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OFFENER BRIEF/033: Wissenschaftler fordern Klärung des Reichstagsbrandes durch den Bundestag (History Press)


History Press - Pressemitteilung vom 15. April 2013

Wissenschaftler fordern Klärung des Reichstagsbrandes durch den Bundestag



Nach dem 30. Januar 1933 wurden wenigstens 416 Mandatsträger von der Justiz verurteilt und von SA oder SS inhaftiert, mindestens 73 kamen während dieser Haft ums Leben. Nicht weniger als 167 ehemalige Parlamentarier waren ab 1933 zur Ausreise gezwungen. Das stellte Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert am 10. April 2008 in seiner Rede zur "Zerstörung der Demokratie in Deutschland vor 75 Jahren" fest. Zu ergänzen ist, dass die Verhaftungen und Verurteilungen ganz überwiegend nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 erfolgten. Doch auch mehr als 80 Jahre nach diesem folgenschweren Verbrechen gilt die Frage der Täterschaft als nicht geklärt - und die Fronten in der sogenannten Reichstagsbrandkontroverse sind so verhärtet, dass eine objektive Klärung des Sachverhalts durch die historische Wissenschaft auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist. Angesichts des nicht endenden und mit großer Erbitterung geführten Streites, wer das Reichstagsgebäude anzündete, regte am 26. Februar 2013 auch die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, eine interdisziplinäre Prüfung durch den Bundestag in Kooperation mit Historikern, Brandexperten und anderen Fachkräften an. Wissenschaftler, Publizisten und Kulturschaffende haben sich nun in einem Offenen Brief an das Präsidium des Deutschen Bundestags gewandt, um "ohne Verzug die Einset zung einer entsprechenden Enquête-Kommission zu veranlassen. So können wir auch dem Andenken der infolge des Reichstagsbrands umgekommenen oder drangsalierten Parlamentarier gerecht werden", heißt es in dem Schreiben, zu dessen Erstunterzeichnern u.a. Prof. Andreas Nachama, geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, die Herausgeber der Zeitschrift "Ossietzky", Eckard Spoo und Otto Köhler, der Liedermacher Konstantin Wecker und der Historiker und Kirchenkritiker Karlheinz Deschner gehören.

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OFFENER BRIEF
AN DAS PRÄSIDIUM DES DEUTSCHEN BUNDESTAGS

Nach dem 30. Januar 1933 wurden wenigstens 416 Mandatsträger von der Justiz verurteilt und von SA oder SS inhaftiert, wobei mindestens 73 während dieser Haft ums Leben kamen. Nicht weniger als 167 ehemalige Parlamentarier waren ab 1933 zur Ausreise gezwungen. Das stellte Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert am 10. April 2008 in seiner Rede zur "Zerstörung der Demokratie in Deutschland vor 75 Jahren" fest. Zu ergänzen ist, dass die Verhaftungen und Verurteilungen ganz überwiegend nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 erfolgten.

Aufgrund dieser Rede forderte schon vor fünf Jahren einer der Unterzeichner in einem Offenen Brief an den Bundestagspräsidenten, einen alljährlichen Kongreß einzuberufen, "auf dem Historiker und Juristen aller Seiten vertreten sind, der Anhänger und der Gegner der These von der Unschuld der Nazis am Reichstagsbrand. Dieser alljährliche Kongreß soll so lange Forschungsaufträge an paritätisch besetzte Kommissionen vergeben, bis erforscht ist, was zu erforschen ist." ("Ossietzky", 10/2008)

Jetzt, am 25. Februar 2013, verlangte Uwe Soukup im Berliner "Tagesspiegel", daß der Bundestag sich hier als Vertretung des deutschen Volkes um eine Klärung bemühen müsse: "Alle in Wissenschaft und Publizistik mit der Frage beschäftigten Personen und Institutionen sollten in ein solches Verfahren einbezogen werden. Dabei gilt: Wer sich dem entzieht, will den Streit, nicht die Klärung."

Fritz Tobias hat seit 1959 (zuerst in einer "Spiegel"-Serie) als erster öffentlichkeitswirksam die These verfochten, Marinus van der Lubbe habe ohne fremde Hilfe den Reichstag angezündet. Sein Sohn hat sich bereit erklärt, dessen nachgelassenes Archiv zum Reichstagsbrand dem Bundestag zu übergeben. Dieses Angebot darf nicht ungenutzt bleiben. Angesichts des nicht endenden und mit großer Erbitterung geführten Streites, wer das Reichstagsgebäude anzündete, regte am 26. Februar 2013 auch die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Petra Pau, eine interdisziplinäre Prüfung durch den Bundestag in Kooperation mit Historikern, Brandexperten und anderen Fachkräften an.

Wir bitten das Präsidium des Deutschen Bundestages, ohne Verzug die Einsetzung einer entsprechenden Enquête-Kommission zu veranlassen. So können wir auch dem Andenken der infolge des Reichstagsbrands umgekommenen oder drangsalierten Parlamentarier gerecht werden.

Die Unterzeichner sind vorbehaltlos bereit, mit einer solchen Bundestagskommission zusammenzuarbeiten bzw. eine solche Arbeit ideell voll und ganz zu unterstützen.

Erstunterzeichner
- Dr. Alexander Bahar; Historiker, Publizist
- Christel Banghard-Jöst; Gymnasiallehrerin i.R.
- Privatdozent Dr. habil. Wolfgang Beutin; Literaturwissenschaftler (Universität Bremen)
- Dr. Karlheinz Deschner; Historiker, Publizist
- Prof. Dr. Wolfgang Dreßen; Politologe, Publizist
- Dr. Jürgen Harrer, Verleger
- Prof. Dr. Horst Hermann; Soziologe, Publizist
- Dr. Erhard Jöst; Schriftsteller, Kabarettist
- Privatdozent Dr. habil. Volker Kaukoreit; Literaturwissenschaftler, Publizist
  Stellvertretender Leiter des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek
- Otto Köhler; Publizist
  Mitherausgeber der Zeitschrift "Ossietzky" - Dr. Wilfried Kugel; Diplom-Physiker, Psychologe, Publizist - Prof. Dr. Andreas Nachama; Historiker, Publizist
  Dekan des Fachbereichs "Holocaust Studies" des "Touro College" (Berlin/New York)
- Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr; Politologe, Publizist
- Prof. Dr. Werner Röhr; Historiker
- Prof. Dr. Hans-Jörg Schneider; Diplom-Chemiker (Universität des Saarlandes, Saarbrücken)
- Eckart Spoo; Journalist, Publizist
  Mitherausgeber der Zeitschrift "Ossietzky"
- Dr. Gaby Weber, Publizistin
- Konstantin Wecker, Musiker

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Quelle:
HISTORY PRESS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2013