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ATTAC/1712: Solidarität mit den Protesten gegen die Arbeitsrechts-"Reform" in Frankreich


Offener Brief des Wissenschaftlichen Beirats von Attac

Solidarität mit den Protesten gegen die Arbeitsrechts-"Reform" in Frankreich

13. Juni 2016


Wir, Menschen aus Wissenschaft, Publizistik und Gewerkschaften aus Deutschland, erklären unsere Solidarität mit den Menschen in Frankreich, die gegen die Arbeitsrechts-"Reform" weiter protestieren und streiken. Diese Streiks und Proteste sind berechtigt, notwendig und ein Vorbild für die gesamte Europäische Union.

Wir protestieren gegen das Gesetz, das per Notverordnung am Parlament vorbei diktiert wird. Es stimmt weitgehend mit den Forderungen des Arbeitgeberverbandes MEDEF überein und richtet sich gegen die Meinung und Interessen der Mehrheitsbevölkerung. Diese Demokratur verschärft die Rechtsentwicklung in der Europäischen Union.

Wir protestieren ebenfalls gegen die massive Polizeigewalt und Verurteilungen, mit denen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Streikenden und Protestierenden eingeschränkt wird.

Präsident Francois Hollande und Premierminister Manuel Valls haben auf angebliche Erfolge gleichartiger Gesetze in anderen EU-Staaten verwiesen. Doch diese Erfolge gibt es nicht, im Gegenteil.

Die Bundesrepublik Deutschland, die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit der Agenda 2010 am frühesten mit solchen "Reformen" begann, wurde dadurch zum größten Niedriglohnstaat in Europa. Das schädigt nicht nur die Beschäftigten, die Arbeitslosen und vor allem die Jüngeren in Deutschland selbst, sondern auch die Volkswirtschaften der anderen EU-Mitgliedsstaaten, nicht zuletzt Frankreichs. Diese Reformen sind eine Ursache für die wachsende Arbeitslosigkeit in der ganzen EU.

Durch die Agenda 2010 und weitere Maßnahmen der Folgeregierungen wurden in Deutschland kollektive, transparent entwickelte Tarifverträge zurückgedrängt. Die Gewerkschaften werden geschwächt. Einzelbetriebliche Vereinbarungen führen unter dem internen Druck der Arbeitgeber - sie drohen mit der Schließung oder Verlagerung des Betriebs oder mit Entlassungen - zur noch weiteren Entgrenzung der Arbeitszeiten, zu Lohnsenkungen, zu unbezahlten Überstunden, zu noch mehr Teilzeit- und Minijobs, zu noch mehr befristeten oder sogar unbezahlten Arbeitsplätzen (Praktika).

Selbst die deutsche Regierung muss mittlerweile zugeben: Wegen der Niedriglöhne und begleitende Rentenkürzungen bildet sich bereits jetzt eine gewaltige Altersarmut. Pensionäre sind in wachsender Zahl zu Nebenarbeit gezwungen. Hunderttausende Niedriglöhne müssen staatlich subventioniert werden. Mithilfe von etwa tausend Tafeln muss der Hunger der Verarmten notdürftig gestillt werden. Die wachsende Unsicherheit und der unkontrollierte Leistungsdruck haben zu mehr Stress und einem Anstieg der psychischen Krankzeiten und Depressionen geführt.

Die nach deutschem Vorbild durchgezogenen Arbeitsrechts-"Reformen" sind Teil eines zerstörerischen Standort-Wettbewerbs und haben zu Ungleichheiten geführt, die auch den demokratischen und sozialen Zusammenhalt in der EU schon jetzt schwer schädigen.

Wir stimmen mit den Streikenden und Protestierenden in Frankreich überein: Die abhängige Arbeit muss aufgewertet, deren finanzielle und moralische Herabwürdigung muss beendet werden! Auch Flüchtlinge dürfen nicht für Lohn-Dumping missbraucht werden!

Wir schließen uns der Forderung von Attac Frankreich an: Lohnerhöhungen insbesondere für die unteren Einkommensgruppen! Investitionen müssen in arbeitsplatzschaffende Produkte fließen, etwa in den ökologischen Umbau der Systeme für Transport und Energie! Investitionen in Bildung und Ausbildung für alle! Arbeitszeitverkürzung für alle! Beendigung des zerstörerischen Lohndumping-Wettbewerbs zwischen den EU-Mitgliedsstaaten! Zur Gegenwehr und zur Entwicklung von Alternativen sind auch demokratische Aufstände notwendig.

Diese Erklärung wird vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac Deutschland unterstützt und wurde vom seinem Wissenschaftlichen Beirat initiiert.

Prof. Dr. Rudolph Bauer
PD Dr. Josef Berghold
Prof. Dr. Armin Bernhard
Prof. Dr. Stefan Bestman
Prof. Dr. Alex Demirovic
Prof. Dr. Ulrich Duchrow
Prof. Dr. Heide Gerstenberger
Prof. i. R. Dr. Michael Hartmann
Prof. Dr. Frigga Haug
Prof. Dr. Peter Herrmann
Prof. Dr. Rudolf Hickel
Prof. Dr. Uwe Hirschfeld
Ass. Prof. Dr. Stefanie Hürtgen
Dr. Harald Klimenta
Dr. Reinhart Kößler
Dr. Lydia Krüger
Prof. Dr. Ingrid Kurz-Scherf
Prof. Dr. Mohssen Massarrat
Dr. Wolfgang Neef
Dr. Silke Oetsch
Dr. Norman Paech
PD Dr. Ralf Ptak
Katharina Pühl
Dr. Oliver Pye
Dr. Werner Rügemer
Dr. Thomas Sablowski
Prof. Dr. Michael Schneider
Prof. Dr. Jürgen Schutte
Dr. Manuela Troschke
Prof. Dr. Michael Vester
Hon.-Prof. Dr. Frieder Otto Wolf

Weitere Erstunterzeichnungen:

Prof. Dr. Heiner Flassbeck (Makroskop Mediengesellschaft)
Dr. Paul Steinhardt (Makroskop Mediengesellschaft)
Mag Wompel (Labour Net Germany)
Dr. Werner Rügemer (Aktion gegen Arbeitsunrecht)
Dr. Winfried Wolf (Lunapark21)
Franz Kersjes (Welt der Arbeit)
Uwe Hiksch (Naturfreunde Deutschlands)
Marie-Dominique Vernhes (Sand im Getriebe)
Prof. Dr. Rainer Roth (Klartext)
Heinrich Bleicher-Nagelsmann (Geschäftsführer Verband der deutschen SchriftstellerInnen)

www.attac.de/beirat

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Quelle:
Offener Brief des Wissenschaftlichen Beirats von Attac
Attac Deutschland, Pressestelle
Post: Münchener Str. 48, 60329 Frankfurt/M
Tel.: 069/900 281-31; Fax: 069/900 281-99
E-Mail: presse@attac.de
Internet: www.attac.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2016

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