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ATTAC/588: Wissenschaftlicher Beirat fordert öffentliche EU-Debatte


Pressemitteilung - Wissenschaftlicher Beirat Attac Deutschland vom 23. März 2007

* Kritische Glückwünsche zum 50. Geburtstag der EU

* Wissenschaftlicher Attac-Beirat gegen Marktradikalität und Militarismus


Der Wissenschaftliche Beirat von Attac Deutschland nimmt den 50. Geburtstag der Europäischen Union zum Anlass und ruft zu einer öffentlichen Diskussion der Europapolitik auf. Im Mittelpunkt sollten die zwei Ziele stehen, die seit der Gründung zentral sind: die Sicherung von Frieden und allgemeinem Wohlstand.


Solidarität statt Marktradikalität

"Mittlerweile müsste für alle Beteiligten klar sein, dass auf die wirtschaftliche Entwicklung nicht naturwüchsig eine demokratische und soziale Integration folgt", sagte Anne Karras, Politikwissenschaftlerin an der Universität Göttingen und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Attac. "Schon gar nicht, wenn in einem Vertragstext der Duktus künftiger wirtschaftlicher Entwicklung derart eng vorgezeichnet ist, wie es der bisherige Verfassungstext mit einer Festschreibung auf Marktradikalität, Wettbewerb der Staaten untereinander und Privatisierung tut". Diese Ökonomisierung Europas stehe den Intentionen der Gründerväter der EWG konträr gegenüber. Andreas Fisahn, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bielfeld und ebenfalls Mitglied des Attac-Beirats dazu: "Den Gründungsvätern der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ging es um die Kontrolle und politische Steuerung der großen Kriegsindustrien und gerade nicht um den Rückzug des Staates aus der Wirtschaft." Dass eine solche, in den letzten zwei Jahrzehnten forcierte Ausrichtung Europas gesellschaftliche Spaltungen, Armut und soziale Unsicherheit für viele nach sich zieht, werde in Kauf genommen.

"Zu dieser kontraproduktiven Politik gibt es Alternativen", betonte Anne Karrass. "Notwendig ist die Schaffung eines entwicklungsfreundlichen makroökonomischen Rahmens, eine entscheidende Politik gegen die Armut in Europa und ein starker öffentlicher Sektor. Verbindliche Mindeststandards für Umwelt, Steuern und Soziales müssen eingeführt und schrittweise nach oben angeglichen werden."


Abrüstung und ausschließlich zivile Konfliktbearbeitung

Überragendes Ziel der europäischen Integration nach dem 2. Weltkrieg war die Sicherung des Friedens - durch Kooperation und Abbau von imperialer Konkurrenz innerhalb Europas. Doch die Europäische Politik militarisiert sich zusehends: Eingreiftruppen - Battle-Groups - sollen weltweit einsatzbereit sein, Militärausgaben in der EU steigen wieder deutlich an. Waffenexporte aus den großen EU-Ländern nehmen zu und tragen zur Verschärfung der Konflikte in vielen Ländern bei, in denen die EU oder ihre Mitgliedstaaten dann in "Friedensmissionen" militärisch intervenieren.

"Alternativen zu dieser an militärischen Optionen orientierten Konzeption", so Andreas Fisahn, "sind eine deutliche Abrüstung - national und auf EU-Ebene - sowie die Nutzung des politischen Gewichts der EU zur ausschließlich diplomatischen und politischen Bearbeitung internationaler innerstaatlicher Konflikte zwischen und in dritten Ländern". Der Beirat von Attac fordert deshalb eine Entwicklungspolitik, die vorrangig auf die eigenständige Entwicklung der Länder des globalen Südens setzt und dadurch mehr als jede Militärintervention zur allmählichen Überwindung der Konfliktursachen führt.


Die Verfassungsdiskussion nutzen

Der Wissenschaftliche Beirat von Attac fordert die Regierungen der EU auf, die Wiederaufnahme der Verfassungsdiskussion zum Anlass zu nehmen, einen öffentlichen Streit zu führen. Anne Karrass hierzu: "Welches Europa wollen wir, die Bürgerinnen und Bürger, eigentlich? Wie viel Gleichheit, Freiheit und Solidarität über alle Grenzen hinweg muss für Europa konstitutiv sein? Darüber muss gestritten werden, dafür müssen Räume geschaffen werden - damit die nächsten 50 Jahre eine soziale, demokratische und friedliche Europäische Union entwickelt werden kann".


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Quelle:
Pressemitteilung vom 23. März 2007
Frauke Distelrath
Pressesprecherin Attac Deutschland
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Tel.: 069/900 281-42; Fax: 069/900 281-99
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2007