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NAHOST/076: Deutsche Firmen für Giftgasbombardements mitverantwortlich


Presseerklärung vom 23./24.. Juni 2007

Urteil im Völkermord-Prozess gegen Saddam Husseins Cousin "Chemie-Ali" erwartet (24.06.)

Deutsche Firmen tragen Mitverantwortung für Giftgasbombardements
- Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher muss Auskunft geben
- Halabja soll deutsches Aufbauprojekt werden!


Hans Dietrich Genscher- soll endlich Auskunft darüber geben, warum die Bundesregierung in den 80er Jahren nicht energisch gegen die deutschen Firmen eingeschritten ist, die am Aufbau der irakischen Chemiewaffenindustrie beteiligt gewesen waren. Dies hat der Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Tilman Zülch, von dem Ex-Außenminister anlässlich des am kommenden Sonntag erwarteten Urteils gegen den Cousin Saddam Husseins, Ali Hassan al-Madschid - im Volksmund "Chemie-Ali" genannt -, gefordert. Die GfbV hatte wesentlichen Anteil daran, dass die Aktivitäten der Firmen im Irak vor mehr als 20 Jahren bekannt wurden, und von der Bundesregierung immer wieder gefordert, die Verantwortung für die Produktion von Giftgas im Irak gründlich aufzuklären. Außerdem rief die GfbV die heutige Bundesregierung dazu auf, die durch einen verheerenden Giftgasangriff am 16. März 1988 bekannt gewordene kurdisch-irakische Stadt Halabja zu einem deutschen Aufbauprojekt zu machen. Die Überlebenden litten bis heute unter den Langzeitfolgen der hochgiftigen Substanzen, denen sie ausgesetzt waren. "Wir unterstützen die Initiative des Statthalters von Halabja, Fuad Saleh Riza, seine Stadt wie Hiroshima, Nagasaki und Dresden zu einem lebenden Mahnmal gegen alle Massenvernichtungswaffen zu machen", sagte Zülch.

Der von al-Madschid unter dem Codenamen "Anfal" geführte Vernichtungsfeldzug gegen die Kurden von März 1987 bis September 1988 wurde von Giftgas-Angriffen auf rund 40 kurdische Ortschaften begleitet. Überlebende wurden von der irakischen Armee liquidiert. Später wurden Teile der kurdischen, aber auch der yezidischen, assyro-chaldäischen und turkmenischen Bevölkerung aus den Provinzen Arbil, Dohuk, Suleymania, Kirkuk und Mosul deponiert und vernichtet. Inzwischen wurde mit der Exhumierung von Opfern begonnen, die vornehmlich im Südirak in Massengräbern aufgefunden werden.

Die GfbV erinnerte daran, dass Al-Madschid im Sommer 1991 in Bagdad gegenüber kurdischen Unterhändlern eingeräumt hatte, dass bei der Anfal-Offensive "nicht mehr als 100.000" Opfer getötet worden sind. Der britische Nahost-Kenner Prof. David MacDowall gehe in seinem Standardwerk "Modern History of the Kurds" (1969) von 100.000 Toten aus. Kurdische Quellen zufolge wird die Zahl der Opfer sogar auf 180.000 geschätzt.

Die Giftgasangriffe der irakischen Armee hatte die GfbV als erste schon im April 1987 in die deutschen Medien getragen und die Firmen Karl Kolb GmbH und Pilot Plant beschuldigt, für die Vernichtung von tausenden Zivilisten in den kurdischen Regionen des Irak Mitverantwortung zu tragen. Unter Führung dieser beiden hessischen Unternehmen hatte eine Reihe von deutschen und europäischen Firmen in den Jahren zuvor den Aufbau der Giftgasanlagen im irakischen Samara vorangetrieben. Das Bonner Landgericht hatte der GfbV daraufhin bei Androhung von zwei Mal 500.000 DM Bußgeld am 4. August 1987 untersagt, diese Beschuldigungen zu wiederholen. Am 11. Januar 1988 hatte das Kölner Oberlandesgericht diesen Richterspruch wieder aufgehoben, nachdem die GfbV sich auf israelische Quellen berufen hatte. Nach einem Report der Vereinten Nationen seien die Giftgas-Angriffe von so "gewaltigem Umfang" gewesen, "dass nur wenige Präzedenzfälle seit dem Zweiten Weltkrieg zu finden sind".

So hatte das Bombardement der 80.000-Einwohner-Stadt Halabja mit einem regelrechten Giftcocktail - darunter Senfgas, Nervengas, Sarin, Tabun und sehr wahrscheinlich Cyanid - allein an einem Tag 5000 Tote gefordert. In Halabja gibt es ungewöhnlich viele Fälle von bösartigem Krebs, Hautkrankheiten, Atemproblemen, Unfruchtbarkeit und angebotenen Missbildungen. Nach Einschätzung von Wissenschaftlern gleiche die Situation einer genetischen Zeitbombe, die bei den kommenden Generationen explodieren werde.

"Die Überlebenden von Halabja fühlen sich heute von der irakischen Regierung und von der internationalen Gemeinschaft verraten", hatte Fuad Saleh Riza gegenüber der GfbV in einem Telefongespräch geklagt. Es herrsche hohe Arbeitslosigkeit, die Straßen seien schlecht, es gebe nur mangelhafte Wohnmöglichkeiten, die Gesundheitsversorgung sei schlecht und die hygienischen Verhältnisse seien mangelhaft.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 23./24. Juni 2007
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2007