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SPRÜNGE/010: Frauenliteratur - ein gescheitertes Genre (SB)


Frauenliteratur - von feministischer Agitation zur Menstruationsprosa


Inzwischen ist sie als Literatur des Widerstandes - der, wie sich am gegenwärtigen Stand seiner Entwicklung ablesen läßt, gar keiner war - in den entlegensten Winkel der Literaturgeschichte gerutscht und somit ein Thema für SPRÜNGE. Die sogenannte Frauenliteratur, die einmal Literatur von Frauen für Frauen sein sollte, ist nun - durch die BRILLE betrachtet - richtungslos und für Verlage mit einigen Definitionsänderungen und -erweiterungen zum etablierten, verkaufsfördernden Bestandteil geworden.

Das Thema "Unterdrückung der Frauen" ist für jüngere Autorinnen zum Abwinken. Sie meinen, daß sie von den Auseinandersetzungen der Frauenbewegung der letzten 30 Jahre profitiert haben, keine Einschränkungen, keine Gewalt mehr kennen und sich überall frei bewegen können. Ihr Profil ist angepaßt an das Überleben in einer Gesellschaft, deren Herrschaftsformen subtil und wirkungsvoll sind - nahezu undurchschaubar und von festem Zugriff. Hohe Bildung, sicherer Umgang mit den Medien, Hunger nach Erfolg und geographische Flexibilität sind ihr Outfit. Sie leben in Stockholm oder Paris, sind mit den aktuellen Kunstströmungen vertraut, nehmen an amerikanischen "creativ writing"-Kursen teil und zeigen sich dabei selbstbewußt und experimentierfreudig. An den Grundfesten gesellschaftlicher Gewalt hat sich jedoch nichts geändert, außer daß unter dem gesellschaftlichen Rationalisierungs- und Optimierungszwang der Gedanke an Kritik und Auflehnung nicht mehr aufkommt. Angesichts der geforderten Erfolgs- und Zielorientierung hat ein Standpunkt, der sich nicht einfügt, keinen Platz. Frauenbewegung ist zur Frauenpolitik als integrativer Bestandteil von Parteiprogrammen geworden.


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Der Anfang vom Ende, bevor sie richtig beginnen konnte...

Ab 1968 wurde die gesellschaftliche Rolle der Literatur heftig debattiert und die bisherige Literatur für tot erklärt. Sie sei zu harmlos und unbedeutend, möge sie noch so engagiert und politisch gemeint sein. Ein neuer Anfang in Bescheidenheit sei nötig, politische Aktivität und ästhetisches Tun seien zukünftig zu trennen, erklärte Hans Magnus Enzensberger im Kursbuch 15. Zunehmend wurde Literatur durch die Entwicklung alternativer, agitatorischer Formen wie Reportage, Lied und Song, Agit-Prop- Lyrik und Agit-Prop-Theater zum Sprachrohr politischer Aufklärung. Diese neuen Versuche wurden jedoch weitgehend männlich dominiert und konzentrierten sich auf die kultur- politischen Diskussionen an den Universitäten.

Während einer Organisationsdebatte des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) wehrte sich Helke Sander, seinerzeit Delegierte des "Aktionsrates zur Befreiung der Frauen", gegen die Unterdrückung der Frauen durch die Diskussionsstrukturen und Entscheidungsmechanismen in den Studentenversammlungen. Das gab den Anstoß, aus dem gemeinsamen antikapitalistischen Kampf auszuscheren, um der besonderen Unterdrückungssituation der Frauen Rechnung zu tragen ("Kampf den sozialistischen Eminenzen und ihren bürgerlichen Schwänzen!"). Nachdem sich die Frauen weitgehend in eigenen Zentren organisiert und - angelehnt an die allgemeine Umbruchstimmung - Agitationsbereiche abgesteckt hatten, begannen einige Frauen Mitte der 70er Jahre mit der Absicht, sich aus fremden Ansprüchen und entfremdeten kulturellen Formen zu befreien, selbst zu schreiben.

In nur wenigen Jahren entstand eine große Anzahl von Frauenzeitschriften wie zum Beispiel "Emma". Immer noch existieren Musikgruppen von Frauen (z.B. "Schneewittchen"), die in den 70er Jahren ausschließlich vor Frauen auftraten. In dieser Zeit etablierten sich Frauentheatergruppen und verschiedene Verlage wie Frauenoffensive, Frauenbuchverlag, verlag frauenpolitik, Amazonen-Verlag usw., in denen Frauen Bücher von Frauen über Frauen für Frauen, also "Frauenliteratur", verlegten, selbst vertrieben und in eigenen Frauenbuchläden verkauften und immer noch verkaufen.

"Frauenliteratur" hieß: Literatur von Frauen über Frauen für Frauen. Sie verstand sich als Teil der Neuen Frauenbewegung und richtete sich als Agitationsliteratur gegen gewalttätige männliche Sexualität, Entmündigung und Einsamkeit, Gefühlskälte und Beziehungslosigkeit in der sonst verdrängten, alltäglichen Wirklichkeit. Teils wurden diese Themen aggressiv, teils leidend behandelt. Diese Literatur ist unterschiedslos autobiographisch geprägt und überladen mit der Suche nach einem Selbstbewußtsein, das sich von dem der Männer abkehrt und abgrenzt, um zu sich selbst zu finden. In literarischen "Gegenentwürfen" sollten die dogmatischen marxistischen Inhalte der linken Literatur derselben Zeit durch Erotik und Phantasie aufgeweicht werden.

Die Namen Susan Sontag und Simone de Beauvoir stehen nicht zufällig am Anfang der Bewegung in der Bundesrepublik. Denn die Neue Frauenbewegung fand, bis Alice Schwarzers "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" 1975 landesspezifische Diskussionen auslöste, ihre Vorbilder in den Vereinigten Staaten und in Frankreich. Das amerikanische "Women's Liberation Movement" und einzelne Autorinnen wie Kate Millet ("Sexus und Herrschaft", 1971), Phyllis Chesler ("Frauen - das verrückte Geschlecht", 1974) und Shulamith Firestone ("Frauenbefreiung und sexuelle Revolution", 1975) übten großen Einfluß auf die Diskussion hierzulande aus, ebenso wie "Das andere Geschlecht" 1968 von Simone de Beauvoir. Aber auch in Deutschland gab es politische Traditionen, auf die sich die Frauen bezogen, wie die sozialdemokratische Bewegung des 19. Jahrhunderts mit Clara Zetkin, Lily Braun und Rosa Luxemburg. Einzelne Frauen erarbeiteten die Geschichte der Frauen, entdeckten dabei u.a. vergessene Schriftstellerinnen und versuchten so, die historische Dimension von Frauenliteratur in die aktuelle Diskussion miteinzubeziehen. Und die von Frauen geschriebenen und herausgegebenen Literaturzeitschriften "Mamas Pfirsiche" (ab 1976) und "Wissenschaft und Zärtlichkeit" (ab 1978) untersuchten die Frage nach der Existenz einer weiblichen Ästhetik und Wissenschaft.

Der überraschende Erfolg von Verena Stefans Roman "Häutungen" (in kurzer Zeit wurden weit über 100.000 Exemplare verkauft) veranlaßte schließlich die etablierten Verlage, sich um den neuen Markt "Frauenliteratur" zu kümmern. Rowohlt zum Beispiel erweiterte sein Programm um die Reihe "neue frau". Alle von Frauen geschriebenen Texte wurden plötzlich "Frauenliteratur" genannt, so daß der ehemals vielleicht vorhandene Ansatz einer neuen Bewegung inzwischen durch eine Vielzahl modischer Texte verstellt wurde, die nun feministisches Couleur bekamen. Es wurden Traditionsbezüge zur Romantik (Bettina von Arnim, Karoline von Günderode, Caroline Schlegel-Schelling, Rahel Varnhagen) hergestellt und die Werke bislang zu wenig beachteter, bedeutender Autorinnen wiederentdeckt wie Emily Brontë, Sylvia Plath, Doris Lessing, Gertrude Stein, Tanja Blixen und Djuna Barnes.

Die Texte der Neuen Frauenbewegung, die meist persönliche Entwicklungsprozesse zum Thema haben, vertrauten auf den Effekt des Wiedererkennens. Ihre Leserinnen sollten sich im schon Bekannten noch einmal begegnen. In der damit getroffenen Unterscheidung zwischen politischer und literarischer Agitation war allerdings schon die Zurücknahme des Anspruchs angelegt, Literatur, Politik und neu zu entdeckende Tradition schreibend und handelnd miteinander verbinden zu können. Durch das Schreiben stellten die Autorinnen eine Distanz zu den täglichen Handlungen her. Diesen Widerspruch versuchte frau zu rationalisieren. Sollte doch durch das Schreiben die Unterdrückung der Frau aufgezeigt, analysiert und zur Diskussion gestellt werden. Eine Autorin, die erklärtermaßen "Frauen-Literatur" schrieb, durfte nicht von ihrem Standpunkt getrennt werden. Sie verstand sich niemals nur als "Schriftstellerin", so daß es bei ihren literarischen Produkten weniger auf Qualität oder Sprache ankam, sondern auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Geschriebenen.

Der darin enthaltene Anspruch setzt voraus, daß Unterdrückung, Schmerz und Leid ebenso wie Überzeugungen und die Auseinandersetzung mit der Gewaltfrage durch die schriftliche Darstellung persönlicher Erfahrungen, durch Analysen, Vergangenheitsbewältigung oder das Herstellen "neuer" Schreibweisen mitteilbar sind und daß dieses Konsequenzen haben kann.

Es setzt umgekehrt voraus, daß die angesprochene Lesergruppe, nämlich Frauen, sich damit beispielhaft identifizieren und es nicht nur bei Solidarität durch anonymes Wiedererkennen belassen. Literatur eignet sich bestens dazu, das Ausmaß der Gewalt zwar sichtbar werden zu lassen, sich aber von den eigenen Anteilen daran zu distanzieren. Es kann bei einem zustimmenden Kopfnicken bleiben, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben. Ist das die Funktion der Frauenliteratur? Ihr Anliegen, Veränderungen einzuleiten, ist bestenfalls den Schlußfolgerungen der Leserin und auf jeden Fall ihrer Entschlossenheit überlassen, sich dem Problem umfassend und konkret zu stellen und es nicht in die Schublade der Aussichtlosigkeit zu packen. "Frauen-Literatur" sollte anregen und anklagen. Die Frage, ob dies für den angesagten Kampf ausreichen würde, ist inzwischen durch die kommerzielle und gesellschaftliche Vereinnahmung der Bewegung beantwortet.

Logischerweise bleibt nun nur noch die Frage, worin denn eine weibliche Erfahrungs- und Schreibweise überhaupt besteht. "Literatur", sagt Christa Reinig, sei "Männergeschäft", die Formen und Formeln der Dichtersprache seien nicht geschaffen, daß ein weibliches Ich sich darin artikulieren könne. Auf die Suche nach dem Eigenen, der Subjektivität beschränkt sich die Literatur von Frauen nunmehr freiwillig selbst und ist damit nicht mehr richtungsweisend oder bedrohlich, was sie, wie ihr Verblassen beweist, trotz allen Aufwands auch nie gewesen sein kann.


Erstveröffentlichung am 6. November 2000

29. Dezember 2006