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BERICHT/093: Klimacamp im Rheinland - gezinkte Karten ... (SB)



La ZAD - Zone A Défendre

Wer im französischen Wörterbuch die Bedeutung des Akronyms "ZAD" nachschlägt, wird mit der Übersetzung "Umweltschutzgebiet" eher unzulänglich ins Bild gesetzt. Fast möchte man meinen, daß die "Zone A Défendre" - jenes Ärgernis der dauerhaft besetzten Protestzone zur Verhinderung eines Megaprojekts - zwar im offiziösen Sprachgebrauch nicht länger verschwiegen werden kann, aber angesichts seiner inhärenten Sprengkraft zumindest in der allgemeinen Wahrnehmung auf ein gesellschaftlich kompatibles Konzept zurechtgestutzt werden soll. Was Staatsräson von diesem Widerstandsnest und Gegenentwurf hält, brachte Manuel Valls vom rechten Flügel der sozialdemokratischen PS als Innenminister im Kabinett von Premierminister Jean-Marc Ayrault auf den Punkt. Er soll die Angriffe auf La ZAD im Oktober 2012 höchstpersönlich geleitet haben und erklärte damals, die Operation diene dazu, ein "Geschwür am Wachsen zu hindern".

Was also ist La ZAD [1], daß eine französische Regierung in Wort und Tat derart brachial dagegen zu Felde zieht? Manche Menschen sind dort, um die Umwelt zu schützen und radikalökologische Entwürfe umzusetzen. Andere kommen, weil sie aus der Gesellschaft aussteigen wollen und dort ein Nischendasein finden, wo man sie in Ruhe läßt. Einige werden von der Polizei gesucht, haben keine Papiere oder lange auf der Straße gelebt. Manche wollen ein autarkes Leben führen mit Minihäuschen und eigenem Garten. Einige sehen darin den Ausgangspunkt für die Ausbreitung einer aufständischen Bewegung. Alle wollen sie den dort geplanten Großflughafen verhindern und nach ihren Vorstellungen selbstbestimmt leben.

So jedenfalls umriß eine deutsche Aktivistin, die seit fünf Jahren in der ZAD lebt, in einem Open space des Connecting Movements Camp die Vielfalt der Menschen und Verschiedenheit ihrer Anliegen, die zusammen die zu verteidigende Zone ausmachen und weiterentwickeln. Sie erzähle ihre Vision, wie sie eingangs betonte, denn es gebe so viele Visionen wie Bewohner von La ZAD. Besonders ermüdend finde sie Leute, die sich nicht Zeit ließen anzukommen und zu verstehen, sondern schon nach drei Tagen alles über die Zone zu wissen glaubten, obgleich diese doch unerhört vielschichtig sei.


'Resistance ZAD Partout' - Foto: © 2013 by Schattenblick

ZAD ist überall ...
Foto: © 2013 by Schattenblick

Megaprojekt als Kernstück einer künftigen Metropolenregion

Um sich dem anzunähern, was das zu verhindernde Megaprojekt in dieser Region so bedeutsam macht, ist ein zumindest kursorischer Blick auf Kontext und Geschichte des "Aéroport du Grand Quest" unerläßlich. [2] Schon seit 50 Jahren ist geplant, etwa 30 Kilometer nordwestlich der französischen Stadt Nantes einen Großflughafen mitten in eine uralte südbretonische Kulturlandschaft zu setzen. Zwischen drei Gemeinden, deren größte das knapp 2000 Seelen zählende Notre-Dame-des-Landes im Norden ist, soll auf einer Fläche von zehn Kilometern von Ost nach West und zwei bis drei Kilometern in nord-südlicher Richtung ein riesiger Flughafen samt infrastruktureller Anbindung errichtet werden. Auf diesem landwirtschaftlich genutzten Terrain stehen nur einzelne Häuser oder Höfe, die zu beseitigen seit jeher das Ziel der Betreiber des Projekts ist, die die Zone restlos von Bewohnern entleeren wollen.

Die künftige Metropolenregion zwischen den Städten Nantes im Süden, Rennes im Norden und Saint-Nazaire am Atlantik im Westen soll im Kontext globaler Konkurrenz zu einem Cluster von gesteigerter wirtschaftlicher Effizienz ausgebaut werden. Das Flughafenprojekt ist das logistische Kernstück des Entwicklungsprogramms Pôles de compétitivité, das in der industriell als unterentwickelt geltenden Atlantikregion innovative Wachstumskerne initiieren und sie für den internationalen Luftverkehr erschließen soll. Die Hafenstadt Saint-Nazaire an der Mündung der Loire weist neben einer starken maritimen Rüstungsindustrie und einem beträchtlichen Umschlag auch eine Airbus-Produktion, Petrochemie und andere Industrien auf.

Geballte Standortvorteile sollen Investitionen anlocken, neue HighTech-Industrien ansiedeln und in einer Qualifizierungsoffensive die Interessen internationaler Wirtschaftseliten wie auch besser bezahlter Kernbelegschaften bedienen. Dies ist nur auf Grundlage verschärfter sozialer Widersprüche durch Abwertungs-, Ausgrenzungs- und Verarmungsprozesse wie auch Zerstörung traditioneller Lebensweisen, kultureller Werte und ökologischer Zusammenhänge herbeizuführen. Dem liegt der ambitionierte Masterplan zugrunde, ganz Europa mit einem Raster zu überziehen und an dessen jeweils etwa 300 Kilometer voneinander entfernt liegenden Kreuzungspunkten urbane oder regionale Metropolen zu bilden, während entlang den sie verbindenden Achsen Bahntrassen, Autobahnen, Wasserwege, Stromleitungen, Flughäfen und Häfen einbezogen und ausgebaut werden sollen.

Chronologie des Widerstands

Das seit Jahrzehnten betriebene Großprojekt durchlief verschiedene Phasen. Es wurde teilweise für längere Fristen in der Schublade vergraben, dann wieder herausgeholt, nach einiger Zeit erneut "vergessen", doch nie aufgegeben. Diese Wechselfolge ist auf verschiedene äußere Umstände, nicht zuletzt jedoch auf den Widerstand zurückzuführen. Schon 1973 schlossen sich mehrere Bauern der Region zur Association de Défense des Exploitants Concernés par l'Aéroport (ADECA) zusammen, doch konnten sie nicht verhindern, daß die im Einzugsbereich des geplanten Flughafens liegenden Gemeinden dem Vorhaben der Regierung zustimmten. 1974 erklärte der Präfekt des Verwaltungsbezirks Loire-Atlantique das Gebiet zur "Zone d'Aménagement Différé" (ZAD), also einer "Zone für Sonderentwicklung", die übergeordneten nationalen Zwecken zugeführt werden soll. Diesen technokratischen Behördenjargon kontert ZAD als "Zone A Défendre" mit dem Gegenentwurf eines Kampfs gegen das Großprojekt.

Angesichts der krisenhaften Wirtschaftsentwicklung in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre fand das Vorhaben zunächst keine weitere Beachtung mehr. Erst nach dem Absturz einer Concorde nahe des Pariser Flughafens Charles-de-Gaulle im Juli 2000 holte Jean-Marc Ayrault, damals Bürgermeister von Nantes, die Pläne wieder aus der Schublade. Der Widerstand in der Bevölkerung organisierte sich in der wiederaktivierten ADECA und der neuen Association Citoyen Intercomunale Concerne Par L'aeroport (ACIPA), die unter anderem Einwände gegen den zu erwartenden Fluglärm geltend machte, während Umweltgruppen Bedenken gegen die Beeinträchtigung des Grundwassers und die Zerstörung der Feuchtgebiete durch die Versiegelung des Bodens erhoben. Bäuerliche Verbände beklagten die Vernichtung wertvollen Ackerlandes und Bürgerorganisationen empörten sich über die Verschwendung von Steuergeldern für einen Flughafen, der aus ihrer Sicht völlig überflüssig war.

Um die vorgesehene Fläche von Bewohnern zu leeren, machte der Staat von seinem Erstkaufrecht Gebrauch, wo Höfe aus Altersgründen aufgegeben wurden. Da sich jedoch viele Menschen weigerten, zu verkaufen und wegzugehen, reichte das nicht aus. 2007 gab es einen Aufruf der Bewohnerinnen, La ZAD zu besetzen, im selben Jahr kam es zur ersten Hausbesetzung. Im Jahr 2008 trieb die Regierung das Projekt per Dekret voran, indem sie die Enteignung privaten Landbesitzes möglich machte, den Flughafenbau genehmigte und den transnationalen Konzern Vinci im Rahmen einer Public Private Partnership mit seiner Ausführung beauftragte. Im August 2009 fand bei Notre-Dame-des-Landes ein Klimacamp statt, das zum Ausgangspunkt eines breiten Widerstands wurde, der lokale Bauern und Einwohner ebenso einband wie sozialökologische und autonome Gruppen. Wollte man von einem historischen Vorbild sprechen, so war dies der jahrelange und 1981 letztlich erfolgreiche Kampf gegen den Ausbau eines militärischen Übungsgeländes in der im französischen Zentralmassiv gelegenen Region Larzac, an dem zeitweise bis zu 200.000 Menschen aus aller Welt teilhatten.

Im Gefolge des Klimacamps nahm La ZAD den Charakter eines dauerhaften Protestcamps an, das sich über ein Gelände aus Wald, Wiesen und Feldern von rund 1650 Hektar erstreckt. Im Frühjahr 2011 besetzte eine Gruppe von mehr als tausend Aktivistinnen und Aktivisten, organisiert von der internationalen Organisation Reclaim The Fields (RTF), ein Stück Land in der Zone und wandelte es in eine Gemüsefarm um. Von dort aus griff die Besiedlung der Zone immer weiter um sich, es wurden Hütten und Blockhäuser zum Leben und Arbeiten errichtet. Die Menschen bewirtschafteten das Land, stellten Windräder zur Stromversorgung auf, betrieben Küchen und Bäckereien, richteten eine Bibliothek und ein Piratenradio ein und veranstalteten Workshops, in denen nützliche Kenntnisse über kollektive Selbstversorgung vermittelt wurden. Die Zusammenarbeit zwischen den radikalökologischen Squattern, die im Kampf mit den Behörden auch auf militante Aktionsformen setzten, und den lokalen Flughafengegnerinnen und -gegnern, die eher die politische Intervention bevorzugten, verlief keineswegs spannungsfrei. Die Einheimischen befürchteten eine Kriminalisierung ihres Widerstands durch derartige Aktionen, erschwerend kamen ideologische Differenzen etwa zum Thema Tierhaltung, Fleischverzehr und Landwirtschaft hinzu.

Nachdem Behörden- und Regierungsvertreter eingeschränkte Zugriffsgewalt auf die Zone beklagt hatten, die in ihren Augen eine Sphäre anarchischer Rechtlosigkeit war, endete ein zwei Jahre anhaltender Zustand relativer Friedfertigkeit. Am 16. Oktober 2012 rückten im Rahmen der "Operation Caesar" rund 1200 Polizeibeamte mit Tränengas, Schockgranaten, Bulldozern und Räumgerät an, um die ZAD einzunehmen und alles zu zerstören, was dort aufgebaut worden war. Trotz erbitterten Widerstands der Zadistas, die Straßenblockaden errichtet hatten, wurden innerhalb von zwei Tagen drei Viertel der rund 30 besetzten Orte in der Zone geräumt. Die Gewaltanwendung der Polizei zog jedoch zahlreiche Solidaritätsaktionen in ganz Frankreich nach sich, die gegen den Baukonzern Vinci, dessen privatisierte Autobahnen, aber auch gegen Büros der regierenden Parti Socialiste gerichtet waren. Landesweit bildete sich ein Netzwerk von rund 200 Komitees, die sich an der Mobilisierung des Widerstands beteiligten und Hilfsleistungen aller Art zur Verfügung stellten.

Wie von den Zadistas seit langem für den Fall einer Räumung geplant, nahmen sie wenig später eine Wiederbesetzung in Angriff. Was sie wohl ebenso überraschte wie die Öffentlichkeit war die gewaltige Mobilisierung: Bis zu 40.000 Menschen beteiligten sich am 17. November in einer Massenaktion daran, neue Gebäude auf einem ausgesuchten Platz zu errichten. Die öffentlich angekündigte Demonstration, die eine Länge von fünf Kilometern erreichte, brachte in Menschenketten die Materialien von den Hängern der Traktoren bis zu ihrem Zielort, wo binnen zwei Tagen ein Ort als Kern der weiteren Wiederbesetzung geschaffen wurde. Als ein neues Element des Widerstands waren Bauern mit ihren Traktoren hinzugekommen, die in Frankreich in der Bevölkerung sehr viel angesehener als in Deutschland sind und wesentlich radikaler zu Werke gehen.

Am 23. November kam es zu einem Großangriff der Polizei auf die erneut besetzten Gebiete, doch zog sie sich letztendlich wieder zurück und beschränkte sich darauf, den Zugang zur Zone durch Straßensperren und Personenkontrollen zu regulieren. Sie war brutal aufgetreten und hatte neben Tränengas und Schockgranaten auch sogenannte Gummigeschosse eingesetzt, was über hundert Verletzte auf seiten der Zadistas zur Folge hatte. Es kam zu mindestens 80 Verhaftungen, bei denen Schnellgerichte Geld- und Bewährungsstrafen verhängten, die mit der Auflage verbunden waren, die fünf umliegenden Gemeinden nicht mehr zu betreten. Mehrere Personen wurden zu Haftstrafen verurteilt. Dennoch schweißte diese Polizeioperation die Besetzerinnen und Besetzer eher noch stärker zusammen, was dazu führte, die Kontroverse über die Aktionsformen zunächst beizulegen. Zugleich nahm die Unterstützung durch sozialökologische Gruppen in ganz Frankreich zu, und Mitte Dezember trafen sich bis zu 400 Vertreter der Unterstützungskomitees in Notre-Dame-des-Landes, um zu beraten, wie die Verhinderung des Flughafenbaus künftig organisiert werden soll.


Fronttransparent an einem Traktor - Foto: © 2013 by Schattenblick

Bäuerinnen und Squatterinnen vereint gegen das Kapital
Foto: © 2013 by Schattenblick

Bedrohung von außen, Divergenzen im Inneren

Nachdem die gewaltsame Räumung mißlungen war und die öffentliche Meinung umzuschlagen drohte, verlegte sich die Regierung in Paris auf eine Doppelstrategie. Sie gab weitere Räumungsversuche vorerst auf und kündigte die Einrichtung einer Dialogkommission an, die offensichtlich der Absicht geschuldet war, den Widerstand zu spalten und zu vereinnahmen. Wie die deutsche Aktivistin aus aktueller Sicht weiter berichtete, scheint die damals in Stellung gebrachte Strategie inzwischen in gewissem Umfang zu greifen. Anfang 2016 war der Enteignungsprozeß abgeschlossen, so daß alle alteingesessenen Bewohner in der ZAD räumbar wurden. Dadurch existierten auch die Flächen nicht mehr, die bis dahin legal begehbar und bebaubar waren. Präsident Macron ernannte drei Mediatoren, die seit Anfang Juni 2017 Gespräche mit Befürwortern und Gegnern des Flughafenbaus führen. Am Ende sollen sie einen Bericht mit einer Empfehlung schreiben, worauf der Präsident die Entscheidung fällt. Während die ZAD und ein Teil des bäuerlichen Widerstands die Mediation ablehnen, wird sie vom bürgerlichen Flügel angenommen. Diese Leute seien inzwischen fast zu hundert Prozent vom letztendlichen Erfolg des Widerstands überzeugt.

Die Aussicht, das Projekt könnte nach all den Jahren des Kampfes tatsächlich begraben werden, rufe neben Genugtuung auch langgehegte Befürchtungen auf den Plan, so die Aktivistin. Da ein Großteil der Zadistas, die sich illegal niedergelassen, gebaut und Landwirtschaft betrieben haben, bleiben wolle, stünden neue Kämpfe bevor. Die Regierung würde dann mit Sicherheit versuchen, die Menschen aus der Zone zu vertreiben, um deren Lebensweise ein Ende zu setzen. Zur erfolgreichen Wiederbesetzung im Jahr 2012 hätten ihres Erachtens alle Elemente beigetragen: Der bäuerliche Widerstand ebenso wie der Barrikadenbau von Autonomen. Die Sitzblockaden aus den umliegenden Dörfern ebenso wie die rund 200 Solikomitees in ganz Frankreich und darüber hinaus, und ebenso Menschen, die einfach nur vorbeigekommen seien und Essen gebracht hätten. Die damaligen Barrikadenkämpfe hätten allerdings auch Leute angezogen, die sich für maskuline Guerillakämpfer hielten. Im folgenden halben Jahr sei es zu schrecklichen Vorkommnissen wie Vergewaltigungen, homophoben Angriffen und Körperverletzungen gekommen, bis es schließlich gelang, La ZAD neu zu organisieren.

Hätten 2012 etwa 70 bis 80 Leute permanent dort gelebt, seien es heute 200 bis 300 Menschen, wovon ein Kern von schätzungsweise 150 Zadistas ständig präsent sei und dort sein Zuhause habe. Das breit gefächerte Spektrum vielfältiger politischer Ansichten gelte natürlich auch und gerade für die Zeit nach einer möglichen Einstellung des Großprojekts. Der bürgerliche Widerstand kämpfe mit drei Säulen gegen den Flughafenbau: Demonstrationen und Protestaktionen, Prozesse gegen das Projekt auf juristischer Ebene und Einflußnahme auf politische Parteien. In La ZAD selbst bahne sich angesichts wachsender Ungewißheit über die weitere Entwicklung eine erneute Konfliktphase an. Einige Leute seien der festen Überzeugung, sie hätten 2012 die Polizei mit ihren 200 autonomen Freunden allein in die Flucht geschlagen. Ihrer Meinung nach komme es ausschließlich auf diese Stärke an, weshalb man über eine Legalisierung nicht nachzudenken brauche, zumal das ohnehin nur politische Feinde machten. Diese Leute griffen verstärkt zu provozierenden Aktionen, die von anderen als Sabotageakte an der Gesamtbewegung aufgefaßt würden und insbesondere die Gräben zu Bürgern und Bäuerinnen vertieften. Inzwischen sei die Frustration derart gewachsen, daß viele der Auffassung seien, mit solchen Leuten könne man ohnehin nichts mehr anfangen.

Es träfen Welten aufeinander, und das gelte nicht nur für den Dissenz zwischen stereotyp linksautonomen Leuten und den Bürgern, die nur keinen Flughafen vor ihrer Haustür haben wollen. Auch innerhalb der ZAD, die sich eine vielfältige Infrastruktur mit unterschiedlichen Kollektiven, Projekten und Plena, mit Landwirtschaft, Reparaturen, Bäckerei, Kino und Tonstudio, mit Webseite, Radio, Wochenzeitung und vielem mehr geschaffen habe, zeichneten sich divergierende Tendenzen ab. So dränge eine Gruppe, die Zone noch weiter zu öffnen, Events und einen Tag der offenen Tür zu veranstalten, wo dann die Leute wie in einem Museum vorbeikommen, so die Aktivistin zweifelnd. Inzwischen gebe es sogar ein Tourismusbüro. Wiederum sei bedenkenswert, inwiefern man von den Erfahrungen im Larzac lernen könne. Dort habe man damals eine juristische Struktur geschaffen und ein dreijähriges Moratorium erwirkt. Sei ein gewisser Legalisierungsprozeß auch in La ZAD vorstellbar, um einen Schutzschild gegenüber dem Staat zu schaffen, so daß die Zone weiterexistieren könne wie bisher? Andererseits dürfe das nicht auf ein vollständig pazifiziertes Ökodorf hinauslaufen, das für sie politisch keinen Sinn mache, so die Aktivistin.

Mediation kontra kollektive Selbstorganisation

Wie die jahrzehntelangen Bestrebungen wechselnder französischer Regierungen in dieser Region zeigen, haben die Betreiber von Großprojekten wie dem Flughafen bei Notre-Dame-des-Landes, der Hochgeschwindigkeitstrasse von Lyon nach Turin durch das Susatal in den Alpen, dem Staudamm bei Sivens im Departement Tarn in Südfrankreich oder dem Tourismusprojekt in Roybon zumeist einen langen Atem. Sie sind einerseits bereit, berüchtigte Sonderpolizeien des Innenministeriums gewaltsam räumen zu lassen, doch geschmeidig genug, vorgeblich einzulenken, um Strategien der Zersetzung und Aufweichung zu fahren. Wohl wissend, daß massiver Druck unter Umständen dazu führt, daß sich die gegnerischen Reihen um so enger schließen, spielen sie im Zweifelsfall auch mit den gezinkten Karten eines Mediationsverfahrens. Wie das Beispiel Stuttgart 21 gezeigt hat, gibt es zwischen der Durchsetzung eines Großprojekts und dessen Verhinderung keinen Kompromiß, der diesen Namen verdient. Aufgabe der Mediation ist es also, gesprächsbereite Protagonisten des Widerstands über den Tisch zu ziehen, insbesondere aber die Bewegung entlang der Bruchlinien unterschiedlicher Positionen und Kampfbereitschaft zu fragmentieren und entscheidend zu schwächen.

Im langjährigen Widerstand gegen ein Großprojekt des expandierenden Verwertungsregimes und dessen Flankenschutz durch die Staatsgewalt kommt dieser kollektiven Selbstorganisation eine über die Verhinderung des Flughafens hinausweisende Bedeutung zu. Das neoliberale Dogma von der Alternativlosigkeit einer auf Überlebenskonkurrenz basierenden Produktionsweise wird hier ebenso bestritten wie die ungezügelte Ausplünderung und ökologische Zerstörung. Der Mensch als fremdbestimmter Arbeiter und denkkontrollierter Untertan, metropolitaner Monade und normierter Konsument, muß nicht das Ende der Geschichte sein. Daß "ZAD" ein Modewort geworden ist und sogar im Wörterbuch steht, heißt noch lange nicht, daß die postkapitalistische Utopie damit gezähmt und gezügelt sei.


Fußnoten:


[1] https://zad.nadir.org/

[2] Siehe dazu:
BERICHT/005: La ZAD ... wenn Welten aufeinanderprallen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/redakt/brbe0005.html

BERICHT/006: La ZAD - Menschenkette (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/redakt/brbe0006.html

BERICHT/014: La ZAD - Feldfrucht gegen Staatsgewalt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0014.html

BERICHT/021: La ZAD - Die schlafende Front (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0021.html

INTERVIEW/010: La ZAD - Bündnisse und Differenzen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0010.html

INTERVIEW/011: La ZAD - zwei Welten, ein Grund (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0011.html

INTERVIEW/012: La ZAD - Widerstand etabliert (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0012.html

INTERVIEW/013: La ZAD - Rechtsempfinden, Rebellion und Horizonte (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0013.html

INTERVIEW/014: La ZAD - Rückbesinnung vorwärts (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0014.html

INTERVIEW/017: La ZAD - Flickwerk solide (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0017.html

INTERVIEW/018: La ZAD - Besinnung und gesundes Leben (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0018.html

INTERVIEW/021: La ZAD - Lebenslust und Widerstand (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0021.html


Berichte und Interviews zum Klimacamp 2017 im Rheinland im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BUERGER → REPORT

BERICHT/088: Klimacamp im Rheinland - öko- und sozialkritisch ... (SB)
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BERICHT/090: Klimacamp im Rheinland - Nachwuchs in Aktion ... (SB)
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13. September 2017


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