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BERICHT/054: Klimacamp trifft Degrowth - Keine Umweltkehr ohne Aufbegehr ... (SB)


"Ende Gelände" - Klimaschutzbewegung im Aufwind

Klimacamp und Degrowth-Sommerschule im Rheinischen Braunkohlerevier 2015



Menschen auf Straße im Gegenlicht - Foto: © 2015 by Schattenblick

Foto: © 2015 by Schattenblick

Mit der Massendemonstration am 15. August, bei der um die tausend Menschen in den Braunkohletagebau Garzweiler eindrangen und die Kohleförderung lahmlegten, hat die Debatte um die Nutzung dieses besonders klimaschädlichen Brennstoffs für die Stromerzeugung zweifellos eine neue Dimension erreicht. Obschon mit diesem lange im voraus öffentlich angekündigten Akt des zivilen Ungehorsams gezielt gegen das Hausrecht des Grubenbetreibers RWE Power verstoßen wurde und nun rund 800 strafrechtliche Anzeigen vor allem wegen Hausfriedensbruchs anhängig sind, fallen die öffentlichen Reaktionen auf die spektakuläre Aktion keineswegs nur negativ aus. Wohlwollende Kommentare in öffentlich-rechtlichen Medien wie regionalen Zeitungen und die politische Unterstützung der Aktion durch Grüne und Linkspartei stehen für einen gesellschaftlichen Diskurs, der sogar im Wort der Bundeskanzlerin von der Notwendigkeit der vollständigen "Dekarbonisierung" und dem erklärten Ziel, die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2050 um 80 Prozent zu senken, regierungsamtlich verankert ist.

Anspruch und Wirklichkeit klaffen jedoch gerade im Bereich der Energieerzeugung weit auseinander, wie die langen Laufzeiten der deutschen Kohlemeiler belegen. Dabei kreuzt sich die Absicht der im Kohlestrom engagierten Energiekonzerne, diesen Teil ihres Geschäftsmodells so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, mit dem hegemonialpolitischen Interesse der Bundesregierung an der weiteren Nutzung des einzigen fossilen Rohstoffs, über den die Bundesrepublik in überreichem Maße verfügt. Die Bedeutung des nationalen Energiemixes, also der anteiligen Zusammensetzung beim Einsatz verschiedener Energieressourcen, für die geostrategischen Entwürfe Deutschlands ist spätestens seit dem Konflikt zwischen den NATO-Staaten und der Russischen Föderation um die Ukraine unübersehbar geworden.


Tagebau Garzweiler am Abend des 15. August 2015 - Foto: © 2015 by Schattenblick

Braunkohlewüste ... wo einst Wälder standen
Foto: © 2015 by Schattenblick

Wie die Energiepolitik insbesondere der SPD und die in sozialen Netzwerken geführten Debatten zwischen den Befürwortern und Gegnern der Kohleverstromung belegen, werden zudem Arbeitsplatz- und Standortinteressen ins Feld geführt, um die Forderung nach einem schnellen Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung als sozialfeindlich wie gleichermaßen ignorant zu diffamieren. Letzteres erfolgt vor allem mit dem Argument, daß dem Schutz des Weltklimas nicht durch ein Abschalten deutscher Kraftwerke gedient sei, solange die größten Verschmutzer in Ländern wie etwa China die Kohleverstromung nicht ihrerseits einstellten.

Umso mehr gilt es, den Blick nicht nur auf lokale und regionale Folgen der Braunkohleverstromung wie auch Landschaftszerstörung, Umsiedlung, Luft- und Wasserverschmutzung zu richten, sondern die soziale mit der ökologischen Frage zu verbinden und im weltweiten Maßstab zu stellen. Eben das wurde in der Woche vor dem Aktionstag im Klimacamp bei Lützerath getan. Mehr als tausend Menschen untersuchten dort in zahlreichen Workshops und Diskussionsrunden sowie anhand praktischer Beispiele und Exkursionen, was alles zu bedenken ist, wenn der drohenden Klimakatastrophe noch Einhalt geboten werden soll. Dabei lag der Schwerpunkt auf der internationalen Vernetzung des Klimaaktivismus und den destruktiven globalen Folgen, die hierzulande wie selbstverständlich in Anspruch genommene Produktionsweisen und Verbrauchsniveaus hervorbringen. Integriert in das Klimacamp war die Degrowth-Sommerschule, in der die auf der Degrowth-Konferenz in Leipzig vor einem Jahr angestoßene Debatte um Wachstumsrücknahme und gesellschaftliche Alternativen zum Fossilismus vorangetrieben wurde.


Kessel vor dem Hintergrund des Baggers und der Kohlekraftwerke - Fotos: © 2015 by Schattenblick Kessel vor dem Hintergrund des Baggers und der Kohlekraftwerke - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Industriepanorama repressiv
Fotos: © 2015 by Schattenblick

"Climate justice now" - die soziale Frage ist stets mitzudenken, lautet die Forderung vieler an diesem Wochenende im Rheinland Flagge zeigenden Aktivistinnen und Aktivisten. Ehrgeizige Reduktionsziele können nicht eins zu eins auf andere Weltregionen übertragen werden, sondern sind in den Kontext des steilen Produktivitätsgefälles zu stellen, das sich durch die kolonialistischen und imperialistischen Praktiken der hochindustrialisierten Metropolengesellschaften Nordamerikas, Westeuropas und Japans gegenüber dem globalen Süden herausgebildet hat. Mit dem Finger auf China zu zeigen, ohne zu bedenken, daß das ostasiatische Land auch zugunsten des Investivkapitals und der Währungsstabilität westlicher Staaten als Werkbank der Welt fungiert, erweist sich bei genauerer Untersuchung des globalisierten Kapitalismus mithin als so ignorant, wie es den Kritikern hiesiger Klimapolitik angelastet wird. Klimagerechtigkeit gegenüber den Bevölkerungen Lateinamerikas, Afrikas und Asiens, die schon heute mit langwierigen Dürreperioden, schwerwiegenden Überflutungen und anderen Formen des Extremwetters mit allen daraus resultierenden Problemen der Überlebenssicherung konfrontiert sind, einzufordern müßte also gerade in den klimatisch gemäßigten Breiten, deren Bevölkerungen davon noch weitgehend verschont geblieben und wo materieller Reichtum und bürgerliche Privilegien am höchsten entwickelt sind, an erster Stelle stehen.

"System change, not climate change" - so formelhaft verkürzt diese im Klimacamp allgegenwärtige Parole auch wirken mag, so stellt sie doch die Quintessenz der Einsicht in die destruktive Wirkung marktgestützter und tauschwertbedingter Vergesellschaftungsformen dar. Ohne eine fundamentale Veränderung des von industrieller Überproduktion und anwachsender Verelendung, von sozialdarwinistischer Konkurrenz und zivilreligiös verklärtem Wachstumsprimat tief zerrissenen kapitalistischen Weltsystems wird sich der fossilistische Weltenbrand nicht aufhalten lassen. Was seit Jahrhunderten Gegenstand revolutionärer Kämpfe ist und als Ziel sozialer Emanzipation immer noch seiner Verwirklichung harrt, erhält durch den in jüngsten Prognosen wie etwa der aktuellen Studie des Klimaforschers James Hansen immer kürzer werdenden Zeithorizont bis zur Unumkehrbarkeit des Klimawandels eine menschheitsgeschichtlich in dieser Dimension nie gekannte Dringlichkeit.


Bagger im Grubenpanorama - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Ende Gelände" - denn die Kohle muß in der Erde bleiben ...
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"Ende Gelände" war mithin auch eine Manifestation all jener Fragen, die es weit über die UN-Klimakonferenz in Paris hinaus zu stellen und zu beantworten gilt. Sich nicht auf den Diskurs der Herrschenden zu verlassen und ihm dort energisch entgegenzutreten, wo er die Menschen am langen Arm ihrer Gutgläubigkeit verhungern läßt, verlangt nach sozialer Praxis, solidarischem Handeln und entschiedenem Kampf für die Sache von Mensch und Natur. Ein wenig davon wurde in der Woche vor dem Aufbruch in die Grube erlebbar, als im Klimacamp eine kollektive Bewegung entstand, die niemanden ausschloß, aber auch niemanden vereinnahmte. In diesem Sinne ist die Auseinandersetzung mit Staatsgewalt und Kapitalmacht nicht nur ein notwendiges Übel, sondern auch eine Form emanzipatorischer Arbeit, die Qualitäten und Fähigkeiten hervorzubringen vermag, ohne die zumindest die große Mehrheit der Menschen keine Zukunft haben wird.


Drei grüne Flaggen für Hambacher Forst - Foto: © 2015 by Schattenblick

Widerstand im Hambacher Forst allgegenwärtig
Foto: © 2015 by Schattenblick

Klimaaktivismus praktisch gemacht

Es ist beileibe keine bloße Begleiterscheinung staatlicher Durchsetzung der herrschenden Eigentumsordnung, wenn der Zutritt zum öffentlichen Raum schon im Vorfeld der angekündigten Massenaktion "Ende Gelände" umfassend eingeschränkt wird. Mit der Ausweisung bestimmter Teile des öffentlichen Raums als sicherheitsrelevante Zonen und der Durchsetzung von Bewegungsverboten tritt ein zentrales Merkmal der großindustriellen Strukturierung einer Gesellschaft hervor, die den Menschen beherrschbar macht, indem sie ihm die selbstbestimmte Gestaltung seiner Lebensweise weitgehend vorenthält. Kleinräumliche lokale Strukturen der Energieerzeugung wie andere Formen weitgehend autonomer Produktion und Reproduktion konterkarieren den Anspruch administrativer Verfügungsgewalt, die Menschen für Lohnarbeit und Warenkonsum verfügbar zu machen, im Kern.

Die Kämpfe gegen Gentrifizierung und für das Recht auf Stadt haben vielen Menschen bewußt gemacht, daß die Höhe der Mieten nur ein Element sozialräumlicher Herrschaftsicherung ist, steht doch die Freiheit des in urbanen Räumen lebenden Menschen grundsätzlich zur Disposition. Im globalen Süden ist der Kampf um den ländlichen Raum längst zu einer Überlebensfrage für das Gros der Menschen geworden, die vom Ertrag des bewirtschafteten Bodens und anderen natürlichen Ressourcen leben. Wenn die Polizei den Bürgern hierzulande den Zutritt zum öffentlichen Raum im Namen von Sicherheitsmaßnahmen verwehrt und damit das Versammlungsrecht einschränkt, richtet sich das auch gegen den Wunsch der Menschen, gemeinsam stärker und handlungsfähiger zu werden.


Zwei Ansichten des Tagebaus - Fotos: © 2015 by Schattenblick Zwei Ansichten des Tagebaus - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Tagebau Garzweiler von Jüchen und Borschemich aus betrachtet
Fotos: © 2015 by Schattenblick

Schon am Freitagmittag, also einen Tag vor der Massenaktion, war die Polizei sofort zur Stelle, als der Berichterstatter des Schattenblick an einer öffentlichen Straße am Nordrand des Tagebaus Garzweiler bei Jüchen einen Blick in die Grube werfen wollte. Die Beamten erklärten zudem, daß die naheliegende Aussichtsplattform ebenfalls gesperrt sei. Ein sich daran anschließender Besuch bei Bekannten in Borschemich gestaltete sich nicht minder schwierig. Die Zufahrtsstraße in den Ort war von mehreren Mannschaftswagen der Polizei versperrt, und die Angabe, man wolle eine dort lebende Familie besuchen, führte dazu, daß der Ausweis fürs erste eingezogen wurde. Nach längerem Telefonieren wurde einer Fahrt bis zum Haus der Familie stattgegeben, allerdings nur mit Eskorte. Am Ziel angekommen mußte die betreffende Person ihren Ausweis zeigen, um zu beweisen, daß sie sich rechtens an diesem Ort aufhält. Erst dann erhielt auch der Besucher seinen Personalausweis zurück.

Während die Polizei im Vorfeld der Aktion die Zufahrt zum gesamten Randbereich des Braunkohletagebaus dichtmacht, bleiben die Menschen im Klimacamp nicht untätig. Schon am Donnerstag, dem letzten Tag mit einem umfassenden Angebot an Kursen und Workshops, nimmt die Vorbereitung des Aktionstages immer mehr Raum ein. Auf der Wiese im Zentrum des Camps werden bei Aktionstrainings Strategien des zivilen Ungehorsams wie das Umfließen von Polizeiketten vermittelt und praktisch geübt, Transparente, Schilder und Schutzanzüge bemalt, die Bewältigung medizinischer Notfälle wird ebenso vorbereitet wie die Aufteilung der Aktivistinnen und Aktivisten in sogenannten Bezugsgruppen. Auf größeren Versammlungen wird noch einmal das geplante Vorgehen besprochen, wobei der öffentliche Charakter des Camps auch der Gegenseite jederzeit ermöglicht, alles für sie Wissenswerte in Erfahrung zu bringen. All diese Aktivitäten bestimmen das Geschehen bis zum Freitagabend, der im Unterschied zu den vorherigen Tagen früh endet, um den Menschen eine Ruhepause vor dem anstrengenden Aktionstag zu gönnen.


Menschenmenge im Camp - Foto: © 2015 by Schattenblick

Morgendliches Sammeln im Klimacamp
Foto: © 2015 by Schattenblick

Das Ziel der Massenaktion zivilen Ungehorsams ist allen klar und wurde monatelang öffentlich kommuniziert: Der Betrieb des Tagebaus Garzweiler soll in einer gemeinsamen Aktion zahlreicher Aktivistinnen und Aktivisten der Anti-Kohle- und Anti-Atom-Bewegungen sowie anderen klimapolitischen Graswurzelbewegungen und Organisationen lahmgelegt werden, um ein Zeichen gegen den fortschreitenden Klimawandel und die ungenügenden Maßnahmen der Regierungen zu setzen. Die Organisatorinnen und Organisatoren haben hinlänglich klargemacht, daß sie - in Anbetracht aller bisher gescheiterten Versuche, auf internationaler Ebene entscheidende Fortschritte bei der Reduktion klimaschädlicher Gase zu erzielen - nicht viel vom Klimagipfel in Paris erwarten. Daher gehe es darum, Druck von unten zu machen - zum einen für die Menschen in der Region, die der Ausweitung der Tagebaue zu weichen haben und durch die von diesen wie den Braunkohlekraftwerken ausgehenden Emissionen gesundheitlich gefährdet werden, zum andern für die Menschen in aller Welt, die durch den Klimawandel und den Extraktivismus der Rohstoff- und Energiekonzerne in ihrer materiellen Sicherheit, ihrer räumlichen Existenz und ihrer angestammten Lebensweise akut bedroht sind. Der Aktionskonsens sieht vor, daß von den Aktivistinnen und Aktivisten keinerlei Eskalation ausgehen soll und diejenigen, denen das Eindringen in den Tagebau zu riskant erscheint oder körperlich nicht zuzumuten ist, jederzeit zurückbleiben können. Zudem wird erklärt, daß keine Einrichtungen des Tagebaus beschädigt und die Gefahren, die dieser Ort mit sich bringt, ausreichend berücksichtigt werden.


Lange Kolonne auf Feldweg - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Finger" in Bewegung
Foto: © 2015 by Schattenblick

Dementsprechend gut eingestimmt auf den Tag formieren sich die durch Aktivistinnen und Aktivisten aus allen Teilen Europas verstärkten und farblich markierten vier Züge im Klimacamp. Die als Finger bezeichneten Formationen bestehen aus jeweils mehreren hundert Menschen, die um 6.30 Uhr das Camp verlassen und sich sogleich in verschiedene Richtungen bewegen. Die weißen Schutzanzüge gegen das Reizgas geben den Zügen ein fast uniformes Bild, das allerdings durch die bunte Vielfalt der individuellen Ausstattung aufgelockert wird. Obwohl die Aktivistinnen und Aktivisten Rucksäcke zu schultern haben, in denen sich Wasservorrat für mindestens einen Tag befindet, geht es flotten Schrittes voran. Immer wieder werden Parolen für Klimagerechtigkeit und gegen RWE skandiert und Lieder angestimmt, während eine in Pinkfarben gekleidete Trommelgruppe den dennoch niemals militärisch wirkenden Rhythmus der Vorwärtsbewegung anschlägt.


Kolonne am Rand der Autobahn - Fotos: © 2015 by Schattenblick Kolonne am Rand der Autobahn - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Immer an der Autobahn entlang ...
Fotos: © 2015 by Schattenblick

Das größte Hindernis vor dem Betreten der Grube stellt die parallel zum Grubenrand verlaufende und stark befahrene Autobahn A 61 dar. Da sich die Polizei darauf verlegt, alle Unterführungen mit zahlreichen Beamten zu sperren und sogar ein großes Wasserrohr bewacht, das quer zur Autobahn läuft, waren im Vorfeld auch skeptische Stimmen zu vernehmen, die das ganze Unterfangen für kaum durchführbar hielten. So gibt es an den engen Unterführungen erwartungsgemäß kein Durchkommen. Nachdem die Spitze des Zuges beim ersten Versuch, an den dicht postierten Polizisten und Mannschaftswagen vorbeizukommen, mit Pfefferspray und vereinzelten Knüppeleinsätzen traktiert wurde, wird ein weiteres Aufeinandertreffen mit der Polizei von vornherein vermieden.


Polizisten und Fahrzeuge unter Autobahn - Foto: © 2015 by Schattenblick

Kein Durchkommen bei erster Unterführung
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Aktivisten in Unterführung vor Polizei - Foto: © 2015 by Schattenblick

Keine unnötige Konfrontation
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Statt dessen bewegen sich die beiden Finger immer weiter an der Autobahn entlang in Richtung Süden, streifen dabei die Ausläufer des größtenteils verlassenen Ortes Immerath und erreichen schließlich die Ortschaft Jackerath. Auch dort wird nicht erst die Konfrontation mit der zahlreich aufmarschierten Polizei an der Autobahnunterführung gesucht, sondern weiter durch den Ort in Richtung auf die südlichen Grubenausläufer marschiert. All das erfolgt besonnen, jedoch in relativ hohem Tempo, will man der Polizei doch nicht die Möglichkeit geben, genügend Kräfte zusammenzuziehen, um den Zugang zur Grube jenseits von Jackerath zu versperren.


Blockade bei der Autobahnausfahrt Jackerath - Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Polizei regelt den Verkehr
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Der dort durch den geplanten Abriß der A61 erforderlich gewordene Ausbau des Autobahndreiecks Jackerath bietet den Aktivistinnen und Aktivisten die Möglichkeit, über die noch nicht eröffneten Zubringer und das Sandbett eines Streckenabschnitts im Laufschritt Richtung Grube vorzudringen. Wie während des gesamten Marsches in die Grube greift die Dynamik der Vorwärtsbewegung auf alle über - hier werden Laufleistungen mit Gepäck erbracht, die sich mancher der Aktivistinnen und Aktivisten alleine kaum zutraut. Bis hinein in den Kessel bringt die gemeinsame Aktion Stärken und Fähigkeiten kollektiven Handelns hervor, die im Alltag der Arbeitsmonaden versteckt bleiben, weil dieses Handlungspotential zur Selbstermächtigung für jede Form der Herrschaftsausübung kontraindiziert ist.


Finger auf Autobahnbrücke - Fotos: © 2015 by Schattenblick Finger auf Autobahnbrücke - Fotos: © 2015 by Schattenblick Finger auf Autobahnbrücke - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Überqueren der Autobahn bei Jackerath
Fotos: © 2015 by Schattenblick


Autobahn im Bau mit planiertem Sandboden - Fotos: © 2015 by Schattenblick Autobahn im Bau mit planiertem Sandboden - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Idealer Zugang auf planierter Rollbahn
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So gelangen die Finger zur Brücke eines Zubringers, hinter der der Zutritt zur Grube durch kein bauliches Hindernis mehr versperrt werden kann. Als sich die Spitze des ersten Fingers nähert, sind dort lediglich zwei einsame Beamte postiert. Die Aussicht auf fast freien Zugang läßt die Aktivistinnen und Aktivisten nun erst recht vorwärts stürmen, wird in den Polizisten doch kein ernsthaftes Hindernis gesehen. Es wäre eigentlich für alle Beteiligten am besten, wenn die beiden Polizisten einfach den Weg freimachten.


Brücke mit zwei Polizisten - Foto: © 2015 by Schattenblick

Die letzte Hürde vor der Grube
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Ein Polizist wird aufgehalten - Fotos: © 2015 by Schattenblick Ein Polizist wird aufgehalten - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Aktivisten sichern den Durchgang
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Polizist und Aktivist zeigen mit Finger aufeinander - Foto: © 2015 by Schattenblick

Gefecht der Worte ...
Foto: © 2015 by Schattenblick


Aktivist wird zu Boden geworfen - Fotos: © 2015 by Schattenblick Aktivist wird zu Boden geworfen - Fotos: © 2015 by Schattenblick

... hält die Gewaltanwendung nicht auf
Fotos: © 2015 by Schattenblick

Doch es kommt anders. Sei es durch ein Übermaß an Pflichterfüllung oder einfach von Unvernunft getrieben, stellen sich die Beamten den zur Grube drängenden Menschen in den Weg. Ihr offensives Eingreifen und der Versuch, laufende Personen mit Reizgas zu besprühen oder mit dem Knüppel zu attackieren, führt schließlich zu einem mehrminütigen Gerangel, das heftiger wird, als weitere Beamte zur Verstärkung heraneilen. Während der vorangehende pinke Finger fast vollständig zur Grube gelangt, bleiben viele aus dem nachfolgenden gelben Finger an dieser Stelle zurück, da sie sich auf keine weitere Konfrontation mit den nun verstärkten Polizeikräften einlassen wollen. Sie suchen statt dessen einen anderen Weg quer durch das Gelände, das jenseits des vielbefahrenen Teils der A61 gut begehbar ist.


Finger und Polizeifahrzeuge - Fotos: © 2015 by Schattenblick Finger und Polizeifahrzeuge - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Abwärts in die Grube, wo die Eskorte wartet
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Ist man innerhalb des Tagebaus angelangt, macht sich bei aller Anspannung Euphorie darüber breit, so weit gekommen zu sein, wie man es sich zuvor nicht hätte vorstellen können. So geht es im Laufschritt weiter über die breite Fläche der obersten Ebene, auf der sich die gigantischen Schaufelradbagger an der Abbruchkante ins Land fressen. Rechts am großen Transportband, das den Abraum wegträgt, verläuft eine feste Trasse, auf der auch die Mannschaftswagen der Polizei fahren können. Sie folgen den Aktivistinnen und Aktivisten auf dem Fuß, doch der Versuch, sie zu überholen, scheitert an der mangelnden Geländegängigkeit der Polizeifahrzeuge. Ein vermutlich RWE-eigener Helikopter, der heruntersteigt, wirbelt gezielt Staub auf, doch das kann die Aktivistinnen und Aktivisten ebensowenig aufhalten wie die sich immer wieder neu vor ihnen formierenden Pick-Ups des RWE-Sicherheitspersonals.


Helikopter wirbelt Staub auf - Foto: © 2015 by Schattenblick

Heiße Luft und trockener Staub halten niemanden auf ...
Foto: © 2015 by Schattenblick


Festnahme eines Aktivisten - Foto: © 2015 by Schattenblick

... doch stets droht der Zugriff der Polizei
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Finger in breiter Formation - Foto: © 2015 by Schattenblick

Auf breiter Front das Gelände erschließen ...
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Arbeiter blockieren den Tagebau - Foto: © 2015 by Schattenblick

... um am Ende von RWE aufgehalten zu werden
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So läuft der pinke Finger gut anderthalb Kilometer die Grube hoch, wo etwa auf der Höhe Immeraths ein Schaufelradbagger steht. Hundert Meter davor bilden RWE-Fahrzeuge eine Barrikade, vor der Arbeiter stehen und mit einem quer ausgespannten roten Netz signalisieren: "Bis hierher und nicht weiter". Diese Sperre ermöglicht es den Polizeikräften trotz ihrer relativ geringen Zahl, die Aktivistinnen und Aktivisten einzukesseln, bevor sie zum Bagger durchbrechen und ihn besetzen können. Rund 200 Aktivistinnen und Aktivisten müssen von nun an mehrere Stunden an dieser Stelle, umstellt von Polizeibeamtinnen und -beamten, ausharren, bis sie schließlich durch Wegtragen geräumt werden. Obwohl sie danach fragen, wird ihnen nicht der Raum gelassen, eine improvisierte Toilette zu errichten, und die Polizei ist ihrerseits nicht in der Lage, einen Toilettenwagen heranzuführen, obwohl das Einkesseln zur Standardmethode bei der Auflösung von Demonstrationen geworden ist. Statt dessen werden einzelne Personen unter Polizeibegleitung aus dem Kessel geführt, um ihre Notdurft außerhalb zu verrichten. Als Sichtschutz für die Aktivistinnen stellt RWE ein Fahrzeug am Grubenrand zur Verfügung.


Gerangel um Blockade der RWE-Arbeiter - Foto: © 2015 by Schattenblick

Stellvertreterkrieg für lachende Dritte
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RWE-Arbeiter und ihre Gefangenen - Fotos: © 2015 by Schattenblick RWE-Arbeiter und ihre Gefangenen - Fotos: © 2015 by Schattenblick

"Jedermannsrecht" vorläufige Festnahme
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Nicht nur an dieser Stelle sticht die enge Zusammenarbeit zwischen der Polizei und RWE ins Auge. Beamte werden auf RWE-Fahrzeugen von einem Ort in der Grube zum andern gebracht. Auch werden sie von RWE-Personal eingeladen, auf ihr Fahrzeug zu steigen, um besser in den Kessel filmen zu können, und kommen dem auch nach. Von der Polizei festgenommene Aktivistinnen und Aktivisten werden von RWE-Fahrzeugen abtransportiert. Es soll auch zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen der Polizei in RWE-Fahrzeugen gekommen sein. In einzelnen Fällen halten RWE-Mitarbeiter Aktivistinnen und Aktivisten fest und übergeben sie der Polizei, wozu sie eigens Kabelbinder mit sich führen. Dieses Vorgehen wird mit dem sogenannten Jedermannsrecht nach Paragraph 127 der Strafprozeßordnung auf vorläufige Festnahme bei unmittelbarem Bezeugen einer Straftat begründet.


Aktivistinnen und Aktivisten von Polizei umringt - Foto: © 2015 by Schattenblick

Garzweiler Kessel ...
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Am Bagger von Polizisten bewacht - Foto: © 2015 by Schattenblick

... mit Ableger ganz weit vorne
Foto: © 2015 by Schattenblick

Wie der WDR berichtet, hat die Polizei RWE im Vorfeld der angekündigten Aktion vorgeschlagen, den Tagebaubetrieb für das Wochenende einzustellen, um die Proteste ins Leere laufen zu lassen. RWE ließ sich nicht darauf ein, weil die Gefahren in der Grube dies angeblich nicht zuließen. Gefährlich wird es statt dessen für alle an den physischen Auseinandersetzungen Beteiligten. Über 200 Verletzte unter den Aktivistinnen und Aktivisten, die vor allem durch Reizgas und Knüpppelschläge in Mitleidendschaft gezogen wurden, sowie drei Dutzend verletzte Polizeibeamte - bei denen nicht auszuschließen ist, daß sie auch den Auswirkungen des eigenen Reizgases zum Opfer fielen - sind die Bilanz einer Unternehmensstrategie, die auf Eskalation zu setzen scheint, um die offenkundige Legitimität des Vorgehens der Klimaschützer zu erschüttern. Es paßt ins Bild, daß schließlich auch die Medienvertreter auf Verlangen des Konzerns aus dem Tagebau gebracht wurden, also die Berichterstattung eines Ereignisses von höchster öffentlicher Relevanz auf Betreiben einer der Konfliktparteien hin unterbunden wurde.


Wahlplakat Wolfgang Spelthahn in Jackerath - Fotos: © 2015 by Schattenblick Wahlplakat Wolfgang Spelthahn in Jackerath - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Landrat, Polizeichef und ehemaliges RWE-Aufsichtsratmitglied hat die Demo im Blick
Fotos: © 2015 by Schattenblick

Daß das Hausrecht eines Konzerns so viel mehr wiegt als das angebliche Gemeinwohl, in dessen Namen RWE an erster Stelle die Nutzung des Landes für kommerzielle Zwecke zugestanden wird, wirft ein bezeichnendes Licht auf die reale Machtverteilung in diesem Land. An die 800 Strafanzeigen sind das Ergebnis dieses massenhaften Aktes zivilen Ungehorsams, der den mehrstündigen Stillstand von drei der sieben Schaufelradbagger im Tagebau Garzweiler bewirkte. An mehreren Stellen drangen die Aktivistinnen und Aktivisten in die Grube ein, nachdem die Polizei die Autobahn sperren mußte, als sich einige von ihnen von einer Brücke über der Fahrbahn abgeseilt hatten. Sie besetzten einen Bagger und gelangten in unmittelbare Nähe eines weiteren, so daß sie ihr erklärtes Ziel aller Unwahrscheinlichkeit zum Trotz erreichten.

"Ende Gelände" hat damit ein Zeichen des sozialökologischen Widerstandes gesetzt, das nicht nur der Klimaschutzbewegung weiteren Auftrieb verschaffen könnte. Aus dem Zusammenschluß der Bürgerinitiativen, Graswurzelbewegungen, NGOs und linken Gruppen für die Massenaktion im Rheinischen Braunkohlerevier könnte sich eine Plattform für sozialökologischen Aktivismus entwickeln, die das ganze Spektrum sozialökologisch relevanter Fragen vom Kampf gegen das Freihandelsabkommen über den Widerstand gegen Zwangsräumungen und Stromsperren bis zum Eintreten für Ernährungssouveränität, um nur einige Beispiele zu nennen, aufzugreifen imstande ist. Den weltweit synchron verlaufenden Krisen des Klimas, der Natur, der Wirtschaft, der Ernährung und der Demokratie gemäß könnte ein solcher Zusammenschluß nicht zeitgemäßer sein.


Pferde- und Hundestaffel in Bereitstellung - Fotos: © 2015 by Schattenblick Pferde- und Hundestaffel in Bereitstellung - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Gegen die eigene Natur ... Tiere im Dienst des Staates
Fotos: © 2015 by Schattenblick


21. August 2015


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