Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → BEDROHTE VÖLKER


AFRIKA/612: Äthiopien - Desaströse Informationspolitik schürt Gewalt


Presseerklärung vom 21. Oktober 2016

Äthiopien: Massenverhaftungen - Appelle des UN-Generalsekretärs, Bürgerrechte zu respektieren, bleiben unbeachtet:

Desaströse Informationspolitik schürt Zorn der äthiopischen Bevölkerung


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) macht die desaströse Informationspolitik der Regierung für die Eskalation von Protesten, Gewalt und Spannungen in Äthiopien verantwortlich. "Opferzahlen werden nur selektiv veröffentlicht und systematisch heruntergespielt. Menschenrechtsorganisationen, die detailliert höhere Angaben zu Menschenrechtsverletzungen machen, werden als unseriös diffamiert. Doch Wochen später wird schließlich eingeräumt, wie berechtigt die Sorge um Menschenrechte war. Mit einer solchen Taktik des Leugnens und Verschleierns verspielen Äthiopiens Behörden jede Glaubwürdigkeit, vor allem auch in der eigenen Bevölkerung", erklärte der GfbV-Afrikareferent Ulrich Delius am Freitag in Göttingen. "So wird bei den Demonstranten nur neue Wut geschürt und die Aussicht auf eine politische Lösung der Konflikte getrübt." Appelle von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, die Bürgerrechte zu respektieren, bleiben unbeachtet.

Am Donnerstag hatten die äthiopischen Behörden erklärt, 1.645 Demonstranten und "Rädelsführer" seit Verhängung des Ausnahmezustandes am 8. Oktober 2016 festgenommen zu haben. Die reelle Zahl aller seit Beginn der Proteste im November 2015 Verhafteten ist mit mindestens 22.000 Menschen nach Informationen der GfbV jedoch deutlich höher. Denn die Massenverhaftungen in den Regionen Oromia und Amhara halten bereits seit Monaten an und begannen nicht erst mit der Ausrufung des Ausnahmezustands. Schon vor einem halben Jahr hat die GfbV freien Zugang für internationale Menschenrechtsexperten zu namentlich genannten Armeelagern und ehemaligen Polizeischulen gefordert, die als illegale Gefängnisse genutzt werden.

Auch nach dem Blutbad beim Erntedankfest der Oromo am 2. Oktober 2016 hatten sich die Behörden beeilt, eine relativ geringe Zahl von 55 Menschen anzugeben. "Schnell wurde eine dreitägige Staatstrauer verhängt, um jede öffentliche Debatte über die Hintergründe und das wahre Ausmaß des Zwischenfalls zu verhindern", kritisierte Delius. "Bis heute ist nicht klar, wie viele Oromo zu Tode kamen. Kritiker gehen von mindestens 678 Toten aus. Die Angehörigen der Vermissten wollen endlich die Wahrheit wissen. Ihre Proteste werden immer gewalttätiger, weil sie die Hoffnung verloren haben, von dieser Regierung jemals die Wahrheit zu erfahren. Das ist hausgemachte Gewalt, für die Äthiopiens Regierung weitgehend verantwortlich ist."

Wochenlang wurden internationale Menschenrechtsorganisationen von den Behörden gezielt diffamiert, weil sie angeblich zu hohe Zahlen der bei Demonstrationen Getöteten vorlegten. Bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel räumte Premierminister Hailemariam Desalegn am 11. Oktober 2016 ein, dass bei den Protesten bereits mehr als 500 Menschen getötet wurden, und bestätigte damit die zuvor von Menschenrechtsorganisationen gemachten Angaben.

*

Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 21. Oktober 2016
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang