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INTERNATIONAL/029: Indien - Menschliche Barrikade gegen Stahlwerk in Orissa (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juni 2011

Indien: Menschliche Barrikade gegen Stahlwerk in Orissa

Von Sujoy Dhar

Dorfbewohner-Proteste gegen Bau des POSCO-Stahlwerks - Bild: © IPS

Dorfbewohner-Proteste gegen Bau des POSCO-Stahlwerks
Bild: © IPS

Bhubaneshwar, Indien, 27. Juni (IPS) - Satikanta Sahu hat alle Hände voll zu tun. Er versorgt seine Mutter und Nachbarn, die im Küstendorf Govindpur im indischen Bundesstaat Orissa eine menschliche Barrikade gegen den Bau eines Stahlwerks der südkoreanischen Firma POSCO errichtet haben, mit Trinkwasser. Sobald der 14-Jährige seine Botengänge erledigt hat, reiht er sich ein in die Menschenkette aus Frauen und Kindern, die aus ihrem Dorf nicht weichen wollen.

Der Junge weiß genau, was auf dem Spiel steht. Sollte das als größte ausländische Direktinvestition gepriesene Megaprojekt der südkoreanischen 'Pohang Steel Company' gebaut werden, hätten er und seine Familie kein Zuhause mehr. "Unser Land ist unsere Lebensgrundlage", sagt er. "Wir wollen, dass POSCO geht. Wir werden nicht zulassen, dass (Orissas Chefminister) Naveen Patnaik mit seinen Plänen durchkommt."

Zwölf Milliarden US-Dollar soll das Stahlwerk kosten. Die Produktionskapazitäten werden auf vier Millionen Tonnen Stahl geschätzt. Nach Angaben der Regierung von Orissa benötigt die Firma 1.500 Hektar Land. Der Großteil besteht aus Wald und Regierungsland. Zankapfel sind knapp 70 Hektar Land. Hier leben 613 Familien, die verteilt auf die Dörfer Govindpur und Dhinkia, vom Verkauf von Betel leben.


Proteste verursachen Industrie Milliarden-Verluste

Die indischen Bemühungen, den Subkontinent immer weiter zu industrialisieren und ausländische Investitionen anzuziehen, stoßen auf den heftigen Widerstand von Dorfbewohnern und Bauern, die ihr Land nicht aufgeben wollen. Aus einer Studie des führenden Industrieverbands ASSOCHAM aus dem letzten Jahr geht hervor, dass die Verzögerungen bei der Landvergabe Investitionen in Höhe von 100 Milliarden Dollar gefährden. Der Bau von 22 großen Stahlprojekten im Wert von 82 Milliarden Dollar stehe auf dem Spiel.

Angesichts des anhaltenden Widerstands gegen das POSCO-Werk hat die Regierung von Orissa 800 Polizisten in das Epizentrum der Proteste entsandt. Die Demonstranten haben sich unter dem Schirm der POSCO Pratirodh Sangram Samiti (Gruppe gegen POSCO - PPSS) am Eingang von Govindpur zu einer dreireihigen Menschenbarrikade zusammengefunden, die rund um die Uhr aufrechterhalten wird.

Die Regierung von Orissa spricht von einer friedlichen Landnahme, die allerdings aufgrund des Widerstands eingestellt werden musste. Anrainer und Demonstranten wollen ihre Proteste fortführen, die seit dem 8. Juni von etwa 400 Schülern unterstützt werden. Um zu verhindern, dass die Kinder zuviel Schulstoff versäumen, werden sie nun an der Frontlinie unterrichtet.

Der PPSS-Vorsitzende Prashant Paikray befürchtet, dass in nächster Zeit mit einem Polizeieinsatz zu rechnen ist. Seiner Meinung nach könnte es in Govindpur zu ähnlichen gewaltsamen Zusammenstößen kommen wie im Januar 2006 in Kalinganagar, einem weiteren Gebiet im Orissa-Bezirk Jajpur. Dort hatte die Polizei das Feuer auf Ureinwohner eröffnet, die gegen den Bau eines Stahlwerks der indischen Firma Tata Group protestierten. Zwölf Menschen kamen dabei ums Leben.

"Warum macht sich die Regierung so große Sorgen um die sogenannte größte ausländische Direktinvestition, wenn wir für viele weitere Generationen hier glücklich leben können und es mit Betel, Fisch und Reis zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht haben? Das Projekt führt doch nur dazu, dass alles um uns herum zerstört wird", meint Abhay Sahoo, ein Mitglied der lokalen Protestbewegung. "Das hier ist ein Gebiet, in dem massiv gegen das Waldschutzgesetz FRA von 2006 verstoßen wird, was verschiedene von der Regierung ernannte Kommissionen bestätigt haben."


Experten-Panel moniert Verstöße

In diesem Jahr hatte der indische Umweltminister Jairam Ramesh das POSCO-Projekt unter gewissen Voraussetzungen freigegeben, obwohl eine vom Minister im Oktober 2010 handverlesene Expertengruppe festgestellt hatte, dass das Projekt gegen Küstenschutzbestimmungen und Waldgesetze verstoßen würde. Drei der vier Panelmitglieder empfahlen die Rücknahme der 2007 an POSCO erteilten Genehmigung. Sie warfen POSCO-India unter anderem vor, entscheidende Fakten unterdrückt zu haben.

In einer späteren Pressemitteilung erklärte POSCO, zu keinem Zeitpunkt gegen das Gesetz oder Verfahren zur Erlangung der Genehmigung verstoßen zu haben. "Fünf lange Jahre sind seit Unterzeichnung der Absichtserklärung vergangen, ohne dass wir mit unseren Operationen beginnen konnten", klagte das Unternehmen.

Das soll auch so bleiben, glaubt man den von dem Projekt bedrohten Menschen. Sie wollen nach eigenen Angaben bis zum letzten Atemzug für den Abzug von POSCO kämpfen. (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2011