Schattenblick →INFOPOOL →DIE BRILLE → FAKTEN

MELDUNG/034: Auf den Spuren österreichischer politischer Nachkriegsliteratur (idw)


Universität Wien - 15.04.2011

Auf den Spuren politischer Nachkriegsliteratur


Die österreichische Nachkriegsliteratur war weitgehend unpolitisch, so ein weitverbreitetes Urteil der Literaturgeschichtsschreibung. Günther Stocker und sein Team vom Institut für Germanistik der Universität Wien hinterfragen diese Annahme. In einem FWF-Projekt machen sich die ForscherInnen auf die Suche nach den Diskursen des Kalten Krieges in der Literatur der Jahre 1945 bis 1966. Fündig sind sie zunächst am Rande des literarischen Geschehens geworden: bei wenig bekannten AutorInnen, in nicht so renommierten Genres und unbeachteten Werken angesehener SchriftstellerInnen.

Das Ende des Kalten Krieges bedeutete für die Geschichtswissenschaft eine veränderte Quellenlage. Zahlreiche Archive öffneten ihre Bestände und erzeugten dadurch eine neue Dynamik in den "Cold War Studies". Daran will nun auch die literaturwissenschaftliche Forschung anschließen. "In unserem Bereich gibt es starken Nachholbedarf. Die österreichische Nachkriegsliteratur wird bislang sehr polarisierend dargestellt: Auf der einen Seite stehe demnach die traditionelle Linie konservativer AutorInnen, die teilweise schon vor dem Zweiten Weltkrieges publiziert haben. Auf der anderen Seite fände sich die experimentelle, der Avantgarde verpflichtete Literatur. Unter den Tisch fällt, dass es sehr wohl AutorInnen gab, die sich explizit mit zeitgenössischen politischen Themen beschäftigt haben", sagt Günther Stocker vom Institut für Germanistik der Universität Wien. Im Rahmen des dreijährigen FWF-Projekts erforscht mit seinen MitarbeiterInnen Doris Neumann-Rieser und Stefan Maurer seit vergangenem Jahr die Diskurse des Kalten Krieges in der Nachkriegsliteratur.


Literatur außerhalb des Kanons

Es sind nicht immer Bücher renommierter Genres, in denen der Kalte Krieg eine Rolle spielt. So gehörten AutorInnen von Kriminalromanen nicht zum Kanon der österreichischen Literatur. Relevant sind aber auch Texte bekannter SchriftstellerInnen, die entweder entpolitisiert interpretiert, oder als "mindere" Werke angesehen wurden. Wie Denkfiguren des Kalten Krieges in der Literatur aufgegriffen bzw. welche Bilder und Metaphern herangezogen wurden, sind die zentralen Fragestellungen des Forschungsprojekts.

Darüber hinaus werden die Werke im Kontext der internationalen und nationalen Diskurse des Kalten Krieges verortet. Die ForscherInnen verfolgen dieses Ziel mithilfe zahlreicher Kooperationen, u.a. mit den Universitäten Stanford und Salzburg, der Wienbibliothek im Rathaus und der Historischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.


Die Besatzungszeit im Unterhaltungsroman

Einer der interessanten Autoren am "Rande des Literaturbetriebs" war Reinhard Federmann. Er schrieb neben anspruchsvollen politischen Romanen auch Unterhaltungsliteratur, teilweise gemeinsam mit Milo Dor, in der er einen scharfen Blick auf zeitgenössische Phänomene warf. "In ihren Thrillern kommen beispielsweise die Menschenverschleppungen der Sowjetbehörden vor, die während der Besatzungszeit ein dominierendes Thema in den österreichischen Medien waren, von denen aber heute kaum noch jemand weiß", erklärt der Germanist.


Decodierung: Kartoffelkäfer

Viele in dem untersuchten Material enthaltene Metaphern und Slogans müssen zunächst decodiert werden, denn bestimmte Bilder haben heute jegliche Bedeutung verloren. Im Roman "Romeo und Julia in Wien" von Federmann und Dor verliebt sich ein amerikanischer Journalist in eine Übersetzerin der russischen Nachrichtenagentur TASS. Sie kommunizieren anfangs auf Deutsch und wissen gar nicht, dass sie jeweils dem "Feind" gegenübersitzen. Nachdem die Wahrheit ans Licht kommt, merkt der Journalist ironisch an, dass er von einer sehr antikommunistischen Zeitung komme: Sein Chef verspeise jeden Tag ein paar Kommunisten und dessen Kinder würden mit Kartoffelkäfern spielen.

Weshalb Kartoffelkäfer? "Dazu muss man wissen, dass es sich dabei um ein Element der antiamerikanischen Propaganda handelt. Im sogenannten Ostblock machte damals das Gerücht die Runde, dass Amerikaner Kartoffelkäfer aus Flugzeugen abwerfen, um die Ernte zu vernichten. Solche Denkfiguren und Redeweisen gilt es in den Werken der AutorInnen aufzudecken", so Stocker.

Webseite des Projektes "Diskurse des Kalten Krieges":
http://germanistik.univie.ac.at/kk-diskurse

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution84


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Alexander Dworzak, 15.04.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2011