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STANDPUNKT/424: Landwirtschaft in Gefahr! (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Landwirtschaft in Gefahr!

Von Günter Buhlke, 17. Februar 2020


Traktoren verstopften Berliner Prachtstraßen, ein Imker gießt vor laufender Kamera des rbb Senders einen Eimer Bienenhonig vor die Füße der Bauern, sicher auch symbolisch den Politiker. Anlass des Zorns ist der Umstand, dass Bauern Glyphosat verwenden und die niedrigen Lebensmittelpreise des Handels die Bauern in den Ruin treiben. Die politischen Führer beschäftigen sich zu sehr mit sich selbst und einige geben den Bauern eine Teilschuld am Klimawandel. Was ist da im uralten Wirtschaftszweig der Menschheit los? Wo liegen tiefere Ursachen? Wird da vom eigentlichen Luftverschmutzer und Erderwärmer abgelenkt?

Deutschlands Konsumenten und Fernsehzuschauer reiben sich die Augen, dass ausgerechnet die naturverbundenen Bauern Schuldige der Klimaveränderung sein sollen. Landwirte stehen doch am Ende der Kette der Verursacher des bedrohten Weltklimas.

Schnell vergessen wird, Bauern und Konsumenten leben in festgefügten Abhängigkeiten von marktradikalen Lebensmittelhandelsriesen, die sich untereinander seit Jahren über ihr Preisbildungsmonopol einen heftigen Kampf um das goldene Kalb liefern. Opfer sind die Bauern, Nutznießer auch die Konsumenten. Die Abhängigkeit der Bauern besteht darüber hinaus von Chemiekonzernen und den Lieferanten von Traktoren und Erntemaschinen.


Subventionsgelder oder Fördermittel gehen vorwiegend an Großbetriebe

Ein Nebenschauplatz für Ängste existiert in Differenzierungsprozessen innerhalb der Bauernschaft. Die Zahl der Höfe hat in den letzten Jahren in den alten Bundesländern erschreckend abgenommen. Subventionsgelder oder Fördermittel aus der Bundeskasse oder aus Brüssel erhalten überwiegend nur die großen Landwirtschaftsbetriebe. Der Konzernatlas der Agrar- und Lebensmittelindustrie, den die Heinrich-Böll- und die Rosa-Luxemburg-Stiftungen gemeinsam mit Oxfam und Germanwatch herausgegeben haben, dokumentiert viele Verwerfungen und die Marktmacht von Lidl, Kaufland, Aldi, Edeka und Rewe in Deutschland und Europa.

Das ganze Dilemma hängt mit der Eigenschaft der Landwirtschaft und des Handels zusammen, ambivalente Geldvermehrungseinrichtungen zu sein und gleichzeitig die wichtige Aufgabe zur Versorgung der Gemeinschaft zu haben.


"fair" und "bio" zur Gewinnsteigerung?

Die Medien und die Werbung lenken von den eigentlichen Ursachen der Proteste und der unheilvollen Klimaprognose ab. Sie reden den Konsumenten ein, der Fair- und Biohandel sei das Gebot der Stunde. Die Marketingsprache verwendet die Worte "fair" und "bio", real zur Absatzförderung und um zum Kauf anzuregen. Beide Worte sollen Vertrauen aufbauen. Der Handel mit Lebensmitteln ist längst in Richtung höhere Rendite abgefahren. Die Bereitschaft der Konsumenten, höhere Preise für das Versprechen "fair" zu zahlen, entspricht einer solidarischen Grundhaltung. Der Handel kalkuliert jedoch immer seine Kosten und Gewinnanteile, unbenommen davon, ob der Preis für die Konsumenten hoch oder niedrig ist. Um seine Marktanteile zu erhöhen, nutzt der Handel niedrige Verkaufspreise zur Freude der Konsumenten. Gleichzeitig drückt er mit der Macht seines hohen Einkaufsvolumens die Einkaufspreise zum Ärger der Bauern.

Für den gesellschaftlichen Frieden liegt das Grundproblem darin, dass die Mehrheitseigner der vorgenannten Handelsunternehmen auf vorderen Plätzen der Reichenskala stehen und die Bauern immer mehr Sorgen um ihr eigenes Leben und für das Fortkommen ihrer Betriebe haben. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe ist seit 2010 um etwa 12 Prozent gesunken.


Die Freiheit endet, wenn Dritte geschädigt werden

Die Politik der oberen Etage kümmert sich, wie die Beispiele der Besetzung des Chefpostens in Brüssel und die Manöver zum Schaden der Demokratie in Thüringen zeigen, eher darum die Macht zu erhalten.

Zur Pflicht der Medien gehört es sowohl, die Probleme der Landwirtschaft öffentlich und konstruktiv zu diskutieren, als auch die Anwendungen von Insektiziden und Herbiziden hartnäckig auf ihre Tagesordnungen zu setzen. Expertenmeinungen sind nicht immer objektiv, sie unterliegen Interessen, erforschte Prof. Dr. B. Krause, Ex-Dekan der Humboldt Universität. Das heißt, auch die Ursachen und die Verantwortlichen der Probleme zu benennen. Die Heilige Kuh der Medien, die nicht angetastet wird, ist die Freiheit der Wirtschaft und des Handels. Medien vergessen zu oft, darauf aufmerksam zu machen, dass die Freiheit einzuschränken ist, wenn sie Schäden gegen über Dritten verursacht. Das Grundgesetz verpflichtet im Artikel 2 in diesem Sinn den Freiheitsgebrauch und der Artikel 14 den Gebrauch des Eigentums zum Wohle der Allgemeinheit. Schwer ist es wohl, einen Gruppenegoismus zu überspringen.


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2020

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