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BERICHT/104: Klimagegengipfel - Kohleabbautrend in Australien ... (SB)



Besucher gehen auf den Eingang eines sich als blauer Planet präsentierenden Kugelzelts der Bundesregierung in den Bonner Rheinauen zu, in dem im Stundenrhythmus bis zu 240 Personen eine lehrbuchartige Show zum Klimawandel gezeigt wurde. Ringförmig um das Zelt herum wurde, ebenfalls zeltartig überdacht, eine Ausstellung u.a. über Klimaschutzaktivitäten der Regierung gezeigt - Foto: © 2017 by Schattenblick Im Innern des Kugelzelts sitzt das teils junge Publikum in mehreren Stuhlreihen im Kreis um eine etwa zwei Meter große, in Überkopfhöhe zentral aufgehängte Kugel, die als pädagogische Projektsfläche dient, herum. Im Rücken des Publikums sind zwei (von insgesamt vier) mehrere Quadratmeter große Bildschirme zu erkennen, auf denen ebenfalls Informationen zum Klimawandel präsentiert werden - Foto: © 2017 by Schattenblick

Kein Land verbrennt mehr Braunkohle als die Bundesrepublik Deutschland, die sich als technische Ausrichterin der COP 23 in Bonn unverdrossen als "Good Guy" im Kampf gegen den Klimawandel ins rechte Licht zu setzen versucht hat.
Fotos: © 2017 by Schattenblick

In den letzten Jahren haben Kohleunternehmen verschiedener Länder Konkurs angemeldet, Kohleminen wurden geschlossen, und Pläne zum Aufschluß neuer Minen verschwanden wieder in den Schubladen. Daß die Kohle "Klimakiller" Nummer eins ist, darüber herrscht inzwischen ein breiter Konsens bis in höchste Regierungskreise hinein. Banken, Staatsfonds und andere Investoren ziehen ihre Einlagen aus der Kohlewirtschaft heraus und haben einen teils massiven Wertverlust von Unternehmen ausgelöst.

Jedoch wird in manchen Ländern der Ausstieg aus der Kohleverstromung entweder auf viele Jahre hinausgezögert - Deutschland ist dafür ein Beispiel - oder es werden wie in Bangladesch und der Türkei neue Kohlekraftwerke gebaut, teilweise mit Unterstützung transnationaler Geldgeber und ausländischer Regierungen, die selber eine andere Kohlepolitik betreiben. An diesen Konflikten setzen Umweltschutz- und andere zivilgesellschaftliche Organisationen an. Sie sprechen von einem "Coal End Game", einem Endspiel um Kohle, das es nun zu führen gelte und für das man sich international vernetzen will, um seine Durchschlagskraft gegen die Kohlewirtschaft in den jeweiligen Ländern zu erhöhen.

"Coal End Game" lautete auch der Titel eines Workshops, der am 7. November auf dem People's Climate Summit, dem Klimagegengipfel zur offiziellen Weltklimakonferenz COP 23 in Bonn, veranstaltet wurde. Dort referierte Bärbel Höhn, ehemalige Umweltministerin Nordrhein-Westfalens, über die Kohlepolitik der Partei der Grünen, Prof. Anu Muhammad über den Widerstand gegen das geplante Rampal-Kohlekraftwerk in Bangladesch, Caroline Ntaopane über die Kohlewirtschaft in ihrem Heimatland Südafrika, Soumya Dutta über die indische Kohlepolitik und Roderick Campbell über die Situation beim Kohleexportweltmeister Australien.

Australien setzt noch immer massiv auf den Kohleabbau, sowohl um den heimischen Energiebedarf zu stillen, als auch um durch den Export der Kohle Devisen zu erwirtschaften. Noch vor wenigen Jahren hätte man bedenkenlos behaupten können, daß die australische Regierung voll und ganz auf diesen Energieträger setzt, inzwischen spürt man aber auch in Downunder, daß sich der Wind dreht. Dennoch ist Roderick Campbell von der Organisation The Australian Institute zuzustimmen, wenn er sagt, daß Australien nach wie vor der "Bad Guy", der böse Bursche, der UN-Klimaschutzverhandlungen ist.

Der australische Ökonom richtete in seinem Vortrag das Augenmerk auch auf die indische Adani Group, deren börsennotierter Ableger Adani Enterprises Ltd. im Galilee-Becken des nordöstlichen australischen Bundesstaats Queensland eine neue Kohlelagerstätte aufschließen und den Rohstoff nach Indien ausführen will. 60 Jahre lang könnten jährlich bis zu 60 Mio. Tonnen dieses Brennstoffs aus der Carmichael-Mine gefördert werden. Wenn Adani Erfolg hat, werden voraussichtlich weitere Unternehmen folgen. Auf rund 330 Mio. Tonnen wird die potentielle Jahresproduktion dieser riesigen Kohlelagerstätte geschätzt.

Durch das Verbrennen der Kohle aus der Carmichael-Mine, aufgrund deren Beschaffenheit besonders viel Asche produziert würde, würden pro Jahr bis zu 120 Millionen Tonnen des Treibhausgases CO2 emittiert. Das entspricht in etwa der Menge an Treibhausgasen, um die Australien seine Emissionen zwischen 2020 und 2030 reduzieren will. Die Kohle würde über eine noch zu bauende Güterzugstrecke zum Verladeterminal Abbot Point gebracht, das eigens zu diesem Zweck ausgebaut werden müßte. Man kann davon ausgehen, daß zum Abtransport der Kohle rund 500 Kohlefrachter zusätzlich durch das als Weltnaturerbe ausgewiesene Great Barrier Riff fahren und diesem bedrohten, einzigartigen Lebensraum für tropische Meeresbewohner den endgültigen Todesstoß versetzen werden. (Nachdem die Ozeane sowieso schon in Folge vor allem der CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas versauern, so daß die Korallen allmählich absterben.)

Die Pläne werden ausgerechnet in einer Zeit gefaßt, in der die Politik feststelle, es müsse weniger Kohle verbraucht werden, und die indische Regierung behaupte, weniger Kohle importieren zu wollen, kritisierte Campbell das Projekt und berichtete, daß sich die meisten Australier gar nicht für Kohlesubventionen aussprechen, sondern erneuerbare Energien unterstützen. Aber viele Einwohner seien "symbolisch" mit der Kohleindustrie verbunden.

Vor einigen Jahren hat Campbell eine Wirtschaftlichkeitsstudie über ein Erweiterungsprojekt zu einer bereits bestehenden Kohlemine überprüft und ist dabei auf haarsträubende Übertreibungen beispielsweise hinsichtlich der Menge an Arbeitsplätzen gestoßen, die hierdurch geschaffen werden sollten. Auch der Preis pro Tonne Kohle sei damals als viel zu hoch angenommen worden. Schlußendlich war es zu einem Gerichtsverfahren gegen das Bergbauunternehmen Rio Tinto gekommen, welches das Australia Institute und Campbell für sich entschieden.

Australiens Treibhausgasemissionen sinken nicht, sie steigen. Die Regierung subventioniert weiterhin neue Kohleminen auf Staats- wie auf Bundesebene. Warum ist die Kohleindustrie so mächtig?, fragt Campbell und verwirft die Vorstellung, daß es der Regierung um Wirtschaftlichkeit geht. Sie erhalte zwar Steuereinnahmen aus der Kohleindustrie, aber die seien nicht sonderlich hoch. Bei Meinungsumfragen sei festgestellt worden, daß viele Menschen glaubten, die Kohlewirtschaft brächte rund 30 Prozent des Staatshaushalts ein. "Das ist ein Irrtum. Selbst in den Kohle-Bundesstaaten sind es nur zwei Prozent", so Campbell. Andere Industriezweige Australiens sorgten mit fast acht Prozent für sehr viel höhere Steuereinnahmen.

Die Unterstützung der Kohlewirtschaft durch die Politik versucht Campbell ebenfalls mit "Symbolismus" zu erklären. Scheitere die Kohle, verlören die großen Parteien, Gewerkschaften und Geschäftsleute ihr Gesicht. "Sie stehen dumm da. Es sähe so aus, als seien sie von Bauernvereinigungen, zufällig involvierten Ökonomen und Ökogruppen bezwungen worden."

Ob Symbolismus zur Erklärung politischen Handelns ausreicht, wie es hier nahegelegt wird, und diese weit genug greift, um Motive, Absichten und Ziele einer kohlefreundlichen Regierung zu erfassen und selbige schließlich zur Korrektur in Richtung einer unter dem Titel "Klimagerechtigkeit" auf dem People's Climate Summit breit diskutierten zukünftigen menschlichen Gemeinschaft zu bewegen, ist fraglich. Bei aller Symbolhaftigkeit, auf die politische Entscheidungsträger in Downunder so wenig verzichten wie hierzulande, läßt sich konstatieren, daß die Ökonomie nicht als Gegenentwurf zu Symbolismus taugt, da ökonomische Werte ausgesprochen viel mit Symbolen zu tun haben. Aus gutem Grund wird in der Wirtschaftslehre zwischen Tausch- und Gebrauchswert unterschieden, und schließlich ist das von Alters her verwendete Währungsmittel Gold grundsätzlich ein Symbol, das - wie auch Währungen im allgemeinen - bestimmte Werte repräsentiert.

Gold ziert wohl deshalb Herrscherhäupter, weil für dieses Metall von vielen Menschen viel Arbeit geleistet wird und somit viel Blut und Schweiß geflossen sind, um es aus dem Berg zu holen und zu verarbeiten. Was also könnte Herrschaft trefflicher symbolisieren und auch stabilisieren als die in Form der Goldgewinnung vernutzten Produktivkräfte, das manifestierte Elend und die Überlebensnot zahlreicher ausgebeuteter Menschen?

In diesem Sinne hat Kohle zwar nicht den gleich hohen herrschaftstauglichen Wert wie Gold, aber auch über den Abbau dieses Energieträgers läßt sich Herrschaft vermitteln: Menschen werden dazu gebracht, für andere den Rohstoff unter Gefahr für Leib und Leben aus dem Berg zu kratzen oder sich im Tagebau an der radikalsten Form von Landgrabbing zu beteiligen, der großflächigen Vernichtung ganzer Landschaften. Darüber hinaus zählt Kohle zu den zentralistischen Energieträgern, deren Förderung, Verteilung und Gebrauch in der Regel einen administrativen Überbau einfordern. Allein das wären Gründe, warum eine Regierung jenseits von Wirtschaftlichkeitserwägungen an der Kohleverstromung festhält.

Nachtrag: Schon vor längerem hatten chinesische und australische Banken erklärt, daß sie den Aufschluß der Carmichael-Kohlemine von Adani Enterprises nicht finanzieren werden. Anfang Dezember 2017, wenige Wochen nach dem People's Climate Summit, hat die Regierung des australischen Bundesstaats Queensland eine Kehrtwende vollzogen und erklärt, daß sie die besagte Mine nicht mehr subventionieren wird. Daraufhin hat das Bergbauunternehmen Downer, der australische Vertragspartner Adanis, die Vereinbarung im Wert von zwei Milliarden Dollar mit dem indischen Konzern aufgekündigt und sich aus dem Projekt zurückgezogen. Vor wenigen Tagen teilte Adani seine Absicht mit, die Mine nun in Eigenregie zu betreiben. Das könnte eine Schutzbehauptung sein, denn möglicherweise kann das hochverschuldete Unternehmen das Carmichael-Projekt nicht aufgeben, ohne insgesamt ins Trudeln zu geraten. Zumal Adani Enterprises vielleicht ausreichend Erfahrung im Rohstoffhandel und in der Logistik, nicht aber im Bergbau besitzt. Carmichael könnte der Happen sein, an dem sich selbst ein milliardenschweres Unternehmen verschluckt. Die australische Kohlewirtschaft insgesamt würde daran nicht zerbrechen. Solange die Regierung nicht umsteuert, bleibt Australien der "Bad Guy" des Klimaschutzes.


Auf einer der vier Projektsflächen in der Zeltkugel der Bundesregierung zur COP 23 in Bonn wird ein kreisrunder Ausschnitt eines Offshore-Windpark gezeigt, darunter die Schrift 'The end game' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Auch die Bundesregierung spricht vom "End Game", hat sich allerdings für ihren Kohleausstieg eine sehr, sehr lange Verlängerung ausbedungen, obgleich einige Bewohner pazifischer Inselstaaten aufgrund des steigenden Meeresspiegels und heftigerer Stürme bereits heute ihre Heimat verlassen müssen.
Foto: © 2017 by Schattenblick


Bisher im Schattenblick unter BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT zum People's Climate Summit (PCS) in Bonn, mit dem kategorischen Titel Klimagegengipfel versehen, erschienen:

BERICHT/097: Klimagegengipfel - Demo der Gemäßigten ... (SB)
BERICHT/101: Klimagegengipfel - Kernenergie schon gar nicht ... (SB)
BERICHT/102: Klimagegengipfel - Erdgas, keine Option ... (SB)
BERICHT/103: Klimagegengipfel - gemeinsam marschieren, getrennt schlagen ... (SB)

INTERVIEW/135: Klimagegengipfel - Kafkaeske Weisheiten ...     Uwe Hiksch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/136: Klimagegengipfel - Störfall Wirtschaft und Energie ...     Dipti Bathnagar im Gespräch (SB)
INTERVIEW/139: Klimagegengipfel - nur noch wenig Zeit ...     Franziska Buch im Gespräch (SB)
INTERVIEW/140: Klimagegengipfel - agrarindustrielle Fleischproduktion abschaffen ...     Matthias Ebner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/142: Klimagegengipfel - Eskalation und Gegenwehr ...     Jonas Baliani (Ende Gelände) im Gespräch (SB)
INTERVIEW/143: Klimagegengipfel - wider besseren Wissens ...     Makereta Waqavonovono im Gespräch (SB)
INTERVIEW/144: Klimagegengipfel - die auf der Strecke bleiben ...     Barbara Unmüßig im Gespräch (SB)
INTERVIEW/145: Klimagegengipfel - integrative Linksdiskussion ...     Dagmar Enkelmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/146: Klimagegengipfel - Antikernkraft und der lange Marsch ...     Don't-Nuke-the-Climate!-Aktive im Gespräch (SB)
INTERVIEW/147: Klimagegengipfel - umgelastet ...     Titi Soentoro im Gespräch (SB)
INTERVIEW/148: Klimagegengipfel - Flucht, Gewalt und Frauenelend ...     Samantha Hargreaves im Gespräch (SB)
INTERVIEW/149: Klimagegengipfel - demokratische Ergebnisnot ...     Sean Sweeney im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimagegengipfel - Gas geordert, Stopp gefordert ...     Frida Kieninger und Andy Gheorghiu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimagegengipfel - Front aller Orten ...     Nataanii Means und Rafael Gonzales im Gespräch (SB)
INTERVIEW/152: Klimagegengipfel - Demokratie nur von unten ...     Magdalena Heuwieser im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimagegengipfel - Laßt euch nicht täuschen ...     Doris Linzmeier im Gespräch (SB)
INTERVIEW/154: Klimagegengipfel - Selbstverteidigung ...     Tetet Lauron im Gespräch (SB)
INTERVIEW/155: Klimagegengipfel - gestutzte Sozial- und Umweltrechte ...     Dr. Roberto Ferdinand im Gespräch (SB)
INTERVIEW/156: Klimagegengipfel - milch- und fleischemittierte Heimlichkeit ...     Shefali Sharma im Gespräch (SB)
INTERVIEW/157: Klimagegengipfel - Kolonie der Finalstrategien ...     Jesús Vásquez im Gespräch (SB)
INTERVIEW/158: Klimagegengipfel - auf der eigenen Scholle stehen ...     Aktivist Flip im Gespräch (SB)
INTERVIEW/159: Klimagegengipfel - zwei Beine für jeden Schritt ...     Lydinyda Nacpil im Gespräch (SB)
INTERVIEW/160: Klimagegengipfel - Fraß und Öde vor die Tür gekehrt ...     Peter Donatus im Gespräch (SB)
INTERVIEW/161: Klimagegengipfel - schöpfen mit Bedacht ...     Tom Goldtooth im Gespräch (SB)
INTERVIEW/162: Klimagegengipfel - Der Rechtsweg zur Not ...     Carroll Muffett im Gespräch (SB)
INTERVIEW/163: Klimagegengipfel - zum Leben und zum Kämpfen Zeit ...     Stephan Krull im Gespräch (SB)
INTERVIEW/164: Klimagegengipfel - es liegt auf der Strecke ...     "SustainaClaus" Philip McMaster im Gespräch (SB) INTERVIEW/165: Klimagegengipfel - Stauseesubventionen und wenig Chancen ...     Theiva Lingam im Gespräch (SB)
INTERVIEW/166: Klimagegengipfel - Kraftwerksschmutz killt Mangrovenwaldschutz ...     Prof. Anu Muhammad im Gespräch (SB)


21. Dezember 2017


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