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STANDPUNKT/130: Gewalt gegen Frauen ist keine Frage von Religion (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Gewalt gegen Frauen ist keine Frage von Religion

von Anna Polo, 13. Januar 2016


13.01.2016. Die extreme Rechte in Deutschland, die durch Pegida (kurz für "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes") vertreten wird, hat sich die Ereignisse in Köln in der Silvesternacht, bei denen Immigranten und Asylsuchende in Gewalt gegen Frauen verwickelt waren, rasch zu Nutze gemacht, um ihren anti-islamischen Kreuzzug weiter zu intensivieren. Rassistische Parolen, die alle Einwanderer als Vergewaltiger bezeichnen und die Vertreibung von Flüchtlingen fordern, die vor Krieg in Syrien, Irak und Afghanistan nach Deutschland geflohen sind, hallten bei einer Versammlung am Samstag wieder, diese wurde jedoch rasch durch die Polizei aufgelöst, nachdem die Teilnehmer begannen Flaschen und Knallfrösche zu werfen.

Unterstützung bekamen die deutschen Rassisten durch Tommy Robinson, ehemaliger Anführer der extrem rechten britischen Organisation English Defence League, der großen Applaus für seine Behauptung erntete, der Islam sei ein Krebsgeschwür und Pegida sei die Heilung. Er sagte auch: "Gott hat uns das Recht und die Pflicht gegeben, unsere Frauen zu beschützen. Das ist, was Männer tun".

Und hier findet sich auch der Schlüssel um zu verstehen, was da an Silvester geschehen ist. Die meisten jungen Araber, denen Belästigung und Gewaltanwendung vorgeworfen wird, kommen aus extrem patriarchalisch geprägten Gesellschaften, in der Frauen als leichte Beute gesehen werden, die den Männern jederzeit zu Verfügung steht. Dies unterscheidet sich letztendlich nicht sehr von der arroganten Sichtweise Robinsons, der sich selbst aufgrund irgendeines göttlichen Rechts zum Verteidiger der Frauen proklamiert, der aber sicher nicht deren Individualität und Entscheidungsfreiheit respektiert. Und gar nicht erst zu sprechen von den anwesenden Polizisten, die nicht viel taten, um die Aggressionen zu verhindern und sich anfangs sogar damit begnügten, die Frauen zu ermahnen, sie sollten sich einfach von den Männern fern halten.

An diesem Punkt wird offensichtlich, dass Religion nichts mit der Gewalt zu tun hat, die sich da in der Neujahrsnacht entlud. Der gemeinsame Nenner von jungen arabischen Belästigern, europäischen Rassisten und inkompetenten und zerstreuten Polizisten ist in Wirklichkeit das Unverständnis für Frauen, die einfach nur einen Abend lang feiern wollten, ohne zwangsweise auf den Schutz von männlicher Seite angewiesen sein zu müssen. Den Islam für das kriminelle Verhalten einer kleinen Minderheit von Gewalttätigen als Ganzen anzuklagen, ist eine rohe und grob vereinfachende Verallgemeinerung, die sich niemand erlaubt hätte, wären die Aggressoren Christen gewesen. Vielleicht waren einige von ihnen tatsächlich Christen, angesichts der Schwierigkeiten, die es bedeutet, die Schuldigen jetzt im Nachhinein auszumachen.

Zum Glück gab es neben der Pegida-Versammlung am Samstag noch zwei weitere Veranstaltungen: zum einen eine Gruppe von Frauen, die sich an der Treppe zur Kathedrale versammelte, um die Bestrafung der Schuldigen der Silvesternacht sowie mehr Respekt gegenüber Frauen im Allgemeinen (auch bei Veranstaltungen, wie dem Oktoberfest oder in den Familien) zu fordern. Zum anderen gab es eine Demonstration gegen Faschismus, an der dann auch viele der Frauen teilgenommen haben, diese Demonstration hieß Flüchtlinge willkommen und verurteilte scharf die Instrumentalisierung der Ereignisse für einen antiislamischen Kreuzzug durch die extrem neonazistische Rechte.

Es steht außer Zweifel, dass die Welle an Flüchtlingen, die Europa derzeit erreicht, und die sicherlich noch andauern wird, eine Herausforderung für Integration und das Akzeptieren von Vielfalt darstellt, aber es ist auch klar, dass die rassistischen Parolen, die groben Verallgemeinerungen und die Suche nach Schuldigen um jeden Preis ein gefährliches Strohfeuer sein können, das an eine beunruhigende Vergangenheit erinnert. Nicht umsonst riefen viele der Demonstranten in Köln "Nein zu Nazis!".


Übersetzung aus dem Italienischen von Evelyn Rottengatter


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2016

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