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BERICHT/035: Links, links, links - dem Mainstream vorauseilend gehorsam ... (SB)


Medien - Teil des Problems wie auch der Lösung?

20. Linke Literaturmesse in Nürnberg


Auf einer Veranstaltung wie der Linken Literaturmesse in Nürnberg, die in diesem Jahr zum 20. Mal eine willkommene und vielfach genutzte Gelegenheit zum Stelldichein linker Verlage, publizistisch tätiger Menschen und interessierter Besucherinnen und Besucher geboten hat, dürfen Themen wie Medienkritik und Medienanalyse nicht fehlen, wenn es gilt, dem herrschenden Diskurs die Gefolgschaft zu verweigern zugunsten einer zu entwickelnden Streitkultur, die das Ende der als realsozialistisch bezeichneten Staatenwelt zum Anlaß und Ausgangspunkt eines nur um so konsequenteren Ringens um die Aufhebung gesellschaftlicher Herrschafts-und Raubverhältnisse nimmt.

Daß Medien aus dem Instrumentarium herrschaftssichernder- wie generierender Mittel nicht wegzudenken sind und in ihm eine prominente Position einnehmen, versteht sich von selbst. Auf der Gegenseite wird offenbar längst davon ausgegangen, daß die Frage nach der Beherrschbarkeit und gesellschaftlichen Vernutzung des Menschen um so effektiver beantwortet werden kann, je geringer der dafür erforderliche Anteil unmittelbarer Gewaltanwendung oder -androhung ausfällt. Idealtypisch wäre ein Mensch, der in seinem Bestreben, sich als funktionsfähiges Gesellschaftsmitglied zu bewähren, in Erwartung der Einlösung daran geknüpfter Versprechen bereit ist, die ihm auferlegten Zwänge und Einschränkungen hinzunehmen bzw. zu ignorieren.

Für linke Medien stellt das breite Feld publizistischer Tätigkeiten ein nicht zu unterschätzendes Schlachtfeld dar. Das genuin eigene Anliegen, die Herrschaftsverhältnisse in ebenso aufklärender wie mobilisierender Weise darzustellen, kann schließlich nur dort vorgebracht werden, wo das Denken und Fühlen beeinflußbar ist, also an den Schnittstellen von Informationsvermittlung, Meinungsbildung, Stellungnahme und interaktiver Kommunikation. Selbstverständlich sind in einer hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaft wie der bundesdeutschen auch im Mediengeschäft an Profitoptimierung wie politischer Opportunität ausgerichtete Maßstäbe dominierend, und so nimmt gerade dieser Bereich aus linker Sicht gleichermaßen als Instrument wie Ort der Auseinandersetzung eine unverzichtbare Rolle ein.

Auf der 20. Linken Literaturmesse in Nürnberg hat Sabine Schiffer, Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen, einen Vortrag zum Thema "ARD & Co - Wie Medien manipulieren" gehalten, um über Methoden und Techniken medialer Beeinflussung und Manipulation aufzuklären. Unter diesem Titel ist in diesem Jahr im Selbrund Verlag eine Textsammlung mit Beiträgen von insgesamt 17 Autorinnen und Autoren erschienen [1]; unter ihnen auch Sabine Schiffer selbst mit einem eher theoretischen Text über den Zustand der "Medien in Deutschland".


Von den öffentlich-rechtlichen Medien ...

Den Vorwurf der Lügenpresse zu erheben, reiche in einer demokratischen Kultur bei weitem nicht aus, so Schiffer zu Beginn ihres Vortrags. Eine fundierte Medienkritik sei vonnöten, um eine seriöse Auseinandersetzung mit den Meinungsbildungsprozessen zu ermöglichen; eigentlich bräuchten wir an den Schulen einen systematischen Lehrplan "Medienbildung". Die Referentin hat an der Akademie der Deutschen Welle "International Media Studies" unterrichtet und dabei den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als etwas besonders Wertvolles zu schätzen gelernt, weil er - zumindest dem Anspruch nach - eben nicht rein ökonomisch orientiert ist. Von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg nach dem Vorbild der BBC geschaffen, sollte er die Entstehung eines Staatsfunks verhindern zugunsten eines Systems, das die Medien - idealtypisch gesprochen - in Bürgerhand gibt.

Mit den Rundfunkstaatsverträgen sei ein Rechtsrahmen geschaffen worden für das, was diese Medien eigentlich leisten und worauf sich die Mediennutzenden berufen könnten, was sie nach Auffassung der Referentin auch tun sollten. Die Initiative für die Einsetzung eines Publikumsrates, deren Mitbegründerin Sabine Schiffer ist, geht von der Idee aus, daß die Nutzerinnen und Nutzer öffentlich-rechtlicher Medien wegen der seit 2013 pro Haushalt und Geschäftsort entrichteten Rundfunkbeiträge wie Anteilseigner so etwas wie ein Mitbestimmungsrecht haben müßten. Die bestehenden Kontrollgremien, also Rundfunk- und ZDF-Fernsehrat, würden diese Aufgabe, wie durch Urteile des Bundesverfassungsgerichts immer wieder bestätigt worden sei, nicht in ausreichender Weise erfüllen.

Pluralität, verstanden als ein Angebot verschiedener und vor allem auch kontroverser Auffassungen, Sichtweisen und Standpunkte, könnte als Basis und Voraussetzung einer demokratischen Kultur aufgefaßt werden. Eine Medienwelt, die, privatwirtschaftlich organisiert, in erster Linie ökonomisch erfolgreich sein müsse, da sie andernfalls nicht existieren könne, habe schon in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität nicht unbedingt gut funktioniert, was die Rolle der vierten Gewalt betrifft. Im Zuge der Wirtschaftskrise und zunehmenden Medienkonzentration, verbunden mit einem Rückgang der Anzeigenkunden und des Abonnementaufkommens, sei dies jedoch noch viel schlechter geworden. Heute gäbe es viele Medien, die zwar unterschiedlich aussehen, aber zum selben Haus gehören, weshalb Pluralität und damit das Fundament demokratischer Auseinandersetzungen immer mehr verlorengeht.


... zu Agentur- und PR-Journalismus

Da hat man dann leicht den Eindruck, als hätten alle voneinander abgeschrieben, so Schiffer. Zurückzuführen sei dieser Effekt auf den enormen Druck durch die Agenturmeldungen. Die Entwicklung der letzten Jahren habe zu einem extrem vereinheitlichenden Agenturjournalismus geführt. Ulrich Tilgner schilderte in dem Buch [2], daß es ihm nur noch teilweise gelänge, seine Beiträge in den Medien unterzubringen. Seine Heimatredaktion nähme die Texte nur, wenn er die jeweiligen Informationen zuvor schon irgendwie über eine Agentur eingespeist hätte. Vor Ort werde dann gesagt: Ja, wieso, da berichtet doch niemand sonst drüber, warum sollten wir das dann tun? Das Potential zu Differenzierungen, Ergänzungen und Pluralität werde so natürlich total reduziert.

Neben diesem Agenturjournalismus mache sich Schiffer zufolge auch eine enorme Zunahme des PR-Anteils bemerkbar. Heute wird davon ausgegangen, daß jeden Tag mindestens 60 Prozent der als Nachrichten präsentierten Informationen aus Pressemitteilungen, PR oder sogar direkter Werbung von großen Unternehmen, den entsprechenden Ministerien oder sonstigen interessierten Stellen stammten. Schon lange sei die Tendenz zu beobachten, daß im Journalismus die gesicherten Stellen abnehmen, während im PR-Bereich immer mehr neue Stellen entstehen. In den USA und anderen Ländern sei es bereits so, daß Journalismus und Public Relations gemeinsam an den Universitäten unterrichtet werden, in Deutschland stehe diese Entwicklung noch am Anfang. Ein guter Journalismus würde bedeuten, eine zweite Sicht einzuholen, bei einem sehr guten würde man noch eine dritte hinzuholen und gezielt nach anderslautenden Darstellungen beispielsweise gegnerischer Organisationen suchen, um das Pro und Contra einer Thematik präsentieren zu können.

In den Redaktionen werde die Agenda immer häufiger gesetzt nach Maßgaben, die von außen kämen. Ein Kollege vom WDR beschreibe das auf Veranstaltungen gerne so, daß eigentlich kaum Zeit bleibt, sich einmal in Ruhe hinzusetzen und sich zu fragen, was denn nun eigentlich wirklich wichtig und berichtenswert ist. Statt dessen gäbe es Abklappern von irgendwie vorgelegten Themen, wodurch ein enormer Konformismus entsteht. Teilweise schaffe das einen Verlautbarungs- und Kampagnenjournalismus, der für eine Demokratie nicht sehr förderlich sein kann. Im vergangenen Jahr hätten das viele Menschen am Beispiel der Ukraine-Berichterstattung gemerkt, weil ihnen die Einhelligkeit einfach aufgestoßen ist, auch wenn sie sich noch gar nicht damit befaßt hatten, wie Manipulationen in den Medien funktionieren und auch über die Ukraine nicht unbedingt etwas wußten. Da hätten viele Leute angefangen, sich nach anderen Informations- und Nachrichtenquellen umzusehen.


Wording oder der Kampf um die Deutungshoheit

Zu untersuchen, wie in den Medien mit der Sprache umgegangen wird, könne nur empfohlen werden, so Schiffer. Wer wird als "Chef", wer als "Präsident" bezeichnet? Schon eine einfache Gegenprobe helfe weiter, um sich über die Wertungen, die da offenbar vorgenommen werden, Klarheit zu verschaffen. Obama wird nicht als "Chef" des Weißen Hauses bezeichnet, er ist der "Präsident", während Putin häufig als "Kreml-Chef" tituliert wird. Eckart Spoo habe in seinem Text zum Thema Wording [3] erklärt, daß wir einer solchen Propaganda viel öfter ausgesetzt sind, als wir ahnten, nämlich fast immer. Wenn es beispielsweise darum geht, daß eine Kriegspartei an die Gegenseite Forderungen stellt und ihr, falls sie nicht nachgibt, einen empfindlichen Schaden ankündigt, wird dies entweder als Warnung, wenn es sich aus Sicht der Berichtenden um die "Guten" handelt, bezeichnet oder als Drohung, die immer von den "Bösen" ausgeht.

In den öffentlich-rechtlichen Sendern komme es, was von den Verantwortlichen hin und wieder auch eingestanden wird, zwar durchaus zu "Fehlern", wenn beispielsweise über Syrien abgeschossene Hubschrauber auf dem Nachrichtenwege in die Ukraine "transportiert" werden, aber nur zu Fehlern, denn Propaganda machen immer die anderen. Dagegen gäbe es noch keine Demonstrationen kritischer Bürgerinnen und Bürger, die den gebührenfinanzierten Medien erklärten, daß das so nicht geht und sie für ihr Geld eine andere Qualität verlangen. Auf Nachfrage würden die Sender dann erklären, daß sie sich an das Wording der großen Nachrichtenagenturen und sogenannten Qualitätszeitungen hielten. Wer sich zur Rechtfertigung seiner Fehlleistungen - wenn von OSZE-Beobachtern gesprochen wird, obwohl es sich um Bundeswehrsoldaten handelt -, auf privatorganisierte Medien beruft, die die in den Runkfunkstaatsverträgen festgelegten Ansprüche gar nicht zu erfüllen haben, schaffe sich im Grunde selber ab, so Schiffer.

Theoretisch könnten die Medien unabhängiger sein. Faktisch sei es so, daß, wer beispielsweise im Fernsehen in eine verantwortungsvolle Position kommen möchte, zuvor Auslandskorrespondent in den USA gewesen sein muß. Das seien so Traditionen, die möglicherweise noch aus der Zeit der Alliierten stammten, als die Rundfunkanstalten hierzulande geschaffen wurden. Kritische Stimmen sind heute, wie Schiffer betonte, sehr, sehr marginalisiert. Und wenn wirklich einmal ein megakritischer Beitrag veröffentlicht wird wie beispielsweise ein Radio-Feature über die Griechenland-Berichterstattung, in dem das komplette Versagen aller Medien dargelegt wurde, bleibt das sogar innerhalb desselben Senders ohne Folgen. Es werde genauso weitergemacht wie zuvor, so als hätte es den aufklärenden Beitrag nie gegeben, und nach wie vor herrscht da ein Wording vor, in dem von "Rettungspaketen" die Rede ist, obwohl das eigentlich überteuerte Kredite sind.


Medientechnik und Wahrnehmungsfilter

Zum Thema Medientechnik erklärte Schiffer, daß es sehr sinnvoll sei, sich auch mit Reihenfolgebeziehungen und ähnlichen Fragen auseinanderzusetzen. Für den Medienunterricht an Schulen schlug sie vor, sich experimentell damit zu befassen, wie beispielsweise ein Fernsehbericht unterschiedliche Bedeutungseffekte erzielen kann allein dadurch, daß dasselbe Bild- und Tonmaterial, in einzelne Sequenzen auseinandergeschnitten, in verschiedene Reihenfolgen und Zuordnungen gebracht wird. Innerhalb eines solchen Produktionsprozesses müssen vielfältige Entscheidungen getroffen werden: Wie ordne ich das Material an? Was lasse ich weg? Wie vertone ich es? Aus der Kenntnis dieser journalistischen Praxis, die eigentlich zur politischen Bildung gehören sollte, könnten Konzepte für einen nachhaltigen und unabhängigen Journalismus entwickelt werden, wovon bislang weder bei den privaten noch den öffentlich-rechtlichen Medien die Rede sein kann.

Bei den privatfinanzierten, zum Teil internationalen Medienkonzernen ist es nach Darstellung der Referentin inzwischen so, daß über 70 Prozent des Umsatzes mit berichterstattungsfernen Online-Diensten erwirtschaftet werden und der eigentliche Journalismus nur noch nebenbei läuft, was natürlich für die Rolle, die die Medien in einer Demokratie einnehmen sollten, sehr problematisch ist. Wichtig ist vor allem, so ihr Fazit, daß wir alle lernten, sämtliche Medienprodukte kritisch zu überprüfen. Die Frage "ja, welchem Medium kann ich denn jetzt noch trauen?" beantwortete Schiffer mit einem lakonischen "keinem", widersprach aber auch einer pauschalen Medienkritik nach dem Motto "die wollen uns alle manipulieren".

Es wäre zu einfach, einen Drahtzieher zu vermuten, der irgendwo dahinter sitzt und alles kontrolliert, denn tatsächlich seien die Zusammenhänge viel komplexer. Natürlich gäbe es klare Hierarchien, auch transatlantische Netzwerke, was in vielen Doktorarbeiten bereits untersucht worden ist, und die sogenannten Alphatierchen, die den Ton angeben. Jüngere Kollegen seien zwar häufig um eine engagierte Berichterstattung bemüht, doch das Dilemma fange schon an, wenn sie, um ein Thema zu bearbeiten, erst einmal ins Archiv gehen und dort ein gewisses Framing vorfinden, also einen vorgegebenen Rahmen, den zu verlassen sich dann oft als sehr schwierig erweist.

Eine Sequenz in ihren Vorträgen habe sie "mit Fakten lügen" genannt. Dabei gehe es nicht um politische Manipulationen, sondern um die Wahrnehmungsfilter, die wir alle im Kopf haben, wodurch ohne konkrete Absicht Stereotype entstehen können, die ganz den Eindruck machen, als gäbe es da eine Zensur oder wäre voneinander abgeschrieben worden. Wenn wir irgendwohin fahren, um uns die Realität vor Ort einmal anzusehen, nehmen wir alles mit, was wir bis dahin gelernt haben, und dann geschähe es sehr leicht, daß wir eine bestimmte Szene sehen und denken "ach ja, so ist das hier also" und vielleicht überhaupt nicht die zehn Gegenbeispiele wahrnehmen, die uns eigentlich dazu bringen müßten, uns da zu hinterfragen, erläuterte Schiffer. So könne ein stereotypes Bild entstehen, bei dem womöglich sogar ein Großteil der gesellschaftlichen Ereignisse fehlt. Es sei leider nicht von der Hand zu weisen, daß unsere Medien stark von politischen Vorgaben - sei es durch die nationale Politik oder auch, je nach Thema, die NATO - beeinflußt werden, doch beim Thema Medienmanipulation müßten auch diese Wahrnehmungsmechanismen genau beschrieben werden.


Marktlogik und Medien

In der Medienwelt herrsche heute ein enormer konformistischer Druck vor, wobei der Rundfunk noch ein bißchen besser abschneide als das Fernsehen. Nicht die politisch profilierten Journalistinnen und Journalisten machten Karriere, sondern eher die "grauen Mäuse", die in alle Richtungen formbar sind. Dieser Anpassungsdruck werde durch den Rückgang fester Anstellungen noch befördert. Viele Medienunternehmen unterliegen Sparzwängen, und dann werde zuerst an den Kreativen gespart, die unter häufig prekären Bedingungen ihre Beiträge produzierten.

Und so müßten freie Journalisten selbst dann, wenn eine Recherche keine nennenswerte Ergebnisse erbracht hat, ihre Produkte verkaufen, um finanziell irgendwie über die Runden zu kommen. Natürlich kommt es vor, wie Schiffer am Beispiel eines Kollegen schilderte, der einen im Fernsehen gesendeten Beitrag über die Kontaminationsfolgen von im Krieg eingesetzten urangehärteten Geschossen produziert hatte, daß ein Journalist nie wieder einen Auftrag bekommt, und es sei völlig klar, daß es da Kontakte - sogenannte Hintergrundgespräche - mit Regierungen oder Lobby-Organisationen in den Redaktionen bzw. Intendanzen gibt.

Bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten sei es inzwischen so, daß sie per Gesetz - angeblich aus Marktgerechtigkeitsgründen - gezwungen werden, nach bestimmten Fristen ihre Online-Angebote wieder zu löschen. [4] Eine solche Marktlogik sei ein Paradoxon, das wir dringend kritisieren müßten, so Schiffer. Ähnlich wie beim Lobbyismus müsse danach gefragt werden, wer da das Geld hat, um wen zu kaufen. Wer mit einem bestimmten Projekt viel Geld gemacht hat, könne auch ihm genehme Journalisten und PR-Experten finanzieren. Da bestehe eine eklatante Lücke im System: Einerseits gäbe es im Medienbereich einen sehr hohen Anspruch, gestützt auf die Verfassung, die Staatsverträge und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, doch dann gäbe es kein mediales System, das ihn umzusetzen imstande wäre.

Die Referentin berichtete aus ihrer Tätigkeit in der Journalistenausbildung, daß die Leute dort für je einen Monat Praktika in einer PR-Agentur und in der Pressestelle eines Bundesministeriums machten, um vor Ort zu erleben, wie dort mit bestimmten Meldungen umgegangen wird, zu denen dann eine Pressemitteilung herauskommt oder eben nicht. Vielfach sei es heute so, daß Journalisten im PR-Bereich ihre Brötchen verdienen, um dann ihre engagierte journalistische Arbeit woanders machen zu können, was problematisch werden kann, wenn das eine vom anderen nicht mehr scharf getrennt wird. In den Praktika beispielsweise werde dann nicht mehr untersucht, wie die andere Seite arbeitet, sondern davon ausgegangen, daß das Journalismus sei.


David gegen Goliath

Für den kritischen bzw. selbstkritischen Ansatz ihres seit zehn Jahren bestehenden Instituts haben ihnen, wie Schiffer erklärte, alternative Medien die Fenster geöffnet. Ohne Internet würde es das Institut nicht mehr geben, weil es von den großen Medien weitgehend ausgeblendet wird. In den neuen bzw. Internet-Medien gäbe es allerdings auch die "Gefahr des Schwimmens in der eigenen Soße", was technisch gesehen schon am "filterbubble" läge, also den im Netz verwendeten Algorithmen. [5] Bei der Kernfrage der Arbeit mit Medien und Sprache, nämlich wie eine größere Öffentlichkeit erreicht werden kann, seien die klassischen Medien einfach die Stärkeren, denn sie - und nicht die einzelnen Journalistinnen und Journalisten - könnten bestimmen, welche Beiträge veröffentlicht werden und welche nicht.

Da nütze es dann nicht viel, eine niveauvolle Sprache zu entwickeln und sich um die Qualitätskriterien zu bemühen, wenn man denn gleich eingekreist wird und mit der breiten Bevölkerung gar nicht ins Gespräch kommen kann. Wir könnten froh sein, so Schiffer, daß es auch noch andere Medien gibt, in denen auch einmal ein zusammenhängender Gedanke formuliert werden kann. Da gäbe es häufig positive Reaktionen, die Leute sagen dann: Oh, das habe ich ja noch nie gehört, und schauen sich diese Medien im Internet genauer an. So ganz allmählich fingen die verschiedenen Formate an, sich zu ergänzen.


Ökonomie frißt Demokratie

Von der Ökonomisierung der gesamten Gesellschaft, die derzeit stattfindet, sind natürlich auch die Medien betroffen. Dies gelte aber auch für Bildung und Wissenschaft und damit die gesellschaftlichen Bereiche, die eigentlich einer Entwicklung gegensteuern könnten, bei der alles der sogenannten Marktgerechtigkeit unterworfen wird. Was sei das überhaupt für ein Wert? fragte Schiffer. Wenn alle Medien nach Marktlogik gegeneinander konkurrieren müßten, gäbe es überhaupt keine guten Berichte mehr. Aber wie ist es um die Gegensteuerungseffekte in Bildung und Forschung tatsächlich bestellt?

Wer sich heute um eine Professur bewirbt, muß eine Liste ausfüllen über die Drittmittel, die er oder sie bereits eingeworben hat; und wer ein Forschungsprojekt vorschlägt, muß die Finanzierung gleich mitbringen. Wie unabhängig könne dann, so lautete die nächste Frage der Referentin, eine Forschung beispielsweise im technischen Bereich noch sein, wenn sie von einer Firma mit spezifischen Interessen finanziert wird? Die Ökonomisierungsprozesse hätten fatale Auswirkungen auf eigentlich alle Diskurse, auf Bildung und Medien und damit alle Fundamente, die wir für eine einigermaßen funktions- und ausbaufähige Demokratie - was sicherlich auch eine Idealisierung sei - bräuchten, und selbstverständlich erhielten all diejenigen, die sich kritisch mit diesen Fragen befaßten, keine Fördermittel für große Tagungen, wie Sabine Schiffer abschließend anmerkte.


Fußnoten:

[1] ARD & Co. Wie Medien manipulieren, Band 1. Ronald Thoden (Hg.), Selbrund Verlag

[2] Medienreflexe statt Information. Beitrag von Ulrich Tilgner in: ARD & Co. Wie Medien manipulieren

[3] Mit Wording, so der neudeutsche, mit "Wortlaut" oder "Sprachgebrauch" nur unzureichend übersetzte Begriff, wird in der Medienkritik die "Okkupation von Begriffen, d. h. die Bereitstellung eines Katalogs an Euphemismen, deren Nutzung den Aufbau eines konsistenten Bildes in der Öffentlichkeit fördern soll" verstanden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Öffentlichkeitsarbeit

[4] Seit dem 1.6.2009 regelt der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, daß gebührenfinanzierte Medien bestimmte Inhalte gar nicht und die zugelassenen nur für eine begrenzte Zeit online stellen dürfen. Tagesschau.de mußte deshalb rund 80 Prozent seines Online-Angebots löschen.
www.tagesschau.de/inland/rundfunkaenderungsstaatsvertrag108.html

[5] Als "filterbubble" (oder auch Filter-, Informationsblase) wird das Phänomen bezeichnet, daß Webseiten bestimmte Algorithmen benutzen, um einzuschätzen, welche Informationen für die jeweiligen Benutzer oder Benutzerinnen von Interesse sein könnten unter Verwendung der über sie verfügbaren Informationen (Standort, Klickverhalten u.a.), weshalb dieselbe Suchanfrage bei verschiedenen Personen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.


Berichte und Interviews zur 20. Linken Literaturmesse im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT:

BERICHT/030: Links, links, links - Getrennt publizieren, gemeinsam agieren ... (SB)
BERICHT/031: Links, links, links - in jedem Falle unbestechlich ... (1) (SB)
BERICHT/032: Links, links, links - in jedem Falle unbestechlich ... (2) (SB)
BERICHT/033: Links, links, links - in jedem Falle unbestechlich ... (3) (SB)
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INTERVIEW/027: Links, links, links - strukturell faschistoid ...    Wolf Wetzel im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/032: Links, links, links - Teilen bis zur Revolution ...    Daniel Horneber im Gespräch (SB)

Zur 19. Linken Literaturmesse 2014 siehe unter dem Sammeltitel "Linksliteraten" im Schattenblick unter:
http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/ip_d-brille_report_bericht.shtml
http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/ip_d-brille_report_interview.shtml

15. Dezember 2015


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