um die Behandlung von Asylanträgen zu beschleunigen. An zwei Grenzübergängen wurden sogenannte Transitzonen eingerichtet: Metallcontainer, in denen zugelassene Asylsuchende festgehalten werden.

Pro Tag dürfen nur 30 Personen in diesen Containern einen Asylantrag stellen. Das ist völlig unzureichend, denn jeden Tag wollen Hunderte Asyl beantragen. Sie müssen entlang der serbisch-ungarischen Grenze in überfüllten Lagern ausharren. Zum Zeitpunkt der Amnesty-Recherche waren mehr als 600 Menschen gezwungen, über Monate hinweg in diesen provisorischen Lagern in Serbien zu bleiben.

Ein älterer Asylsuchender aus Afghanistan, der seine Frau über weite Strecken hinweg auf dem Rücken getragen hat, berichtete: "Wir warten hier bereits seit 22 Tagen, und wir werden sicher auch nicht morgen über die Grenze gehen dürfen." Ein anderer fragte: "Wir sind vor Schmerz und Krieg geflüchtet. Warum behandelt man uns wie Tiere?"

Rechtswidrige Situation

Die Möglichkeit, offiziell in Ungarn Asyl zu beantragen, ist extrem eingeschränkt. Deshalb versuchen viele Asylbewerber, die Grenze widerrechtlich zu überqueren. Ein Gesetz vom Juni 2016 sieht vor, dass jeder Asylsuchende, der sich acht Kilometer vom Grenzzaun entfernt aufhält, sofort wieder nach Serbien zurückgeschoben werden kann - ohne Rücksicht auf seine persönliche Situation.

Das ist genauso rechtswidrig wie die Methoden, die dabei angewendet werden. Ein Asylsuchender wurde Zeuge, als ein Polizist einen Mann geschlagen hat. Als er versuchte, einzuschreiten, soll der Polizist gesagt haben: "Wir können tun, was wir wollen. Wenn Sie sich beschweren, wird Ihnen sowieso niemand zuhören."

"Die Europäische Asylpolitik muss endlich besser abgestimmt sein, aber sie darf nicht 'orbanisiert' werden. Europa hat Ungarn wegen der Verletzung europäischen Rechts nicht zur Verantwortung gezogen. Dieses Versäumnis stärkt die fremdenfeindlichen Tendenzen im Land und unterstützt die Populisten. Die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn ist in Gefahr, genauso wie die Menschenrechte", so John Dalhuisen.


Weitere Informationen zum Thema Flüchtlinge und Asyl finden Sie auf:
www.amnesty.de/fluechtlinge

Der vollständige Amnesty-Bericht "Stranded hope: Hungary's sustained attack on the rights of refugees and migrants" ist (auf Englisch) als PDF-Datei herunterzuladen unter:
https://www.amnesty.ch/fr/pays/europe-asie-centrale/hongrie/docs/2016/traitement-degradant-demandeurs-d-asile-manoeuvre-populiste/160927_rapport-hongrie.pdf

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Quelle:
Mitteilung vom 27. September 2016
https://www.amnesty.de/2016/9/27/ungarn-unwuerdige-behandlung-von-asylsuchenden-ist-politisches-kalkuel-0?destination=startseite
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2016

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