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MELDUNG/018: Rente für Gefangene - 1.598 Unterschriften


Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Humanistische Union e.V.
Strafvollzugsarchiv Bremen

Köln/Berlin/Bremen, 20.7.2011 - PRESSEMITTEILUNG

Menschenrechtsorganisationen fordern Rente für Gefangene.
1.598 Unterschriften an Petitionsausschuss überreicht.


Menschenrechts- und kritische Strafvollzugsorganisationen haben am Dienstag in Berlin über 1.598 Unterschriften an den Petitionsausschuss des Bundestages übergeben. Darunter sind 531 Unterschriften von betroffenen Gefangenen. Der Bundestagsabgeordnete Matthias W. Birkwald nahm die Unterschriften entgegen. Die Petition fordert, die arbeitenden und in Ausbildung befindlichen Strafgefangenen in die Rentenversicherung einzubeziehen. Der Gesetzgeber selbst hatte dies im Strafvollzugsgesetz von 1976/1977 bereits vorgesehen. Doch das angekündigte Bundesgesetz zur Umsetzung ist nie erlassen worden. Martin Singe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, das die Petition initiiert hatte, wies darauf hin, dass die Einbeziehung Gefangener in die Rentenversicherung eine notwendige Konsequenz sei, um dem Wiedereingliederungsauftrag des Strafvollzugs zu entsprechen. Die jahrelange Praxis der sozialrechtlichen Exklusion widerspreche dem Gleichheits- und Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes und greife die Würde der arbeitenden Gefangen an. Auch die "Europäischen Strafvollzugsgrundsätze" von 2006 forderten die Einbeziehung der arbeitenden Gefangenen in die Sozialversicherungssysteme. Sven Lueders von der Humanistischen Union (vereinigt mit der Gustav-Heinemann-Initiative) betonte das kontinuierliche Engagement seiner Organisation für die Grundrechte von Gefangenen. Der Ausschluss komme einer Doppelbestrafung gleich und widerspreche dem Resozialisierungsauftrag. Das Strafvollzugsgesetz selbst fordere, negativen Folgen der Haft entgegenzuwirken.

Professor Johannes Feest vom Strafvollzugsarchiv Bremen rügte die zögerliche Umsetzung aller auf Resozialisierung gerichteter sozialstaatlicher Komponenten im Strafvollzugsgesetz von 1977. Für die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung war seinerzeit sogar ein konkreter Termin im Gesetz genannt worden. Immer wieder habe es in den vergangenen 30 Jahren Petitionen und Klagen beim Verfassungsgericht gegeben. Nun sei der Gesetzgeber gefordert, endlich die Umsetzung zu beschließen.

Matthias W. Birkwald, Sprecher für Rentenpolitik bei der Partei "Die Linke", nahm die Petition entgegen. Er rügte die Verletzungen des Gleichheitsgrundsatzes und des Sozialstaatsgebotes des Grundgesetzes. Die finanziellen Argumente gegen die Einbeziehung seien inakzeptabel. Allein NRW habe im Jahr 2008 über 48 Millionen Euro Gewinn aus der Gefangenenarbeit gezogen. Es sei skandalös, dass die Bundesregierung ihm gegenüber auf eine Anfrage im Juli erneut geantwortet habe, sie halte die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung "nach wie vor für sinnvoll", aber völlig untätig bleibe. Er werde sich für eine neue parteiübergreifende Gesetzesinitiative einsetzen. Der Rechtsausschuss des Bundestages habe Offenheit signalisiert.

Benedikt Lux vom Berliner Abgeordnetenhaus hob den Widerspruch hervor, dass die Länder immer stärker die Bedeutung von Arbeit für die Resozialisierung betonten, andererseits aber die Arbeit der Gefangenen durch den Ausschluss aus den Sozialversicherungen entwertet werde. Die Länder könnten den Rentenversicherungsbeitrag in die verkauften Produkte mit einberechnen. Außerdem könne jedes einzelne Land unabhängig von einer Bundes-Regelung mit der Einzahlung von Rentenbeiträgen für Gefangene beginnen. Nur wage sich niemand vor.

Martin Singe dankte allen Teilnehmenden und drückte für die Petitionsunterzeichnenden und vor allem für die Gefangenen die Hoffnung aus, dass mit der Initiative ein Anstoß erfolgt sei, um die Debatte um die Rentenversicherung für Gefangene neu zu beleben und zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen.

Die Petition wird politisch von 13 verschiedenen Organisationen getragen, die im Strafvollzug engagiert sind, neben dem Komitee für Grundrechte und Demokratie, der Humanistischen Union und dem Strafvollzugsarchiv Bremen u.a. die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe, der AK Kritischer Strafvollzug Münster, die Neue Richtervereinigung, die Strafverteidigervereinigungen, die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen.

Berlin/Köln, 19./20.7.2011

Martin Singe, Komitee für Grundrechte und Demokratie


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Quelle:
Pressemitteilung vom 20. Juli 2011
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Aquinostr. 7-11, 50670 Köln
Telefon: 0221/9726920
E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
Internet: www.grundrechtekomitee.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2011