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BERICHT/106: Naturbegriffe - unzureichend im Blick ... (SB)


Wir stehen der Endkrise des patriarchalischen Zivilisationsmodells gegenüber, das sich auf die Unterwerfung und Zerstörung von Menschen und Natur stützt, ein Prozess, der sich mit der industriellen Revolution beschleunigte.

Das kapitalistische System hat uns eine Denkweise der Konkurrenz, des Fortschritts und des Wachstums ohne Grenzen aufgezwungen. Dieses Produktions- und Konsumregime strebt nach schrankenlosem Profit, es trennt den Menschen von der Natur und folgt einer Logik der Herrschaft über diese, es verwandelt alles in Ware: das Wasser, den Boden, die menschlichen Gene, die überlieferten Kulturen, die Biodiversität, die Gerechtigkeit, die Ethik, die Rechte der Völker, selbst den Tod und das Leben.
Abkommen der Völker [1]


Als erster Fall für schwerwiegende Verstöße gegen die Universal Declaration of the Rights of Mother Earth (UDRME) beriet das International Rights of Nature Tribunal über den Klimawandel hinsichtlich falscher Energielösungen. Tadzio Müller, bei der Rosa Luxemburg Stiftung tätiger langjähriger Klimaaktivist, klagte die Industrie für fossile Treibstoffe und Atomenergie dreier Vergehen an. Der wissentlichen Verursachung des Klimawandels zugunsten ihrer Profite, des aktiven Verhinderns der Entstehung und Verbreitung des Wissens über den Klimawandel und des aktiven Verhinderns, daß richtige Lösungen zur Überwindung falscher Lösungen ergriffen werden.

Zur Beweisführung verwies der auf den Zustand des Planeten vor 1750. Dort habe sich der Zustand der Erde noch als selbstreproduzierendes System in relativer Stabilität dargestellt. Nachdem im Vereinigten Königreich mit der massenhaften Verbrennung fossiler Energieträger begonnen wurde, waren erste Voraussetzungen für den Klimawandel geschaffen, die der schwedische Wissenschaftler Svante Arrhenius im späten 19. Jahrhundert mit seiner Theorie zum Treibhauseffekt thereotisch untermauerte. In den 1950er Jahren lagen erste Beweise für die vom Klimawandel ausgehende Bedrohung vor. Einer der Hauptprofiteure der Ausbeutung fossiler Energieträger, der Konzern Exxon, wußte spätestens 1981 von den zerstörerischen Folgen dieser Geschäftspraxis für die Natursysteme und wird damit des Verstoßes gegen die UDRME angeklagt.


Am Rednerpult auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Tadzio Müller als Experte vor das Tribunal geladen
Foto: © 2017 by Schattenblick

Er habe sich der aktiven Unterdrückung der Entstehung und Verbreitung des entsprechenden Wissens schuldig gemacht, habe die Leugner des Klimawandels finanziell unterstützt und sichergestellt, daß in den Medien Zweifel an der Existenz des Klimawandels gesät wurden. Hier im Rheinland sei es fast unmöglich zu entscheiden, wo der Einfluß der Energiekonzerne aufhöre und der des Staates beginne, so der Klimaaktivist, der im Rahmen von Ende Gelände gegen die Braunkohletagebaue in der Region kämpft, mit einem analogen Beispiel für die Politik angloamerikanischer Energiekonzerne in der Bundesrepublik.

Ein gängiger Einwand, mit dem die Verantwortung der Industriestaaten des Nordens für die Entwicklung des Klimawandels bestritten wird, macht geltend, daß, wer im späten 18. Jahrhundert mit der massenhaften Verbrennung fossiler Brennstoffe begonnen habe, vom Klimawandel nichts wissen haben können. Dem hielt der Referent entgegen, daß es immer traditionelles Wissen darüber gab, daß die Natur nicht unbegrenzt ausgebeutet werden könne. Indem dies ignoriert wurde, könne seitdem jeder, der das Klimasystem willkürlich zerstört hat, für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden.

Der Klimawandel sei die größte Rechtskrise der Welt, denn durch ihn seien schon jetzt Millionen von Menschen von ihrem Land vertrieben worden. Die Ökosysteme brechen überall in der Welt zusammen und es besteht die Gefahr, daß das Klimasystem von einem stabilen in einen instabilen Zustand übergeht. Letzteres könne etwa zur Folge haben, daß eine wesentliche Voraussetzung der zivilisatorischen Entwicklung des Menschen, die durch die regelmäßige Abfolge der Jahreszeiten ermöglichte Landwirtschaft, nicht mehr gegeben wäre. Eine solche Instabilität stelle das Leben in der Welt in Frage, und das Problem werde auch nicht durch falsche Energielösungen wie Fracking oder ein Comeback der Atomindustrie gelöst.


Am Rednerpult auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Ben Beachy - Anwalt der ökologisch bewegten US-Bevölkerung
Foto: © 2017 by Schattenblick


Die US-Gesellschaft ist besser als ihr Ruf

Nach einem auf spanisch gehaltenen Vortrag des Anti-Fracking-Aktivisten Enrique Viale über die zerstörerischen Folgen dieser Form der Ressourcenausbeutung in Argentinien betritt der US-amerikanische Klimaaktivist Ben Beachy das Rednerpult. Bei der traditionsreichen Umweltschutzorganisation Sierra Club für die ökologische Kritik an Handelsabkommen zuständig, hält er, anhand von Umfragedaten, ein Plädoyer, das den Eindruck widerlegen soll, die Klimawandelleugnung des US-Präsidenten sei repräsentativ für das Gros seiner Bevölkerung. Zugleich zieht er eine desaströse Bilanz für die Klimapolitik Washingtons.

So befürchten zwei Drittel der US-BürgerInnen, vom Klimawandel persönlich in Mitleidenschaft gezogen zu werden, mehr als 80 Prozent sind für den Ausbau von Solar- und Windenergie, und selbst 75 Prozent der TrumpwählerInnen halten den Umstieg auf erneuerbare Energie für wünschenswert. Die Mehrheit der US-BürgerInnen ist für die Einstellung der Offshore-Förderung von Öl und Gas sowie gegen die Ausweitung der Kohle-, Atom- und Frackingindustrie.

Zwar habe die Windkraft seit 2010 über 140 Prozent zugelegt und Solarenergie verzeichne sogar ein noch größeres Wachstum, doch gehe das alles von einem niedrigen Niveau aus. Eine relevante Zunahme verzeichne die Gasförderung, die Wind- und Solarenergie inzwischen überholt habe. Seit 2010 habe der Kohlestrom um 33 Prozent abgenommen, doch zwei Drittel der dadurch entstandenen Lücke werde von Gas gefüllt und nur ein Drittel von Wind- und Sonnenenergie. Bei einem Energiemix in der Stromerzeugung der USA von 30 Prozent Kohle, 34 Prozent Gas, 20 Prozent Atom und 7 Prozent erneuerbare Energien sei Kohle doppelt so schnell von Gas als von den Erneuerbaren ersetzt worden.

Seit 2010 steige zudem der Verbrauch fossiler Treibstoffe für den motorisierten Straßenverkehr, und der Export von Öl und Gas durch das Wachstum der Fracking- und Teersandförderung habe sich seitdem verdoppelt. Zwei Drittel der Gasförderung in den Vereinigten Staaten basiere auf Fracking, während die Produktion nicht gefrackten Gases heute weniger als die Hälfte der im Jahr 2000 erzeugten Menge betrage. Seit diesem Jahr habe die Gasproduktion wegen des Fracking um 40 Prozent zugenommen, und diese ökologisch besonders zerstörerische, Atemluft und Trinkwasser vergiftende Form fossiler Ressourcenausbeutung zeichnet mittlerweile für die Hälfte der Ölproduktion in den Vereinigten Staaten verantwortlich. So sei die Förderung nichtgefrackten Öls seit 2000 zurückgegangen, aber die Förderleistung insgesamt sei im gleichen Zeitraum durch Fracking um 60 Prozent gestiegen.

Die besonders klimaschädliche Extraktion der Teersande findet vor allem in Kanada statt, von wo aus ein großer Teil der dort geförderten Teersandöle in die USA importiert werden. Die dabei verursachten Zerstörungen betreffen unmittelbar das Land, auf dem die Extraktion stattfindet, erstrecken sich aber auch durch das Pipelinesystem, das bis an die Grenze Mexikos reicht und immer wieder Lecks aufweist, über die ganzen USA. Wird das Teersandöl schließlich in den Raffinerien in Texas verarbeitet, dann sind es typischerweise afroamerikanische und hispanische Communities, die in der Nähe dieser Standorte der fossilen Industrie leben und die asthmaauslösenden Dämpfe einatmen müssen, die von den Raffinerien ausgestoßen werden. Weitere neun Millionen Menschen in den USA leben weniger als eine Meile von einem Fracking-Standort entfernt und sind damit jeden Tag giftigen Stoffen in der Luft und dem Risiko der Wasserkontamination ausgesetzt. Auch hierbei handelt es sich meist um sozial schlechtergestellte und überproportional ethnischen Minderheiten zugehörige Menschen, was die sozialrassistische Stoßrichtung dieser Art von Energieproduktion unterstreicht.

Den Widerspruch, daß die Öffentlichkeit den Verbrauch fossiler Energie zurückfahren will, er aber zugleich immer weiter zunimmt, erklärt Ben Beachy damit, daß die fossile Industrie über erheblichen Einfluß auf die US-Regierung verfüge. Wenn dieser nicht gemindert werde, könne es keinen positiven Beitrag der USA zur Beschränkung des Klimawandels geben. Auch dieses Verhältnis dokumentiert der Referent anhand einiger Zahlen.

So habe die Öl- und Gasindustrie 2010 70 Millionen Dollar an Bewerber für den US-Kongress gegeben, 2016 war dieser Betrag bereits auf 170 Millionen Dollar gestiegen. Auf jeden Dollar, den die KlimaschützerInnen für ihre Sache einsetzen können, kommen 23 Dollar, mit denen die Lobby der Verschmutzer dafür sorgt, daß alles weiter wie bisher vonstatten geht. In diesem Wettbewerb könne die Bewegung für Klimaschutz nicht bestehen, daher sei es keine Überraschung, wer am Schluß in Washington über die Politik entscheidet.

Natürlich ging Ben Beachy auch auf den Chef der Umweltschutzbehörde EPA, Scott Pruitt, ein. Die Besetzung dieses Amtes mit dem ehemaligen Generalstaatswalt von Oklahoma, der in dieser Position 40 mal gegen die EPA klagte, ist sozusagen die personalisierte Antwort Donald Trumps auf den weltweiten Versuch, den Klimawandel wenn schon nicht verhindern zu können, dann doch zumindest ein wenig in seinem Tempo zu bremsen. In seiner Zeit als Generalstaatswalt wurde Pruitt der Einwand einer Ölfirma gegen eine neue Regulation des Frackings vorgelegt. Das Dokument wurde ohne jegliche Veränderung im Text mit seinem Siegel geschmückt und an die EPA gesandt. Seitdem hängt Scott Pruitt der Ruf nach, der "Stenograph der fossilen Industrie" zu sein. Dementsprechend hat er sich als EPA-Chef bislang nur mit Repräsentanten der fossilen Industrie getroffen, während kein Treffen mit irgendeiner sozialen Bewegung oder Institution des Umweltschutzes zustandekam.

Als weiteres Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen bedienen sich die Energiekonzerne der zahlreichen Handelsabkommen, die die Vereinigten Staaten vor allem auf bilateraler Ebene abgeschlossen haben. Von den wenigen hundert Menschen, die bei Aushandlung der Verträge Zugang zu den verhandelten Texten hätten, seien 85 Prozent Unternehmensvertreter. Auch beim inzwischen aufgekündigten multilateralen Freihandelsabkommen TPP haben lediglich Energiekonzerne Einfluß auf den für Energiehandel relevanten Vertragstext genommen, aber kein Vertreter einer Umweltorganisation oder indigenen Gemeinschaft. Das spiegelte sich auch im Ergebnis des finalen Vertrages wieder, der Garantien für umweltverschmutzende Unternehmen aller Art enthielt.

Der auf kommunaler und regionaler Ebene dagegen geleistete Widerstand bedient sich vor allem des Rechtsweges, um für Projekte wie etwa die Pipeline Keystone XL einen Baustopp zu erwirken. Mehr als 150 Bürgermeister in den USA haben für ihre Städten bis 2050 die hundertprozentige Umstellung auf erneuerbare Energien beschlossen. Nach 100 Tagen Trump-Administration im April umringten 200.000 Menschen das Weiße Haus und forderten den US-Präsident auf, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. So machte der Vertreter des Sierra Clubs die großen Schwierigkeiten, vor den die AktivistInnen der Klimaschutzbewegung im Land mit dem pro Kopf größten Ressourcenverbrauch der Erde bei der Durchsetzung ihrer Ziele stehen, auf nachvollziehbare Weise transparent.


Am Rednerpult auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Anti-Akw-Aktivist Reinhard Uhrig
Foto: © 2017 by Schattenblick


Atomenergie ist keine Lösung für den Klimaschutz

Dr. Reinhard Uhrig ist Geschäftsführer der österreichischen Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 und langjähriger Anti-Atom-Aktivist. Er verschafft dem Tribunal einen Überblick über den Stand der atomaren Energieerzeugung und der davon ausgehenden Gefahren. Dabei erwähnt er nicht nur die Zahl 448 aktiver Atomreaktoren in 30 Ländern, sondern nimmt auch die vielen Menschen, die vom Uranbergbau, der Verarbeitung des atomaren Brennstoffes, seinem Transport und von Atomunfällen an jeder Stelle dieser Strecke wie im Atomkraftwerk betroffen sind, in den Blick. Auch er beruft sich wie seine Vorredner auf die inhärenten Rechte der Natur, um die dagegen ausgemachten Verstöße rechtsförmig zu untermauern.

Der aus Uranerz meist in der Nähe einer Uranmine extrahierte atomare Brennstoff wird gemahlen und zu Yellowcake verdichtet. Für ein Kilo dieses Ausgangsstoffes zur Herstellung von Brennelementen muß eine Tonne uranhaltiges Erz gefördert werden, wobei erhebliche Mengen Grundwassers verbraucht werden. Der dabei entstehende Schlamm enthält bis zu 85 Prozent der originären Radioaktivität sowie Schwermetalle, Arsen und andere Chemikalien, die zur Extraktion verwendet werden. Bei Unfällen und Leckagen in der Ranger Mine in Australien, in der im Jahr etwa 1,5 Millionen Tonnen des radioaktiven Schlammes anfallen, wird immer wieder der umliegende Kakadu-Nationalpark kontaminiert, so 2009, als bei einem Dammbruch sechs Millionen Liter radioaktiv kontaminiertes Wasser in seine zu schützende Natur flossen. Das sei nur ein Beispiel von mehreren auf der Welt, wo das Grundwasser in der Nähe von Uranminen radioaktiv verseucht ist, was die Menschen früher oder später dazu zwingt, ihr Land zu verlassen.


Tribunal vor Projektionswand - Foto: © 2017 by Schattenblick

Präsentation des Beweismaterials
Foto: © 2017 by Schattenblick

Beim Betrieb der Atomkraftwerke werden große Mengen an radioaktiven Isotopen in die Umwelt entlassen. Laut einer epidemiologische Studie in Deutschland hat dies zu einer 60prozentigen Zunahme von Krebs und einer 100prozentigen Zunahme an Leukämie bei Kindern geführt, die in einem Fünf-Kilometer-Radius von AKWs leben. Das sei insofern signifikant, weil bei entsprechenden Entwicklungen unter betroffenen Erwachsenen die Atomindustrie zu dem Argument greife, daß es sich um Nebeneffekte von Alkohol oder Tabak handle, was sie bei Kindern nicht können.

Neben der Probleme der atomaren Wiederaufarbeitung und den Atomunfällen in Tschernobyl und Fukushima erwähnte Uhrig auch die ungeheure Halbwertzeit des Plutoniums. Es entsteht in Atomkraftwerken und wird nach der Wiederaufarbeitung in MOX-Brennelementen weiterverwendet. Das überaus giftige und radioaktive Plutonium hat eine Halbwertzeit von 24.110 Jahren. Erst wenn zehn Halbwertzeiten vergangen sind, also 240.000 Jahre, gilt Plutonium insofern als sicher, daß es nur noch giftig ist, aber nicht mehr strahlt. Einen Zeithorizont wie diesen auch nur ansatzweise in den gefährlichen Folgewirkungen eigener Handlungen kontrollieren zu können ist pure Fiktion, was alle Fensterreden von Atomkraftbefürwortern über die Verantwortung für nachkommende Generationen als schlechten Witz erscheinen läßt.

Uhrig fordert nichts geringeres als die Schließung ziviler wie militärischer Atomreaktoren und die vollständig Übernahme der finanziellen Verantwortung für die Beseitigung des strahlenden Nachlasses durch die Energieunternehmen. Sollten dabei einige Firmen bankrott gehen, so gäbe es keine Rechtfertigung, sie zu retten, nachdem sie den Planeten auf diese Weise vergiftet haben. Zugleich warnt der Anti-Akw-Aktivist vor einer Renaissance der Atomkraft, die auch während des COP 23 in Bonn als Lösung für den Klimawandel beworben wird. Das treffe in keiner Weise zu, denn auch die klimaschädliche Wirkung der Atomkraft sei sehr groß, wenn man nur die ganze Kette der dazu erforderlichen Produktionsprozesse in Augenschein nimmt.


Am Rednerpult auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Aktivistin Kashmira Banee für die Frauen der Inselstaaten
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Stellvertretend für Milliarden im Zeugenstand

Als Betroffene tritt die Aktivistin Kashmira Banee von der NGO CARES aus dem Inselstaat Mauritius in den Zeugenstand. Ihr Thema ist die Verantwortung der großen Verschmutzer für den Anstieg des Meeresspiegels, der die Inseln ihres Staates bedroht. Zu diesem Zweck möchte sie die UDRME zu einem machtvollen Instrument entwickeln, das den Kampf der Unsichtbaren sichtbar machen könne und als Stimme für die stimmlosen Inselstaaten fungiere.

Neben einer grundsätzlichen Kritik am Extraktivismus und Anthroprozentrismus, die die Natur auf ein Eigentum reduzierten, das nach Belieben ausgebeutet werden könne, ging sie auf die aggressive Fischerei in der Region von Mauritius ein und die Erschließung der Strände durch die Tourismusindustrie, wodurch bereits einige Zentren von großer Biodiversität vernichtet wurden. Sie plädiert für die Ratifizierung der UDRME durch die Regierung von Mauritius, was jeden in die Lage versetzte, Klage zugunsten des Ökosystems zu erheben. Allerdings versuche die eigene Administration, die sozialökologische Bewegung zu unterdrücken, obwohl sie offiziell den Anschein erweckt, als ginge ihr nichts über den Klimaschutz.


Am Rednerpult auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Bryan Parras zum Widerstand gegen fossile Industrie in der Ölmetropole Houston
Foto: © 2017 by Schattenblick

Zum Abschluß berichtet Bryan Parras von der Organisation TEJAS in Houston, Texas, wie sich der Hurrikan Harvey Ende August auf die Region ausgewirkt hat. Es handelte sich um einen flächenmäßig besonders ausgedehnten Sturm, der erhebliche Wassermengen aus dem Golf von Mexiko über der küstennahen Region der südöstlichen USA abregnen ließ. Da Houston einer der größten Häfen der US-Ostküste ist und wichtiger Verarbeitungs- und Umschlagsort der petrochemischen Industrie, löste Harvey umfassende Leckagen und Kontaminationen in den Raffinierien aus. Der Aktivist klagt deren Betreiber an, nicht genügend Vorkehrungen getroffen zu haben, um die Schäden an der Umwelt bei dem in dieser Region häufigen Eintreffen eines Hurrikans zu mindern. Er lebe seit zwei Jahren in Houston und habe seitdem drei Überflutungen erlebt, ohne daß neue Vorkehrungen zum Schutz der Industrieanlagen getroffen worden wären.

Ohnehin sei die Luft permanent mit den Abgasen der vielen Raffinerien belastet, es würden viele Fälle von Krebs diagnostiziert, insbesondere Leukämie bei Kindern. Die Fabriken der Erdöl- und Chemieindustrie arbeiten rund um die Uhr, es gibt keine Erholung von ihren Ausdünstungen. Er lebe zweieinhalb Kilometer von einer Chemiefabrik entfernt. Da sie während des Hurrikans zuhause bleiben mußten, waren sie gezwungen, tagelang die giftigen Dämpfe dieser vom Sturm beschädigten Fabrik einzuatmen. Um die Unternehmen vor Klagen zu schützen, wurden während des Sturms Luftüberwachungsstationen abgeschaltet und Luftreinhaltungsgesetze außer Kraft gesetzt. Auch in Houston seien vor allem nichtweiße Communities von den giftigen Folgen der fossilen Energieproduktion betroffen. Im Rest der Welt wäre kaum bekannt, wie viele Menschen in der Region gegen die ökologische Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen kämpften. Was immer das Tribunal dafür tun könne, um diesen Mangel an Verantwortungsbewußtsein bekannt zu machen, werde ihnen weiterhelfen, so die abschließenden Worte des Aktivisten.


Am Rednerpult auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Osprey Orielle Lake bei der Eröffnungsansprache
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Bloße Alternative oder wirksame Gegenposition?

Gerade die eindringliche und überzeugende Präsentation der Verletzungen der "Rechte von Mutter Erde" machten deutlich, daß es sich bei der Behebung dieses Problems nicht in erster Linie um eine Rechtsfrage handelt. Die vorherrschenden Gewaltverhältnisse kapitalistischer, sozialdarwinistischer und klassengesellschaftlicher Art machen mit aller Härte klar, daß die bloße Inanspruchnahme von Rechten nicht die Fundamente aushebeln wird, die die Definitionsmacht der Kapital- und Staatseliten über Recht und Unrecht an erste Stelle setzen. Dies hat die Richterin Osprey Orielle Lake mit ihrer in der Eingangsrede betonten Erklärung, eigentlich stünden unsere juristischen und ökonomischem Systeme vor Gericht, die die Zerstörung der Natur legalisieren und alimentieren, womöglich andeuten wollen. Wir wollen einen großen Paradigmawandel - das System selbst steht vor Gericht, faßte sie die Absicht des Tribunals für die Rechte der Natur zusammen.


Am Mikro auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Tom Goldtooth, Präsident des Rights of Nature Tribunal
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Auch dessen Präsident, Tom Goldtooth, hat in seinen Eröffnungsworten erkennen lassen, daß die VerfechterInnen der UDRME mit ihrer Position, allem Leben inhärente Rechte, geistige Existenz und individuelle Geschichte zuzuschreiben, eine Gegenposition zu den herrschenden Staatsideologien und Rechtsphilosophien einnehmen. Der Erklärung, daß kein Teil der Natur Herrschaft über ein anderes ausüben könne, daß alle Teile miteinander verbunden sind, um harmonische, liebevolle und intelligente Beziehungen herzustellen, ist allemal ein antikolonialistisches Credo immanent. Doch aktiv gegen die Objektivierung und Kommodifizierung der Natur aufzustehen, wie es Goldtooth zuletzt bei den Auseinandersetzungen um die Dakota Access Pipeline in Standing Rock getan hat, zeigt auch den idealistischen Charakter des Anliegens auf, ein harmonistisches Grundverständnis zu propagieren und sich damit in Schwierigkeiten größter Art zu bringen, weil die herrschenden Interessen jede Form eines in diese Richtung gehenden Ausgleiches wirksam unterbinden.

Die von diesen nicht nur erzeugten, sondern in Anspruch genommenen Gewaltverhältnisse sind auf der Ebene der damit kalt gestellten Machtfrage von idealistischen Werten nicht zu tangieren. Die Hoffnung, durch die Propagierung der UDRME ein globales Bewußtsein für die Unantastbarkeit der Natur zu schaffen und sie damit durchzusetzen, ist verständlich, wirft aber schon im Bereich des individuellen menschlichen Stoffwechsels Fragen auf, die sich mit bloßer Kreislaufideologie oder Recyclingwirtschaft nicht beantworten lassen. So waren Ernährungsindustrie und Tierausbeutung keine Themen des Tribunals, obschon sie in einem Ausmaß für Klimawandel und Naturzerstörung verantwortlich sind, daß zumindest einige Hinweise auf ihre eminente Bedeutung im Szenario klimaschädlicher Faktoren erfordert hätte. Das heißt nicht, indigene Menschen für ihren ganz eigenen Umgang mit Tieren, die sie töten und verbrauchen, zu kritisieren, das wäre gerade aus der Sicht massenhaft sogenannte Nutztiere verbrauchender Gesellschaften nichts als eine Neuauflage kolonialistischer Suprematie.

Das bedeutet dennoch, die Frage zu stellen, ob harmonistische Weltanschauungen geeignet sind, dem erreichten Ausmaß an globaler Zerstörung einen Gegenentwurf gegenüberzustellen, der die immer dünner werdende und utopischer erscheinende Möglichkeit realisierbar macht, eine Umkehr im Einverständnis aller Menschen zu verwirklichen, die gegen ihre bislang unüberwundene Natur, als miteinander in Konkurrenz stehende Subjekte im Zweifelsfall mehr gegen den anderen Menschen als für ihn zu tun, steht. Für die in idealistischen Entwürfen steckende Utopie kann es nur alle Sympathie geben. Ob sie auch Strategie und Taktik des dazu zu führenden Streites bestimmen sollen, könnte eine andere Frage sein.


Fußnoten:


[1] Auszug aus dem Abkommen der Völker, der Erklärung der Weltkonferenz über den Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde vom 22 April 2010 in Cochabamba, Bolivien
https://pwccc.wordpress.com/support/


8. Januar 2018


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