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OFFENER BRIEF/077: Kehren Sie um! Stoppen Sie das Sterben an Europas Außengrenzen! (Ottenser Gesprächskreis)


Ottenser Gesprächskreis zu Flucht und Migration - 12. Juli 2018

Kehren Sie um! Stoppen Sie das Sterben an Europas Außengrenzen!


Vor zwei Jahren forderten wir vom Ottenser Gesprächskreis zu Flucht und Migration in einem ersten Offenen Brief vom Hamburger Senat, als Beitrag zur Milderung des Leidens von Opfern europäischer Abschottungspolitik 1000 Geflüchtete aufzunehmen, die in Griechenland unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten werden. Aus dem Offenen Brief "Hamburg hat Platz!" wurde eine gleichnamige Petition, die trotz Unterstützung von 33 Hamburger Organisationen (darunter ver.di und GEW) sowie über 4600 Einzelpersonen von den Adressaten ignoriert wurde.

Angesichts der Tragödien, die sich auf dem Mittelmeer abspielen und einer zynischen EU-Politik in diesen Tagen dramatisch verschärft werden, weigern wir uns zu resignieren und haben einen zweiten Offenen Brief verfasst, der sich dieses Mal an die Bundesregierung wendet.

Wir rufen auch auf zur zahlreichen Teilnahme an der kurzfristig angesetzten Demonstration "Seebrücke Hamburg - Schafft sichere Häfen!" am kommenden Freitag, 13.7. um 18 Uhr am Neuen Pferdemarkt (Arrivati-Park).

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OFFENER BRIEF

Kehren Sie um! Stoppen Sie das Sterben an Europas Außengrenzen!



Sehr geehrte Frau Kanzlerin,
sehr geehrte Bundesminister*innen von CDU und SPD,

Ignoranz, Zynismus und Unmenschlichkeit europäischer Politik gegenüber den vor Krieg, Verfolgung und elenden Lebensbedingungen fliehenden Menschen haben ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Wir erklären ihr unseren entschlossenen Widerstand.

Während des migrationspolitischen Streits in Ihrer Regierung, der von den Herren Seehofer und Söder angezettelt wurde, hat sich die Zahl der ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer mehr als verzehnfacht. Die von der sogenannten "Libyschen Küstenwache" aus dem Wasser gezogenen Fliehenden werden mit Ihrem Einverständnis und Ihrer Unterstützung in Internierungslager gebracht, in denen Hunger und völlig inakzeptable hygienische Bedingungen herrschen. Schlimmer noch: In vielen dieser KZ-ähnlichen Lager gehören Folter, Vergewaltigungen, Hinrichtungen und Sklaverei zum Alltag. Gleichzeitig verdursten immer mehr Menschen in der Sahara, weil sie durch die von Ihren "Migrationsabkommen" verschärften Grenzregime in Nordafrika auf gefährlichere Wege gezwungen werden.

Für diese tausendfachen Tragödien tragen Sie einen großen Teil der Verantwortung. Denn Sie haben sich durch Seehofer, Söder und Dobrindt zu einer weiteren Verschärfung der Asylpolitik auf Bundes- und EU-Ebene erpressen lassen und dafür - nicht überraschend - Lob von der AfD erhalten. Dem CSU-Beispiel folgend haben Sie Konzessionen an nationalistische und rechtspopulistische Regierungen gemacht. Sie dulden und fördern die Kriminalisierung von Lebensrettern und die Festsetzung ihrer Schiffe und Flugzeuge und liefern damit noch mehr Menschen dem Tod aus.

Behaupten Sie nicht, dass diese menschenverachtende Politik alternativlos sei! Wenn Sie "illegale" Migration eindämmen wollen, dann schaffen Sie endlich sichere und legale Fluchtwege! Geben Sie mit Ihren Kolleg*innen in anderen EU-Ländern endlich jedem Schutzsuchenden die Chance mit einem humanitären Visum nach Europa einzureisen und ein faires Asylverfahren zu erhalten! Verlassen Sie den Irrweg des Konzepts der "sicheren Herkunftsländer"! Setzen Sie sich dafür ein, dass die Dublin-Regeln außer Kraft gesetzt werden, damit die Südeuropäer sich nicht mehr mit der Aufnahme von Geflüchteten allein gelassen fühlen und dem Rechtsradikalismus in die Arme getrieben werden!

Wenn Sie die AfD-Wähler*innen zurückgewinnen wollen, dann lassen Sie sich nicht mehr von den Rechtsradikalen vor sich hertreiben, sondern zeigen Sie "klare Kante" gegenüber Rechtspopulismus und Nationalismus in jedem Gewand und auch in Ihren Parteien! Belassen Sie es nicht dabei, die Verrohung der Sprache zu beklagen und begriffliche Schönfärberei zu betreiben! Sie sehen doch in aktuellen Umfragen, dass ihr jetziger Kurs nicht hilft, Wählerstimmen von rechtsradikalen Parteien zurückzugewinnen! Vielmehr führt er, wie Sie auch erkennen sollten, zur Rückkehr der Unmenschlichkeit, die wir nach dem zweiten Weltkrieg überwunden zu haben glaubten.

Geben Sie endlich nicht mehr dem Druck der menschenverachtenden Rechten nach, sondern folgen Sie Ihrem Gewissen! Kehren Sie sofort um zu einer Flüchtlings- und Migrationspolitik, die von Humanität, Solidarität mit Schutzsuchenden und konsequenter Bekämpfung von Rassismus und Nationalismus geprägt ist! Jeder Tag Ihrer derzeitigen Agenda wird weitere Menschenleben fordern.

Ottenser Gesprächskreis zu Flucht und Migration


(Wer sich dem Brief anschließen möchte, der antworte bitte einfach mit vollem Namen an unten angegebene Email-Adresse).

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Quelle:
Ottenser Gesprächskreis zu Flucht und Migration
E-Mail: hamburghatplatz@t-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2018

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