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NAHOST/221: Irak - Keine deutschen Waffen gegen Völkermord?


Presseerklärung vom 14. August 2014

Diskussion über Waffenlieferungen in den Irak

Keine deutschen Waffen gegen Völkermord? Zurückhaltung der Bundesregierung angesichts von Gräueltaten und Massenvertreibungen scharf kritisiert



Nur legitime Regierungen sollten deutsche Waffen erhalten, betonte Vizekanzler Sigmar Gabriel während der Diskussion über mögliche Rüstungslieferungen in den Irak. Der Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Tilman Zülch, kritisiert diese Zurückhaltung:

"Würde man der Argumentation von Sigmar Gabriel folgen, dann dürften die existentiell bedrohten assyrisch-chaldäisch-aramäischen Christen der nordirakischen Ninive-Ebene und die Yeziden in der Sinjar-Region "um keinen Preis" deutsche Waffen erhalten, um sich gegen den beginnenden Völkermord zu verteidigen.

Doch bedenkenlos wird der ideologische Vater der Terrororganisation "Islamischer Staat", Saudi-Arabien, seit Jahren mit deutschen Waffen aller Art hochgerüstet. So lieferten deutsche Firmen mit Zustimmung der Bundesregierung 1999 bis 2013 Schießanlagen, Waffenzielgeräte, Maschinenkanonen für Flugzeuge, Fallschirme und Ersatzteile für Kampfflugzeuge, Zielvorrichtungen, Maschinengewehre, Maschinenpistolen und Munition, Komponenten für elektronische Kampfführung, Teile für Kampfflugzeuge und gepanzerte Fahrzeuge, Patrouillenboote, Schalldämpfer, diverse Handfeuerwaffen, Raketenteile, Zieldarstellungsdronen und Haubitzenmunition im Wert von 5,23 Mrd. Euro. Experten gehen davon aus, dass Saudi-Arabien der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) über die Türkei logistische und finanzielle Hilfe leistet.

Die Beteiligung deutscher Kampfmittel an Völkermordverbrechen im Irak hat bereits seit den 70er Jahren traurige Tradition. Die Firmen Pilot Plant und Karl Kolb in Dreieich in Hessen waren am Aufbau der Giftgasanlagen Saddam Husseins beteiligt, der die chemischen Kampfstoffe unter anderem auf die kurdische Stadt Halabja einsetzen ließ. Dort starben am 16. März 1988 mindestens 5.000 Kurden durch das Giftgasbombardement. Tausende leiden bis heute an den Folgen der Vergiftung. Irakische Kampfhubschrauber aus der Produktion der Firma MBB beteiligten sich an der Auslöschung assyrisch-chaldäisch-aramäischer und kurdischer Dorfgemeinschaften an der irakisch-türkischen und irakisch-iranischen Grenze.

Gerade vor diesem Hintergrund darf die Bundesregierung den Opfern neuer Genozidverbrechen Hilfe nicht verweigern. Sie muss ihnen jede benötigte Unterstützung zukommen lassen, einschließlich der möglichen Lieferung von Waffen oder anderen Rüstungsgütern an die Regierung des autonomen Kurdistans oder kurdische, christliche oder yezidische Selbstverteidigungsverbände."

Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat die Öffentlichkeit schon 1987/88 über die Aktivitäten der Unternehmen Pilot Plant und Karl Kolb im Irak informiert. Damals drohte das Bonner Landgericht der in Göttingen ansässigen internationalen Menschenrechtsorganisation für den Fall der Wiederholung der Vorwürfe ein Bußgeld von zweimal 500.000 DM an. Erst als die GfbV dieselbe Anschuldigung aus israelischer Quelle (Jerusalem Post) vortrug, revidierte das Landgericht seine Entscheidung. Dank eines Eindringens von GfbV-Mitarbeitern in ein Lager der Firma MBB in Ottobrunn in Bayern wurde bekannt, dass MBB das Waffenembargo gegen den Irak nicht beachtete und Ersatzteile für Kampfhubschrauber an das Regime Saddam Husseins lieferte. Auch diese wurden zum Bombardement kurdischer Regionen eingesetzt.

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen, den 14. August 2014
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2014