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FRAGEN/020: Friedensbewegung mobilisiert zu traditionellen Ostermärschen (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 11 vom 13. März 2015
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Kriegsvorbereitungen subtiler"

Friedensbewegung mobilisiert zu traditionellen Ostermärschen

Interview mit Felix Oekentorp von Markus Bernhardt


UZ: Die traditionellen Ostermärsche stehen kurz bevor. Was werden in diesem Jahr die dominierenden Themen sein?

Felix Oekentorp: Wir haben beim Aufruf zum Ostermarsch Rhein-Ruhr den Fokus auf NRW gelegt. Krieg beginnt hier. Wir kritisieren Rüstungstechnik und -produktion durch Konzerne in NRW beispielsweise bei der URENCO in Gronau, wir klagen Kriegsplanung und -vorbereitung in NRW in der Kommandozentrale in Kalkar und beim Deutsch-Niederländischen Korps in Münster an und wir wenden uns gegen den Missbrauch von Forschung und Lehre durch die noch immer geltende Kooperationsvereinbarung der Bundeswehr mit Schulministerien, auch in NRW.

Sowohl bei uns als auch bei vielen anderen Ostermarsch-Aufrufen in Deutschland wird gefordert, Flüchtlinge aufzunehmen und menschenwürdig zu behandeln. Weltweit sind mehr als 50 Millionen Menschen auf der Flucht, davor darf unsere Gesellschaft nicht die Augen verschließen. Da müssen wir uns unserer Verantwortung stellen.

UZ: Andere Themen wären die Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen in Büchel, die Überwachung der Bundesbürger durch NSA und deutsche Geheimdienste, das Vorrücken der NATO an die russische Grenze, Bundeswehr-Propaganda an Jobcentern und eine zunehmende Kriegsgefahr. Droht der Ostermarsch zu einer Art politischem Gemischtwarenladen zu werden?

Felix Oekentorp: Es ist tatsächlich angesichts der Vielzahl von friedenspolitischen Missständen ausgesprochen schwierig, sich bei einem gemeinsamen Aufruf auf einen Punkt zu fokussieren. Wir sind nicht mehr in der Phase wo die Stationierung der Pershing deutschlandweit das eine gemeinsame Thema für Hunderttausende war, die Militarisierung und Kriegsvorbereitung geht schleichender und subtiler über die Bühne.

UZ: Der Krieg in der Ukraine hat die Konfrontation zwischen der "westlichen Wertegemeinschaft" und Russland wieder auf die Tagesordnung gebracht. Wird bei den Ostermärschen die Beteiligung von Faschisten auf Seiten der ukrainischen Armee Thema sein?

Felix Oekentorp: Im Aufruf des Ostermarsches Rhein-Ruhr ist diese Beteiligung der Faschisten nicht explizit erwähnt, auch wenn das für die an der Debatte Beteiligten kein Geheimnis war. Es ist auch ohnehin schrecklich und gefährlich genug, wie dort gezündelt wird.

UZ: Ist der Kampf gegen Krieg von dem gegen Faschismus - in Ost und West - überhaupt zu trennen?

Felix Oekentorp: Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg, das ist Konsens unter allen Beteiligten beim Ostermarsch Rhein-Ruhr und auch bei allen anderen relevanten Organisationen und Gruppen in der Friedensbewegung. Wenn ich hier einschränkend von relevanten Organisationen und Gruppen spreche, dann grenze ich bewusst Teile der Montagsmahnwachen aus, und erst recht spreche ich den Nazis, die seit Jahren in Dortmund und anderswo ihr Unwesen treiben, das Recht ab, sich mit ihrem so genannten "Nationalen Antikriegstag" als friedensengagiert zu präsentieren.

UZ: In der Friedensbewegung wird nunmehr seit Monaten über den Umgang mit Bündnispartnern - etwa aus dem Spektrum der mittlerweile abklingenden Montagsmahnwachen - gestritten. Ist die traditionelle Friedensbewegung so desolat aufgestellt, dass diese Debatten für so viel Unruhe sorgen konnten?

Felix Oekentorp: Es ist leider nicht immer so einfach, wie es scheint. Nicht an jedem Ort wo diese Montagsmahnwachen stattfanden oder noch stattfinden, sind diese nach rechts so offen wie es andernorts der Fall ist. Und bei dem unbestrittenen Nachwuchsproblem der Friedensbewegung war es für manche wohl zu verlockend in der Montagsmahnwachenbewegung neue Bündnispartner zu sehen. Da gab es Fehleinschätzungen, verbunden mit massiver Beratungsresistenz.

UZ: Wäre es nicht einmal an der Zeit, eine schonungslose Bestandsaufnahme der Friedensbewegung durchzuführen?

Felix Oekentorp: Wie soll denn eine solche Bestandsaufnahme stattfinden? Wer reist als Engagierter womöglich durch die halbe Republik, um mit einer Nabelschau das Wochenende zu verbringen? Wenn ich als ehrenamtlich Engagierter schon zu einem Treffen anreise, dann möchte ich dort Anregungen bekommen für gemeinsame Aktivitäten und motivierende Belege, was wir gemeinsam erreicht haben. Wenn überhaupt, dann kann das bei den bundesweit agierenden Organisationen vorgedacht werden, nur dort existieren die Strukturen zum Erarbeiten derartiger Analysen.

UZ: Bei aller Solidarität: Existiert eigentlich überhaupt noch eine wirkliche Bewegung, die sich für Frieden stark macht, oder haben wir es nicht eher mit versprengten lokalen Initiativen zu tun?

Felix Oekentorp: Gemessen an dem was mal in den 1980er Jahren üblich war, verbietet es sich tatsächlich fast, noch von Bewegung zu sprechen. Es hat aber leider ganz allgemein einen Rückgang ins Private, ins Konsumieren und weg von einem solidarischen Eintreten für bessere Bedingungen für alle gegeben. Das betrifft nicht nur die Friedensbewegung; unter sinkenden Mitgliederzahlen leiden auch Gewerkschaften, Parteien und auch Kirchen. Die Menschen wollen sich nicht mehr langfristig binden und empfinden es als Belastung statt als Bereicherung sich mit Gleichgesinnten zu engagieren. Und wenn es wie in der Friedensbewegung dazu gekommen ist, dass die Aktiven in den örtlichen Initiativen sich teilweise bis zum Rand der Selbstaufopferung engagieren, dann wirkt das auf mögliche Neueinsteiger eher abschreckend.

Es gibt aber auch positive Beispiele, wie etwa die Verbindung von politischem Engagement und Freizeitaktivitäten. Ein Beispiel dafür ist die Friedensfahrradtour, die die DFG-VK NRW im letzten Jahr mit einer Tour von Köln über Duisburg, Dortmund und Herford nach Berlin organisiert hat. Da gab es reichlich Gelegenheit für die Teilnehmenden, Eindrücke zu sammeln beim Besuch von Ausstellungen, bei Veranstaltungen mit und bei gastgebenden Friedensgruppen aber auch beim gemeinsamen Kochen. Im August wird es eine Neuauflage dieser Tour geben, diesmal von Münster über Kalkar nach Büchel.

UZ: Fernab der Probleme der Friedensbewegung: Diese scheint noch immer stark genug zu sein, den sogenannten Reformerflügel der Linkspartei bei dessen Anbiederungskurs in Richtung NATO und sogenannte "humanitäre" Bundeswehreinsätze im Ausland gehörig zu stören ...

Felix Oekentorp: Es ist sicher nicht nur der traditionellen Friedensbewegung geschuldet, dass die Linkspartei weiterhin die parlamentarische Kraft ist, die sich dem Entsenden von Soldaten verweigert. Die Linkspartei hat genau zwei Alleinstellungsmerkmale, das ist neben der Ablehnung der Hartz-IV-Gesetze der Antimilitarismus. Wenn auch nur eines dieser Standbeine aufgegeben wird, dann macht sich die Partei überflüssig, und das weiß sie auch. Die Grünen sind in den 1990ern diesen Weg gegangen, sie waren bis dahin für die Friedensbewegung der Ansprechpartner in den Parlamenten. Davon haben sie sich mit dem Bielefelder Kriegsparteitag verabschiedet. Inzwischen haben die Grünen als Partei der Besserverdienenden den Platz der FDP eingenommen. Der Platz dort ist also besetzt, die Linkspartei ist gut beraten, Friedenspartei zu bleiben.


Felix Oekentorp ist Landessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und einer der Organisatoren des Ostermarsches Ruhr:
www.ostermarsch-ruhr.de.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 47. Jahrgang, Nr. 11 vom 13. März 2015, Seite 9
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2015

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