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PREIS/154: Mara-Cassens-Preis 2012 für Andreas Martin Widmann am 10.01.2013 (Literaturhaus Hamburg)


Literaturhaus Hamburg Newsletter - Programm im Dezember 2012

Der "Mara-Cassens-Preis für den ersten Roman" 2012 geht an Andreas Martin Widmann
für seinen Debütroman "Die Glücksparade"



Für sein Romandebüt "Die Glücksparade", erschienen im Rowohlt Verlag, erhält der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Andreas Martin Widmann den mit 15.000 Euro dotierten "Mara-Cassens-Preis für den ersten Roman" des Literaturhauses Hamburg. Der nach seiner Stifterin benannte Preis wird seit 1970 vergeben. Der Mara-Cassens-Preis ist der bundesweit höchstdotierte Literaturpreis für ein deutschsprachiges Romandebüt. Er ist zudem der einzige Literaturpreis, der von einer Leserjury vergeben wird. Die Hamburger Stifterin Mara Cassens möchte mit ihrem Preis Autoren und Autorinnen ermöglichen, "sich für eine gewisse Zeit ganz dem Schreiben zu widmen". Die Preisträger der letzten Jahre waren Roman Graf (2009), Sabrina Janesch (2010) und Max Scharnigg (2011).

Die ehrenamtliche Jury besteht aus 15 Mitgliedern des Literaturhaus Hamburg e.V., die nicht in der Buchbranche tätig sind, sondern sich in ihrer Freizeit als passionierte Leser den eingereichten Debüts widmen. In diesem Jahr las die Jury rekordverdächtige 23.196 Romanseiten, da sich 65 Verlage mit 88 Debüts an der Ausschreibung beteiligten. Nie zuvor reichten die Verlage so viele Romane ein, 2011 waren 76 Debüts im Wettbewerb. Seit Auslobung des Preises 1970 hat sich die Anzahl der Einreichungen ungefähr vervierfacht. Die Jury bewertete viele Romane als literarisch herausragend, darunter vor allem Olga Grjasnowas "Der Russe ist einer, der Birken liebt", Vea Kaisers "Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam" sowie Evi Simeonis "Schlagmann".

Wegen seiner feinen Beobachtungsgabe und der kraftvollen, gelassenen Sprache entschied sich die Jury schließlich dafür, Andreas Martin Widmann für "Die Glücksparade" den Preis zuzusprechen. In seinem ersten Roman erzählt Widmann von Simon: Das Ende der Welt heißt "Ferienanlage Aue" und liegt an einem toten Flussarm, hinter einem Bauzaun. Dort strandet der 15-Jährige mit seinem ewig optimistischen Lebenskünstler-Vater, der - einem Don Quixote des 21. Jahrhunderts gleich - erneut ein unfehlbares Ding am Start hat. Seine Mutter hat wieder eine Umschulung vergeigt, mit dem Rauchen angefangen und guckt Löcher in die Luft. "Platzwart" heißt der neue, der keiner-weiß-wie-vielte Job des Vaters, der die ganze Kleinfamilie in ihr neues Zuhause, einen Zwei-Zimmer-Küche-Bad-Wohncontainer auf eine Art Trailerpark katapultiert. Doch auf 29 Quadratmetern hat die Pubertät nur wenig Raum, und so strolcht Simon über den Platz, um den Geschichten der anderen vom Leben Gebeutelten zu lauschen: Die Teildesjahresbewohner des Campingplatzes heißen Klaus und Petra, Horst und Aleki oder auch ,Bubi' Scholz. Sie haben blonde Dauerwellen und platte Hintern, abgebrochene Maurerkarrieren oder Töchter, die bald eine eigene Fernsehshow bekommen sollen. Irgendwann, so sind sich alle sicher, machen sie das ganz große Glück. Von dieser ganzen ziemlich jammervollen Bagage erzählt Andreas Martin Widmann mit so viel Herz und Mitgefühl, mit einer präzisen Beobachtungsgabe und sehnsüchtigen Traurigkeit, so dass man sofort wieder weiß, warum diese "Melancholia pubertiensis" eine so hartnäckige Krankheit ist.

Die Jury begründete ihre Entscheidung so: "Mit sparsamer, gelassener und vor allem einfühlsamer Sprache schildert Andreas Martin Widmann die kleine Welt der Abgestiegenen und damit ein Milieu, zu dem die wenigsten Zugang haben. In der schlichten und dadurch kraftvollen Erzählweise liegt die literarische Größe des Romans. Es ist eine leise Schilderung des Erwachsenwerdens in prekären Verhältnissen, auf der schmalen Bühne eines Campingplatzes. Wie der junge Held Simon sich selbst am Schopfe der Perspektivlosigkeit packt und wieder Hoffnung zu schöpfen vermag, gehört zu den großen Leseerlebnissen des Jahres 2012. Andreas Martin Widmann ist ein Meister der Empathie."

Andreas Martin Widmann ist Jahrgang 1979 und promovierter Literaturwissenschaftler. Neben Ausflügen in die literarisch schreibende Zunft in Zeitschriften wie "Edit", "Am Erker" und "Sprache im technischen Zeitalter" hat er vor allem wissenschaftlich veröffentlicht. Derzeit unterrichtet er am Department of German des University College London. Für seine Arbeit an "Die Glücksparade" hat er zahlreiche Stipendien gewonnen und wurde für das Manuskript 2010 mit dem Robert-Gernhardt-Preis ausgezeichnet. Andreas Martin Widmann lebt in London.

Die feierliche Preisverleihung findet am 10. Januar 2013 um 19.30 Uhr im Literaturhaus Hamburg statt. Der Preisträger und die Stifterin sind anwesend. Die Senatorin für Wissenschaft und Forschung der Freien und Hansestadt Hamburg Dorothee Stapelfeldt spricht ein Grußwort.

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Quelle:
Literaturhaus-Newsletter Hamburg vom 05.12.2012
Literaturhaus Hamburg e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2012