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MUMIA/780: »Gehorche oder stirb!« (Mumia Abu-Jamal)


Kolumne # 823
»Gehorche oder stirb!«

von Mumia Abu-Jamal, September 2016


In Oklahoma und North Carolina ist es schon wieder passiert. Und es passiert wieder und wieder und wieder und wieder: Ein Cop erscheint an irgendeinem Ort, schnauzt oder grunzt einen Befehl hin, und im nächsten Moment fällt ein Mensch wie vom Blitz getroffen zu Boden und ist tot. In der Regel eine dunkelhäutige Person, eine schwarze Person.

Augenblicklich setzt wird Sprachkodex aktiviert, wie er typisch ist für Polizisten, sobald sie mit den Medien zu tun haben. Er basiert auf Entpersonalisierung. Von jetzt an ist nicht mehr von einer Person, einem Menschen die Rede, sondern von einem »Verdächtigen«. Und was soll der oder die »Verdächtige« verbrochen haben? »Er hat die Anordnungen nicht befolgt.« Oder: »Sie hat sich nicht gefügt, als ich ihr befahl, ihre Zigarette auszumachen.« Also hat er oder sie den Tod verdient - wegen Gehorsamsverweigerung? »Gehorche oder stirb!«

Runter auf den Boden! Weil du ein »Verdächtiger« bist. Verdächtig wegen was? Spielt das noch eine Rolle? Die Gründe sind beliebig. Kein »Verdächtiger« hat das Recht, nein zu sagen zu den Anordnungen von Polizisten. Niemand hat diese Freiheit. Niemand, der schwarzer Hautfarbe ist.

Polizisten, die wie miese Totschlägernazis handeln, treffen täglich solche verhängnisvollen Entscheidungen. Tag für Tag für Tag. Die »Verdächtigen« sterben, ihre Familien müssen unter Tränen ohnmächtig zusehen. Und nichts passiert. Warum? Weil »niemand« gestorben ist. Nur ein Niemand. Wieder ist nur eine »dunkle Seele« gestorben in den Vereinigten Staaten von Amerika, dem »Land der Freien«. Ein Niemand. Nur ein »Verdächtiger«. Einfach nur ... ein ... »Nigger«.


Copyright: Mumia Abu-Jamal
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Übersetzung: Jürgen Heiser
Erstveröffentlicht in "junge Welt" Nr. 225 vom 26. September 2016


Redaktionelle Anmerkung aus der jungen Welt von Jürgen Heiser:

Seit sechzehn Jahren erscheint an dieser Stelle ein wöchentlicher Kommentar zum Zeitgeschehen des jW-Kolumnisten Mumia Abu-Jamal. Allein seit der Ermordung des unbewaffneten Teenagers Michael Brown im August 2014 schrieb er in 28 Kolumnen über rassistische Polizeigewalt, die Ermordung afroamerikanischer »Verdächtiger« durch weiße Polizisten und die US-Justiz, die diese Täter fast ausnahmslos straflos davonkommen lässt. Abu-Jamal setzte sich jeweils mit den einzelnen Fällen auseinander, nannte Fakten und Namen von Opfern und auch die ihrer Mörder, die mit Schusswaffen, Tasern, durch Erwürgen oder andere Gewaltakte töteten. Seine heutige Kolumne nennt keine Fakten über die jüngsten Polizeimorde an Keith Lamont Scott aus Charlotte (North Carolina) und Terence Crutcher aus Tulsa (Oklahoma). Er beschreibt nur noch die alltägliche tödliche Struktur des Gewaltverhältnisses, in denen sich der eine Mensch, der sich aufgrund seiner Uniform, Hautfarbe und »Kultur« überlegen wähnt, über den anderen und sein Leben erhebt, das er für minderwertig hält. Warum können weiße Polizisten das tun? Weil der Staat, der in der Tradition der Sklaverei und des seitdem ungebrochen herrschenden institutionellen Rassismus steht, sie mit jener Macht ausstattet, die bekanntlich aus den Gewehrläufen kommt.

https://www.jungewelt.de/2016/09-26/028.php?sstr=Kolumne%7Cmumia

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Quelle:
Der Beitrag entstammt der Website www.freedom-now.de
mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Heiser
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
Postfach 150 323, 28093 Bremen
E-Mail: ivk(at)freedom-now(dot)de
Internet: www.freedom-now.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2016

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