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ASIEN/015: China - Politik für den ländlichen Raum


FoodFirst Nr. 4/2006
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Von der dritten Revolution auf dem Lande zum neuen sozialistischen Dorf

von Christian Göbel


Jeder chinesische Präsident braucht ein Programm mit einem griffigen Namen, der die Leitlinien seiner Amtszeit zusammenfasse und unter dem er in der Parteiverfassung verewigt wird. Mit den "Drei Repräsentationen" trieb Jiang Zemin die Privatisierung der chinesischen Wirtschaft voran, nun hat sich Hu Jintao die Erreichung einer "harmonischen Gesellschaft" auf die Fahnen geschrieben. Sein Augenmerk richtet sich auf die Nachhaltigkeit wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung vor allem auf dem Land.

Das ist bitter notwendig: Noch immer leiden zu viele Menschen an Unterernährung, die Anzahl der Bauernproteste steigt, und nach dem Beitritt Chinas zur WTO brach auch noch die Getreideproduktion um 15 Prozent ein. Sinkende Preise für Agrargüter führten im Verbund mit steigenden Düngerpreisen und hohen, oft willkürlichen Abgabeforderungen dazu, dass sich für viele Bauern die Aussaat schlicht nicht mehr lohnte.

Noch unter Jiang Zemin versuchte man, diesen Faktoren durch eine "ländliche Steuer- und Abgabenreform" entgegenzuwirken. Vereinfacht gesagt wurden die meisten Steuern und Abgaben auf dem Land abgeschafft und dafür die Agrarsteuer von real rund drei Prozent der Ernte auf sieben Prozent erhöht. Die neue Agrarsteuer sollte den Gemeinden zustehen, ein 20-prozentiger Zuschlag diente der Finanzierung der Dorfverwaltung. Der Einnahmenrückgang sollte durch die Zusammenlegung von Dörfern und Gemeinden, Verwaltungsreformen sowie die Verschlankung des aufgeblähten Personalapparats kompensiert werden. Zusätzlich zu der so erzielten durchschnittlichen Minderbelastung der Bauern um rund 40 Prozent sollten Getreidesubventionen sie zur Rückkehr aufs Land bewegen. Nicht ohne Grund wurde das im Ausland wenig beachtete Reformprogramm in China auf eine Stufe mit den Landreformen der 1940er und 1980er Jahre gestellt und als "dritte Revolution auf dem Lande" gefeiert. Nach der versuchsweisen Einführung im Jahr 2000 wurde das Programm trotz erheblicher Startschwierigkeiten drei Jahre später auf ganz China ausgeweitet.

Die Bemessungsgrundlagen der neuen Steuer erwiesen sich jedoch als sehr leicht manipulierbar, und da diese nicht auf die tatsächliche Ernte, sondern auf das zugeteilte Land erhoben wurde, empfanden sie viele Bauern als ungerecht und verweigerten die Zahlung. Die Steuererhebung kostete den Lokalstaat oft mehr, als sie dann tatsächlich einbrachte. Aus diesem Grund wurde 2004 ihre schrittweise Abschaffung innerhalb von fünf Jahren verkündet. Dies schwächte die Zahlungsmoral der Bauern weiter, so dass bereits 2005 die meisten, und ab 2006 schließlich alle Provinzen keine Agrarsteuer mehr erhoben.

Die Konsequenz dieser Entwicklungen war für die Bauern zunächst erfreulich, da ihre finanziellen Belastungen sehr stark verringert und illegale Forderungen der Lokalkader wegen der Übersichtlichkeit der neuen Steuer- und Abgabenlandschaft erschwert wurden. Der Schwarze Peter war damit aber den Gemeinden und vor allem den Dörfern zugeschoben worden, deren eigene Einnahmen nun gegen null tendierten. Mit Subventionen knauserte die Zentralregierung, da die Gebietskörperschaften der Forderung nach Personalabbau größtenteils nicht nachgekommen waren.

Besonders in den Inlandsprovinzen bewirkte das die Aussetzung von Infrastrukturmaßnahmen, was den ländlichen Raum in seiner Entwicklung noch weiter hinter die Städte warf. Die Regierung Hu legte jedoch nach: Anfang des Jahres wurde das Konzept der "harmonischen Gesellschaft" durch ein Programm zur Umgestaltung des ländlichen Raumes konkretisiert. Kennzeichen des "neuen sozialistischen Dorfs" sind unter anderem eine Betonstraße, Zugang zu Strom und Wasser, ein soziales Sicherungssystem und gebührenfreie Pflichtschulbildung. Wie und von wem das Programm finanziert werden soll, ist dem Dokument jedoch nicht zu entnehmen. Viele Bauern befürchten, dass sie bald doch wieder zur Kasse gebeten werden.

Der Autor ist Mitarbeiter am Institut für
Politikwissenschaft/Ostasienwissenschaften der
Universität Duisburg-Essen und arbeitet zu
Entwicklungsproblemen sowie Steuer- und
Verwaltungsreformen im ländlichen China.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 4/2006, Seite 6
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veröffentlicht im Schattenblick am 24. Januar 2007