Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → BEDROHTE VÖLKER

ASIEN/229: Afghanistan - Islamisierung der Justiz bedroht Pressefreiheit


Presseerklärung vom 12. Dezember 2007

Afghanistan: Islamisierung der Justiz bedroht Pressefreiheit

Verhafteten Journalisten droht Todesstrafe


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat vor einer Islamisierung der Justiz in Afghanistan gewarnt, die die Pressefreiheit und die Demokratisierung des Landes gefährde. "Im Namen des Islam werden Journalisten für Delikte mit der Todesstrafe bedroht, die in Rechtsstaaten noch nicht einmal mit Haftstrafen geahndet werden", berichtete der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius am Mittwoch. Innerhalb von nur einem Monat drohe nun schon zum zweiten Mal die Verhängung von Todesurteilen gegen regime-kritische Journalisten. Der jüngste Fall in der nordafghanischen Stadt Mazar-e-Sharif wiege besonders schwer. Dort werde ein Familienangehöriger des angesehenen Journalisten Sayed Yaqub Ibrahimi mit dem Tod bedroht, weil der Reporter Menschenrechtsverletzungen von Warlords öffentlich kritisiert hatte.

Ibrahimi, der für das Institute for War and Peace Reporting (IWPR) als Korrespondent aus Nordafghanistan berichtet, wurde nach mehreren kritischen Reportagen über Warlords vom Geheimdienst verhört und mit dem Tode bedroht. Als man ihm keine Straftaten nachweisen konnte, wurde sein Bruder, der Journalistikstudent Sayed Parwez Kaambakhsh, am 27. Oktober 2007 unter einem Vorwand festgenommen. Ihm droht die Todesstrafe, weil er der Verbreitung anti-islamischer Schriften beschuldigt wird. Der Student beteuert seine Unschuld, da der aus dem Internet heruntergeladene Text erst im Nachhinein mit seinem Namen versehen wurde. Statt den Prozess vor einem ordentlichen Gericht zu verhandeln, wurde das Verfahren an den Rat der Religionsgelehrten der Provinz überstellt. Dort droht ihm wegen Gotteslästerung der Tod durch Erhängen.

In einem weiteren Verfahren droht drei Personen, unter ihnen dem bekannten Journalisten Ghaws Zalmai, die Todesstrafe, weil sie den Koran in die Landessprache Dari übertragen haben. Ein vierter Beteiligter wurde bereits gehängt. Diese Hinrichtung war am 19. November in dem unabhängigen afghanischen Fernsehsender Aryana TV zu sehen, nachdem mehr als 1000 Studenten am 11. November für die Hinrichtung der vier Personen demonstriert hatten. Die Übersetzung des Koran ist im muslimischen Glauben nicht gestattet, da sie auch als Interpretation der ursprünglichen Version gilt.

Zalmai, der bis vor kurzem in Großbritannien im Exil lebte, arbeitete zuletzt als Sprecher des Generalstaatsanwalts. Er bereitete die Verbreitung von 6.000 Exemplaren der Koran-Übersetzung mit vor. "Zwar stieß die Übersetzung unter muslimischen Schriftgelehrten auf breite Ablehnung, doch die Todesstrafe gegen die vier Beteiligten zu verhängen wäre unverhältnismäßig und würde dem Ansehen Afghanistans schaden", hieß es in einem Schreiben der GfbV an den afghanischen Präsident Hamid Karsai.

Hoffnung auf ein faires Gerichtsverfahren besteht nach GfbV-Einschätzung nicht, weil nach der Ernennung des radikal-islamischen Scheichs Haji Faizal Shinwari zum Obersten Richter im Jahr 2002 mehr als 300 seiner Gefolgsleute zu Richtern ernannt wurden. Willkür und Korruption sind in der afghanischen Justiz verbreitet.


*


Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 12. Dezember 2007
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
Tel.: 0551/49906-0, Fax: 0551/58028
E-Mail: info@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2007